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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„daß ich Euch in dem Verdachte halte, Ihr hängt mehr an jener Person als an mir, so beregt nie wieder diesen Gegenstand.“

„O mein Gott!“ rief der Greis mit Thränen in den Augen, „ich habe Sie als Kind geliebt, und verehre Sie heute als meine gute Herrin. Die Zukunft wird es zeigen, daß ich Ihrer Güte und Ihres Vertrauens vollkommen würdig bin. Wenn ich mir erlaubte, Ihre theilnehmende Aufmerksamkeit auf Marianne zu lenken, so glaubte ich eine Pflicht zu erfüllen – Sie wollen es nicht, und ich werde gehorsam schweigen.“

„Eine Pflicht?“ fragte Franziska, indem sie ihren Gang durch das Zimmer unterbrach und mit stolzen Mienen vor dem greisen Diener stehen blieb. „Will man mich bevormunden? Wer hat Euch dergleichen Andeutungen zur Pflicht gemacht?“

„Meine Liebe zu Ihrer Familie, gnädiges Fräulein! Ich habe alle Wechselfälle derselben erlebt, denn Sie müssen wissen, daß ich schon Ihrem Herrn Großvater diente, und daß ich von ihm zu Ihrem Herrn Vater überging, der sich damals verheiratete und ein großes Haus in der Residenz machte, während Ihr Onkel, der älteste Adersheim, seine Carrière in der Armee verfolgte. Das Rittergut da draußen war verpachtet. Sie wollen wissen, warum ich Pflichten gegen Sie zu erfüllen habe? Ich will es Ihnen sagen, damit Sie mich nicht für einen Menschen halten, der anmaßend die Grenzen seines Wirkungskreises überschreitet. Es sind nun zwölf Jahre, gnädiges Fraulein, daß ich auch einmal vor Ihrem Vater stand, wie ich heute vor Ihnen stehe. Ihre Mutter ward von Gram und Sorgen darnieder gedrückt, und mehr als einmal hatte sie mir ihr Herz ausgeschüttet. Da nahm ich mir das Recht des alten, treuen Dieners, und warnte meinen Herrn vor gewissen Leuten, die nicht seine Freunde, sondern seine Blutsauger waren. Er aber ward zornig, nannte mich einen frechen Menschen und jagte mich, zum Leidwesen seiner guten Gattin, aus dem Hause. Der Herr Oberst, sein Bruder, hatte damals das Schloß bezogen, und nahm mich in sein Haus. Mit Bedauern hörte ich, wie die Sachen in der Stadt sich immermehr verschlimmerten, und daß endlich Ihre gute Mutter starb. Gleich nach ihrem Tode sandte mich mein Herr in Geschäften nach der Residenz. Da begegnete mir Ihr Vater auf der Straße. Als er mich erblickte, kam er auf mich zu und reichte mir, zu meinem Erstaunen, die Hand. Gottfried, sagte er, indem er auf den Flor an seinem Hute deutete, ich habe einen schweren Verlust erlitten. Du hast sie gekannt – sie ist todt! Vielleicht lebte sie noch, wenn ich auf Deine Worte gehört hätte. Vergieb mir – ich bin schwer gestraft! Indem er sich die Augen trocknete, ging er weiter. Als ich mich einigermaßen von meinem Erstaunen erholt hatte, war er verschwunden. Sehen Sie, mein liebes Fräulein, wenn ich daran denke, so glaube ich die Pflicht zu haben, meine Herrschaft vor Schritten zu warnen, die sie später bereuen könnte.“

Franziska bekämpfte ihre Bewegung; sie konnte dem Diener ihre Achtung nicht versagen, der sich dennoch auf den Standpunkt eines Rathers erhob, obgleich er für eine ähnliche Hingebung bereits einmal gebüßt hatte. Sie fühlte, daß sie sich diesem Manne anvertrauen konnte. Schon stand sie im Begriffe, ihm den Hauptbeweggrund ihrer Abneigung gegen Marianne mitzutheilen, als eine Magd eintrat.

„Herr Walther von Linden!“

Ein jäher Blitz aus heitrer Luft hätte keine größere Wirkung hervorbringen können, als die Nennung dieses Namens. Sie erbleichte und erröthete in einem Augenblicke. Walther hatte durch seine Ankunft ihrem Stolze und ihrem Herzen genügt.

„Ich ziehe mich zurück,“ sagte der alte Kammerdiener, der die plötzliche Veränderung seiner Herrin mit Erstaunen bemerkte.

„Gottfried,“ sagte sie mit bebenden Lippen, „führt den Herrn von Linden in den Empfangssaal und bittet ihn, mich zu erwarten.“

Der Greis entfernte sich, um den Befehl auszuführen. Franziska setzte eine Glocke in Bewegung. Die Kammerfrau erschien.

(Schluß folgt.)




Berthold Auerbach.
Ein Bild nach dem Leben.

Ich hatte ein Jahr in Halle theologische und philosophische Collegien gehört, in denen man uns beweisen wollte, die Hauptsache von Allem auf der Welt sei die, ob sie ein persönlicher oder unpersönlicher, ein inner- oder außerweltlicher Gott gemacht habe. Wir jungen Studenten waren natürlich mehr für den unpersönlichen, weil der keine so entsetzlich strenge Linie von Gut und Böse durch die Welt zog. Ich glaube, derjenige der Herren Professoren, der die amüsantesten Collegien las, war im Grunde auch unserer Meinung, doch war er viel zu geistreich, als daß er über irgend Etwas in der Welt eine bestimmte Meinung hätte äußern können. Wir dagegen waren damals in dem Alter, wo man die bestimmtesten Meinungen im ganzen Leben hat und als nun die Ereignisse des Frühjahrs 1848 manche Rücksicht, eine Meinung auszusprechen, aufhoben, da meinten wir erst recht, ganz allein Recht zu haben. Wir waren der festen Ueberzeugung, jene Welterschütterung sei nur eingetreten, damit die Philosophie des unpersönlichen Gottes und des Weltgeistes siege über der des persönlichen Gottes und der Vorsehung. Alles Bestehende war aufgehoben und jener gewisse ungewisse Weltgeist wollte auf irgend eine gewisse ungewisse Weise eine neue Zeit einrichten. Das, was war, auch jeder renommistische Student und wahnsinnige Krakehler, war „vernünftig;“ und was „vernünftig“ war, d. h. konsequent bis zur Tollheit und selbst bis zum Tendenzdiebstahl, das sollte wirklich werden. Die Leidenschaft, konsequent zu sein, hatte die halbe Welt ergriffen und diesem modernsten, blindesten Fanatismus sollten Vaterland, Familie, Religion, Kunst, Wissenschaft, die eigene Persönlichkeit selbst mit ihrem einzelnen persönlichen Glücke, kurz die ganze Welt des natürlichen Denkens, Empfindens, Handelns zum Opfer fallen. Auch ich war, wenn auch nur gegen mich selbst, solch ein Fanatiker und fühlte ich auch manchmal mit dem Spieler im Faust von dem verkappten Mephisto:

„Mir ist bei alle dem so dumm,
Als ging mir ein Mühlrad im Kopfe herum,“

so wagte ich doch nur selten solche Empfindungen auszusprechen; sie war ja eine Sünde gegen unseren heiligen Geist – die Konsequenz.

Da lernte ich den Verfasser der „Schwarzwälder Dorfgeschichten,“ den Dichter des „Lorle“ kennen – es war in Breslau, wo er den Sommer des Jahre 1848 über bei dem Vater seiner kurz vor dem, so früh geschiedenen Gattin lebte. Berthold Auerbach’s äußere Erscheinung schon und sein Naturell, wie es bei dem ersten Blicke sich offenbart, wie neu, wie anziehend, wie wohlthuend trat es mir entgegen! Nichts von der verzweifelt exaltirten Stimmung jener Jahre haftete ihm an, er war noch der Mann, der, obgleich er den ganzen Ernst der Zeitverhältnisse begriff, doch noch gemüthlich und humoristisch sein konnte, so daß wir norddeutschen Professorenlehrlinge immer nicht wußten, ob wir ernste oder lachende Gesichter machen sollten, wenn er in seiner liebenswürdig derben Weise, nie in philosophischen Phrasen, stets in Liedern und Beispielen aus der Wirklichkeit uns den Text las und an stets neuen Anekdoten uns bewies, daß unsere Weltanschauung unter diejenigen gehöre, welche man „verkehrte Weltanschauungen“ zu nennen pflege.

Als ich das erste Mal mit ihm sprach, – wir gingen aus einem stürmischen Klubb, in dem die sociale Frage gelöst war, nach Hause, – da war eines seiner ersten Worte, daß er uns „Leibeigene des Allgemeinen“ nannte. – Vor einem Baume auf der Promenade blieb er stehen und sagte in seiner humoristischen Weise: „Seht nur, merkwürdig! Das ist ein selbstgewachsener Baum – ohne Konsequenz!“ Und in der That, wir mußten erst eine Weile staunen, eh’ wir lachen konnten! – „Wer hat Euch zu Generalen der Weltgeschichte gemacht?“ so fuhr er in demselben Tone fort; „was wißt Ihr von dem Feldzugsplan, den die Menschheit jetzt ausführt? Kein Meister fällt vom Himmel, alle müssen von der Pike auf dienen und wir alle sind nur noch gemeine Soldaten, höchstens Gefreite in dem großen Genre der Geschichte. Der große

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 512. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_512.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)