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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Jugend, Schönheit, frischer Lebensmuth im ganzen Wesen: das sind drei vortreffliche Gaben, um die Menschen zu gewinnen. Die hatte nun der Graf Georg in reichem Maaße, und als er damit auftrat, und blitzende Helmzier, leuchtende Waffen, Gold und Seide das Alles noch hoher und schöner erscheinen ließen, da fuhr über die meisten der ernsten Gesichter ein freundlicher Schein. Nun aber kam ein Schatten.

Pater Hieronymus schritt hinter dem Junker her; das sonst so kräftige Gesicht bleich, zerrissen von tiefem Schmerze, den er, fern von der Heimath, um die geächteten Brüder und Söhne still in sich getragen. Die sonst so milden Züge gehärtet von der Pflicht, die ihm die Geliebten verfluchen lassen mußte, die ihm verbot, ihnen die Hand zu reichen und thränenden Auges auszurufen: „O, liebt mich doch, wie ich Euch liebe! Nehmt mich wieder auf, wo ich so gerne sein möchte! Lieber sterben bei Euch, als leben da Außen!“

Die geächteten Männer fühlten wohl im Augenblicke, was den armen Mann so bewege, und da sie ihn doch nicht freundlich anschauen konnten, senkten sie die Augen nieder.

Der junge Graf trat derzeit dicht vor die Schranke und der Schultheiß rief:

„Seid willkommen! Und wo Ihr eine Klage habt, tretet dorthin gegen Mittag. Es ist des Klägers Platz.“

„Ich stehe hier schon gut!“ warf der Graf keck entgegen.

„Mit Nichten!“ rief der Schultheiß ruhig; „wollt Ihr gehört sein, so richtet Euch nach unserem Brauch.“

Der Junker biß sich auf die Lippen, ging mit gleichgültigem Trotz zum angewiesenen Platze und wollte beginnen.

„Verzieht!“ sprach nun der Schultheiß; „das Gericht will sein Recht. Ihr seid die Letzten. Frohnbote thue Deinen Spruch!“

Und Klaus trat vor und rief:

„Ist hier Jemand, der vor Gericht zu schaffen habe, der versehe sich zu dieser Stund, ehe der Schultheiß den Stab niederlege. Solches frage ich einmal! Zweistund! Dreistund! – Herr Schultheiß, es ist keine Sache mehr vorhanden!“ Und er trat zurück.

Der Schultheiß aber stand auf, hob seinen Stab in die Höhe, entblößte einen Augenblick das Haupt und rief mit weithin schallender Stimme: „Ist Niemand in der Landgemeinde Steding, der es verbietet, daß diese Männer ihre Botschaft werben?“ Tiefes Schweigen. Der Schultheiß wandte sich zu den Boten und rief: „Herr Junker – und Ihr, ehrwürdiger Vater, tretet vor.“

Der Junker trat stolzen Schrittes vor, der Pater blieb ein paar Schritte zurück, den sinnend sorgenden Blick halb auf die Menge, halb auf die Gruppe des Gerichts gelenkt.

„Nun redet, Junker!“ sprach der Schultheiß ernst und milde, und der Junker begann:

„Mich sendet mein Oheim, der Graf Burkhardt von Oldenburg und zwei Fragen läßt er Euch stellen. Erstlich: ob Ihr gewillt seid, die Burgen wieder aufzubauen, die Ihr in offenem Aufstand gebrochen. Zum Zweiten: ob Ihr wollt eine Gesandtschaft schicken sammt Eidschwur, daß Ihr für ewige Zeit wollt Unterthan sein genanntem Grafen und allen seinen Nachfolgern im Lehn, also daß Oldenburg bei Euch habe Hochgericht und Heeresmacht, Bann und Mann, Wald und Wege, Wasser und Weide, den Fund unter der Erde und über der Erde, Pflug und Zug und was mehr des Herrn Recht ist?“

Ein dumpfes Murmeln in der Menge ging zuletzt in lautes Gelächter über und der Schultheiß fragte:

„Herr Junker, ist dies Euch Antwort genug?“

Der Junker wollte auffahren, aber des gewaltigen Mannes dräuernder Blick hinüber zur Menge und dann zum Junker selbst, bannte das schon lose gezückte Schwert in die Scheide zurück. Der Schultheiß fuhr fort:

„Die Antwort habt Ihr schon, doch soll kein Tütelchen von der Form fehlen und sollen Euere Klagen vor der Landgemeinde verhandelt werden. Doch, Herr Junker, erlaubt mir zuvor noch die Frage: Was für Gründe hat Euer Ohm, der gestrenge Herr Graf, für seine seltsame Forderung? Redet frei. Ich trage ruhigen Sinn unter meinem weißen Haare und dieser Stab schützt Euch vor jeder Unbill.“

„Noch mehr mein Schwert!“ warf der Junker trotzig ein, doch wurde sein Wesen nun schon ruhiger, sein Ton freundlicher mit denn er sprach. „Für’s Erste bedarf Kaiser und Reich hier eines Schutzes, damit kein Raum zum Angriff da ist, wenn ein Feind in Euern Sümpfen sich festsetzt; wir wollen Euch also schützen.“

Ein höhnisches Gelächter ging bei diesen Worten über alle Gesichter und der Schultheiß meinte: „Herr Junker, seit Jahrhunderten haben wir uns selbst geschützt gegen den fürchterlichsten Feind, – gegen das Wasser. Seit vierzig Jahren haben wir mit Euch gekämpft und keinen Fuß breit Landes habt Ihr errungen. Und Ihr wollt noch von Schutz reden?!“

„Nun, so müßt Ihr doch mit dem Kaiser enger verbunden sein, zu seinem eigenen Schutz und Trutz zu allen Stunden.“

„Sind’s gewesen, Herr Junker, haben’s bewiesen, als der Kaiser Fritz sein Königreich Jerusalem erobern wollte. Sind wir da in hellen Haufen nach Jerusalem gezogen und haben’s ihm erkämpfen helfen, mehr als sein Adel. So hat der Fritz selbst erkannt und bei unserer Kirchweih flattert die Fahne mit dem halben Monde, die unsere Burschen von Jerusalems Mauern wegrissen. Und so wird’s unter uns sein immerdar. Der Stedinger Heerbann wird nimmer mangeln.“

Dem Junker wurde es sonderbar zu Muthe; die einfache und doch so feierliche Art des Mannes, die so einfach angegebenen Thatsachen, deren Vertreter dort standen in schlichter Einfalt und natürlicher Kraft: sie faßten ihn tiefer und schlossen ihm Gedanken auf, die er bis dahin noch nicht geahnet hatte. Aber Gründe müßte er noch bringen; das erheischte sein Amt und seine Ehre, und er fuhr fort:

„Aber wie, wenn unter Euch selbst einmal Hader kommt? Wer soll da richten und vergleichen? Ihr habt keine Gelehrten des Rechts; Einer ist frei wie der Andere; wer versichert Euch, daß Fried und Stille und Recht in Eurem Lande bleibt?“

„Dieser Stab, Junker Georg,“ rief der Schultheiß mit feierlichem Ton; seine Augen glänzten weithin, seine Gestalt schien zu wachsen, indem er fortfuhr: „Seht, das ist das Zepter unseres Rechts, kein Gold und Edelstein daran, aber das Gericht ist durch ihn so heilig, als stände hier ein Engel Gottes mit flammendem, Schwerte. Diese Schranke ist gehegt nur von Haselstäben und dünnen Schnüren, aber noch nie hat Willkür sie gebrochen. Fest stand sie zu allen Zeiten und wird sie stehen, gleich einer Mauer von Erz und Demant.“ Und so stand der Schultheiß jetzt selbst vor dem Grafen und der Schimmer seines weißen Haares, vom Glanz der untergehenden Sonne beleuchtet, erschien ihm fast wie ein Heiligenschein. Verwirrt bis zum tiefsten Gemüthe fragte er nur noch: „Aber was ist bei Euch Recht? Wer weiß da immer wie zu entscheiden ist?“

„Laßt diesen Knaben Euch antworten,“ entgegnete der Schultheiß und winkte einem zehnjährigen Knaben aus der Menge. Der Knabe trat unbefangen vor und der Schultheiß fuhr fort: „Beliebt es Euch, Herr Junker dem Knaben Fragen vorzulegen, wie sie unter Bauersleuten vorkommen können.“

Der Junker sah den Knaben verwundert an, dann kam ein launischer Humor über ihn und er fragte mit ernstem Angesicht: „Was ist Rechtens im Gericht mein Sohn?“

Der Knabe stemmte sich fest in die Hüften, sah den vornehmen Frager unbefangen an und im Tone des aufsagenden Schülers sprach er:

„Es soll der Richter sitzen auf seinem Stuhle wie ein griesgrimmender Löwe, den rechten Fuß über den linken schlagend und wo er aus einer Sache nicht Rechts kann urtheilen, soll er sie überlegen einhundert und dreiundzwanzig Mal.“

„Das muß denn freilich endlich gerecht werden,“ meinte der Junker gutmüthig lächelnd und stellte dem Knaben eine zweite Frage: „Was machst Du, wenn Du ackerst und einen Flurstein umwirfst?“

„So rufe ich den Schöffen und den Widerpart, daß das Gemärke wieder gesetzt werde und deshalb habe ich nichts verbrochen.“

„Und wenn Du etwas findest, was unter oder über der Erde?“

„Die Schöffen haben gewiesen, daß es soll Jahr und Tag beim Schultheiß gehalten werden, bis Jemand kommt, der es begehrt; so aber Niemand Klage hat, soll es getheilt werden, wie der Schultheiß schafft.“

Der Junker that nun noch mehrere Fragen, die der Knabe alle beantwortete, nach dem alten Buchstaben und dem alten Gesetze und der Junker fragte mit seltsamer Befremdung:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_535.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)