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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

werden, als der Vater der Elsbeth es wurde. Sie ehrte die Schöffen, liebte die Nachbarn und Landsleute, hielt treue Freundschaft mit den Mädchen, gute „Kameradschaft“ mit den Burschen und war zuthätig, wo es des Rathens und Thatens bedurfte. – So stand sie hochgeachtet und wenn man will, auch geliebt, auf ihrem Erbe und in ihrem Gaue; aber so die rechte, eigentliche Liebe, die zuthunliche, offen vertrauende Liebe hatte sie nicht. Die Einen meinten: „Wir haben zu viel Respekt vor ihr;“ die Andern meinten: „Sie ist hoffährig;“ dem stritten wieder Andere entgegen, und sagten: „Ja, sie ist stolz, aber sie weiß es nicht, sie will es nicht sein; es würde sie betrüben, wenn sie wüßte, daß sie es wäre.“ „Sie hat kein Herz,“ meinten einige Burschen, die so von fern um sie angehalten und abgewiesen waren. „Sie hat ein Herz, aber ein anderes wie wir,“ hieß es dann.

Was war es denn nun in dem Mädchen, was zu solchem Gerede den Anlaß gab? So wenig und doch so viel. So leicht und doch so schwer zu beschreiben. Es war ein eigenthümliches Etwas, ein Würde- und Hoheitsvolles bei aller einfachen Bauernheit, ein Unnahbares für jeden rohen und gemeinen Sinn; ein nole me tangere gegenüber dem täglichen Brauch des Lebens, bei allem frisch kräftigen Zugreifen und Zuthun, was nur dieses Leben forderte. Dann war sie viel zarter gebaut, auch viel kleiner, wie die übrigen Mädchen und doch eben so stark und rüstig. Sie trug dieselben Kleider, wie alle Andern und doch stand ihr Alles schöner, sonntäglicher, vornehmer. Sie sprach gewiß nichts Anderes, als was die Andern sprachen, aber wie sie es sprach, das war klang- und seelenvoller und oft fühlte man heraus: sie empfindet und denkt auch noch viel mehr als sie spricht; nicht als ob sie das stolz hätte verbergen wollen; nein, sie fand nur nie die Stunde, die Gelegenheit, es auszusprechen; vielleicht hätte sie’s auch nicht gekonnt; vielleicht lag diese neuere, höhere Seele in ihr noch unerschlossen in ihrer jungfräulichen Brust und wartete nur des erweckenden Hauches, des Auferstehungskusses, um auf goldenen Flügeln emporzuschweben. – Und wie sie jetzt so da stand am Herde, da schien dieser erweckende Hauch ihre Seele schon berührt zu haben, und wie sie nun vom Herde weg in das Zimmer treten und dem schönen, prächtigen Jüngling des alten Brauches Gastkuß geben mußte: da schien das der Auferstehungskuß zu sein, der jene Seele zu hohem Fluge durchdrang. Der Kuß dauerte lange, lange – und Beide zitterten dann, als hätten sie ein Verbrechen begangen; aber ein Verbrechen, durch das sie in den Himmel gekommen seien.

Vor dem Fenster aber stand Kurt vom Büchel und glaubte in der Hölle zu sein. Er hatte die Faust auf die offene Brust gelegt und dann drückte er die Nägel in die Brust.

„Eine Stunde an ihrem Herzen und, dafür drei Jahre in der Hölle!“ so hatte er oft gerufen, so war der einzige Bursche des Stedinger Gaues, der für das Mädchen in Liebe entbrannt war; aber auch so, daß wie ein Lavastrom es in ihm kochte.

Er war schon hinausgefahren auf’s Meer, ein bis zwei Jahre lang, bis hinauf zu den Grönländern; aber so kalt es dort auch war, seine Liebe war nur noch heftiger entbrannt.

„Drei Jahre in der Hölle für eine Stunde an ihrem Herzen,“ so rief er jetzt wieder und dann dazu: „Und sechs Jahre in der Hölle für einen Griff an des Junkers Gurgel.“

Durch solch unmittelbare wilde Naturkraft rauschte die Leidenschaft noch hin wie ein fesselloser Bergstrom, grausige Schluchten reißend und die tiefsten Tiefen durchwühlend. Er war schrecklich und bemitleidenswerth, wie er so da stand und durch das Fenster schaute und Musik um ihn her klang und Jubel und Tanz ihn umwogte, und die thönernen Becher ihm klangen wie sein Grabgeläute. Der Klaus trat hinzu und brachte ihm des Schulzen mahnendes Wort und einen vollen Becher, – er nickte nur. Dann hetzte der Klaus ihn bitter und scharf, da zuckte er zusammen.

„Der Teufel soll leben!“ rief er jetzt, indem er dem Klaus den Becker entriß.

„Soll leben! Wir müssen ja doch zu ihm, wie die Pfaffen geschrien haben; da ist’s gut, wenn wir ihm freundlich thun,“ entgegnete der Klaus, und riß den Kameraden mit fort in das dichteste Gewühl der Tänzer und Trinker.

Ein friedlicheres Gespräch hatte während dem zwischen dem Schultheiß und dem Priester begonnen. Sie waren allein; ein alter guter Wein stand vor ihnen und die Abendstunde hatte ihre Milde ausgegossen auf die ehrwürdigen Häupter. Der Schultheiß ergriff den Becher und sagte:

„Laßt den guten, dritten Freund hier zwischen uns mitthaten. Sagt mir, ehrwürdiger Herr, was wollt Ihr Morgen auf dem Landthing vorbringen? Sagt’s jetzt schon, wo ein gutes Wort ein gutes Ort findet.“

„Friede will ich bringen, Schultheiß! Friede!“

„Das ist ein kostbares Wort, Pater; aber – aber – um welchen Preis? Eure Kirche, nehmt’s nicht übel, Pater! Eure Kirche, thut wenig um Gottessohn. Sagt’s kurz heraus: was fordert der Erzbischof?“

„Für sich die neuen Zehnten und für die Oldenburger das Herrengericht. O gebt’s, gebt’s Schultheiß! Lasset Euch versöhnen mit Gott.“

„Das bin ich, Herr Pater! Das hoff’ ich zu sein! Durch guten Wandel, Gebet und Fürbitte. Aber – – Herr Pater – ich wär’ es nicht, wenn ich dazu thät, was Ihr verlangt, denn Eure Kirche verlangt das Unrecht.“

„Rom hat gesprochen in dieser Sache; hat gerichtet.“

„Rom kann nicht richten in seiner eigenen Sache.“

„Was die Kirche spricht, hat Gott gesprochen –“

„Und was das Recht sagt, ist auch Gotteswort. Und unser Recht spricht, daß wir freie Bauern sind; nur Unterthan dem Kaiser und nicht schuldig zu geben Zins, Schoß oder Zehnten, wie Ihr verlangt; als Ihr bei uns waret, – sagt – Herr Pater: war da ein Mann reicher im Stedingerland als Ihr? Gaben wir Euch nicht in Hülle und Fülle, was nur Euer Herz begehrte? Wir gaben’s Euch, als dem Diener Gottes, als dem Verkünder der heiligen Christuslehre, die uns hell und froh und gut gemacht hat, und gaben’s gern, weil wir wollten und weil wir Euch liebten. Ihr verließet uns in unserer Noth. Ihr – – doch still davon; still, sonst rüttelt’s zu sehr am Herzen. Schenkt ein! – So! Und nun trinkt mit mir: Es lebe das deutsche Reich! Es lebe der Kaiser, unser Herr!“

Der Schultheiß war aufgestanden voll Begeisterung; Hand und Stimme zitterten noch von tiefer Bewegung. Der Priester stand ihm gegenüber, den feuchtglänzenden Blick in das goldene Naß gesenkt, und sprach mit bebender Stimme:

„Er lebe!“

Dann klangen die Becher aneinander hell durch die tiefe Stille des Zimmers und ein einsames Licht an der Decke warf seltsamen Schein auf die beiden ehrwürdigen Feinde, die hier so freundschaftlich vereint waren.

Und auch draußen standen zwei Feinde, vereint in Freundschaft und Liebe: der trotzige, dräuende Graf von Oldenburg und die Tochter des starren Bauern. Sie waren – sie wußten selbst nicht wie – vom Tanze weggekommen, unter eine hohe, breitgeästete Buche getreten, doch immer noch Hand in Hand, wohl gar Arm in Arm, als wenn sie wieder antreten müßten zum Tanze. Sie hatten erst kein Wort mit einander gesprochen; dann sprachen sie auf einmal vom Abschiede, den der Junker morgen früh nehmen müßte. Da bebten Beide, und Eines fühlte das Beben des Andern und bebte darum um so heftiger. Dann sprachen sie auf einmal von Krieg und Tod, von der Fehde zwischen Steding und Oldenburg und Eins warf dem Andern das Verderben vor. Dann sprachen sie wieder nichts; aber sie saßen auf einem Steine und hielten sich leise umschlungen; nun hörte man nichts anderes als das Klopfen zweier Herzen, dann Flüstern, dazu sah man Thränen blinken; dann standen sie wieder auf, – und was sie nun sprachen, das hörte Niemand als die schon leise vergehende Nacht, – das war ihr Abendmahl der Liebe.

„Engel seien um Deinen Schlaf,“ das waren des Junkers letzte Worte, mit denen er Elsbeth küßte.

Sie ließ es ruhig geschehen und schritt dann langsam dem Hause zu.

Der Junker lehnte noch eine Weile an der Buche und schaute glänzenden Auges in den fernaufsteigenden Morgen. Die erste Lerche stieg empor über die grüne Saat, der Nebel dampfte auf, das Meer erglitzerte, das Land lag herrlich, prächtig vor dem schwärmenden Jüngling.

„Mann, Ihr seid glücklicher hier, als wir in unsern Burgen!“ rief er jetzt dem hinzutretenden Klaus entgegen und wollte ihm die Hand reichen.

„Das hab ich nie bezweifelt, darum schwing ich auch das

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