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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Stedingern entgegen donnern, doch ließ er ihn nicht bis über die Lippen kommen; der Graf forschte nun nach dem Junker und der Priester erzählte, was er gesehen und gehört: Der Junker habe sich mit des Schultheißen Tochter verlobt, feierlich beim Vater um sie angehalten, das Jawort bekommen und dem Pater zugerufen: „Geht mit Gott, Pater, ich bleibe.“

Der Graf sah stieren Auges den Erzähler an, er rührte kein Glied seines starken Körpers, seine Füße waren wie eingewurzelt im Erdboden, seine Rechte war eingekrallt in den Becher, seine Linke lag wie angeschmolzen auf dem Schnitzwerk des Eichentisches. Die Lippen lagen wie geronnenes Blut fest an den Zähnen; er sah schrecklich aus.

„Ich habe alle Angelhaken gebraucht ihn loszureißen;“ fuhr der Pater fort, „aber umsonst. Er ist wie verzaubert.“

„Ich breche diesen Zauber und muß ich ihm auch den Schädel brechen!“ knirschte jetzt der Graf, doch ohne noch sich zu rühren; „ich will seine Ehre schänden, sein Ritterthum ihm abreißen wie einen gestohlenen Lappen. Ich fluche ihm.“ Erst jetzt begann der Graf konvulsivisch sich zu rühren; die furchtbar angespannten Nerven ließen nach, er wurde matter, weicher und mit fast wehmüthigem Tone meinte er: „Erzbischof, nicht wahr, er wird meinem Fluche nicht widerstehen können?“

„Ich halte ihn für treu und unschuldig,“ erwiederte der Erzbischof mit Sanftmuth; „ich kenne ihn ja, meinen geliebten Schüler; er ist weich, leicht hingebend. Vielleicht haben sie ihn verhext, die bösen Ketzer.“

„Ja, das ist’s! Ja, ja, das ist’s!“ rief jetzt auffahrend der Graf und sprang auf. „Aber die Bauern sollen bluten; sie allein tragen die Schuld. Aber ich will meine Eisenhand auf sie legen und sie zerquetschen, daß sie meinen jungen Löwen mir so zähmten.“

In diesem Augenblicke hörte man im Hofe in eigenthümlich schauerlichem Tone den Büßerchor des „Media vita“ anstimmen.

„Was ist das?“ rief der Graf und sprang an das Fenster, während der Erzbischof erbleichte und der Pater mit schmerzlichen Blicken nach Oben die Hände faltete. Der Graf erblickte vor dem Thore einen Zug von Männern in schwarzer Tracht. Sie trugen ein großes goldenes Kreuz und eine Fahne, mit dem Bildniß eines Lammes. Vorne stand ein langer, hagerer Mann, sein Gesicht gelb und hart wie aus Thon geformt; die Augen voll fürchterlicher Lohe, die ganze Erscheinung unheimlich, gespensterhaft.

„Was ist das?“ rief der Graf noch einmal, während er fast entsetzt vom Fenster zurücktrat.

„Das ist was Schreckliches!“ antwortete der Erzbischof. „Das ist Conrad von Marpurg, der fürchterliche Ketzermeister von Deutschland. Eine finstere Wolke lagert sich über mein Gemüth.“

„Ich weise ihn ab!“ rief der Graf entschlossen; „was will er hier? Ich bin ein freier Herr meines Landes. Ich lasse ihn nicht ein.“

„Bei Euerm Leben, seid ihm willfährig! Er ist mächtiger als wir Alle, mächtiger als der Kaiser, mächtiger als der Papst. Und er ist so unversöhnlich als mächtig. Ich beschwöre Euch, seid ihm gefällig.“

Die Thüre ging auf und einer der schwarzen Männer trat gebeugten Hauptes ein.

„Friede mit diesem Hause und Allen, die reinen Glaubens hier ein- und ausgehen,“ sprach er mit dumpfem Tone und ein „Amen“ klang aus dem Munde der Hörer. Der Mönch erhob sich nun stolzen Hauptes und sprach laut dröhnend durch den weiten Saal:

„Konrad von Marpurg hat dies Schloß zu seinem Sitz erwählt, Graf Burkhardt von Oldenburg, um zu forschen, ob nicht das Gift der Ketzerei eingedrungen ist in diese Lande. Frankreich und die Rheinlande sind gereinigt in Kraft des Feuers. Es gilt einen Kampf auf Leben und Tod. So ist des heiligen Vaters Befehl.“

„Mein Schloß ist gastfrei gegen Jedermann, meldet Euerm Herrn, daß ich ihn erwarte,“ sprach nun der Graf mit sichtlichem Widerstreben; der Mönch murmelte: „Pax vobiscum,“ und schritt wieder gebeugten Hauptes hinaus, die Anwesenden in langer, unheimlicher Spannung zurücklassend. Da auf einmal Pferdegetrappel, ein Reiter sprengte in den Hof, es war Ehrenfried, der Knappe des Junkers Georg, und er rief vom Pferde aus dem an das Fenster geeilten Grafen zu: „Er kommt! Er kommt!“

„Wer kommt?“ herrschte der Graf hinunter.

„Mein gnädiger Herr, der Junker Georg von Oldenburg!“

„Dank dir, o Gott!“ jauchzte der Graf und stürmte zur Thüre hin, – als ihm Konrad von Marpurg den Weg vertrat.



VI.
Das Ketzer-Gericht.

Der Graf trat zurück und mit herber, starrer Stimme rief Konrad von Marpurg: „Ich grüße Euch, wenn Ihr getreu seid.“

„Wir sind’s, und erwiedern Euern Gruß in Ehrfurcht,“ entgegnete der Erzbischof.

„Seid willkommen und ruht Euch aus,“ sagte der Graf.

Der Ketzermeister setzte sich nieder und murmelte: „Ja, ich bin müde geworden im Dienste meines Gottes, der mir ein eisern Amt auferlegte. Der Weg zu Euch war weit und schwierig.“

„Ihr solltet doch ein Roß brauchen,“ meinte der Graf.

„Der Knecht des Herrn verschmäht des Ritters Art. Ich wandere.“

„So thut uns Bescheid mit diesem Becher.“

„Ich trinke nicht Wein.“

„So esset von diesem Eber, den ich selbst erlegte.“

„Ich esse nicht Fleisch. Meine Speise ist, daß ich thue den Willen Dessen, der mich gesandt hat; dabei genügt mir Brot und Wasser und Wurzel. Doch jetzt nicht von irdischen Dingen.“

Er stand auf, sah den Grafen und den Erzbischof mit furchtbarem Blicke an und sprach mit markdurchdringendem Tone: „Warum lebt noch der Name Steding auf Erden?“

„Wir kämpften gegen sie seit Jahren, doch vergebens,“ sprach der Graf, und der Erzbischof ergänzte:

„Gott segnete unsere Waffen nicht!“

„Weil Ihr sie nicht führtet im rechten Glauben!“ zürnte Konrad entgegen und fuhr mit fanatisch-flammenden Blicken fort: „Schmach dem Fürsten, der nicht Leib und Blut für Christum einsetzt, Schmach dem Priester, der noch leben kann, wenn Gottes Feinde in seinem Sprengel leben!“

„Ihr seid zu strenge, hochwürdiger Herr. Die Sümpfe sind kaum zu erobern,“ lenkte der Graf ein.

„Wer glaubt, dem bauen Engel die Brücke.“

„Ihr traft uns, Hochwürdiger, als wir eben gegen diesen Stamm uns beriethen.“

„So ist es Euer Ernst, sie zu vernichten, Erzbischof?“

„Nicht sie zu vernichten, aber zu bekehren, zu besitzen.“

„Doch um sie zu besitzen, müssen wir sie wohl vernichten,“ meinte der Graf.

Der Ketzermeister wandte sich zufriedenen Blickes zum Grafen: „Ihr sprecht weise, sonst hätte Euch der Blitz mit versengt. Ihre Stunde hat geschlagen. Sie sind Ketzer; sie sollen Ketzer sein; wer ist hier, der Zeuge wider sie geben kann?“

Der Erzbischof nannte den Pater Hieronymus, der Graf den Knappen Ehrenfried, die so eben zurückgekommen; auch seinen Neffen, der jeden Augenblick zurückkommen müsse. Er verschwieg, daß nur der Eintritt des Ketzermeisters ihn gehemmt, dem bang Erwarteten schon entgegenzueilen.

„Was thut Euer Neffe bei den Verräthern?“ rief der Ketzermeister mit stechendem Blicke. „Es stirbt, wer mit den Frevlern hält; sucht ihn eilig zu retten, wie einen Brand aus dem Feuer. Laßt die Zeugen vortreten. Zweie genügen: Und Ihr meine Brüder“ so wendete er sich zu den mit ihm eingetretenen Mönchen – merkt auf!“ – Pater Hieronymus, der schon vor dem Eintritt Konrad den Saal verlassen, trat ein. In schlichter Einfalt erzählte er Alles, was er von den Stedingern wußte, alles Gute und Böse, doch des Letzteren nicht viel.

Wie die Schlange ihr Opfer, so sah der furchtbare Meister den Pater an und indem er ihm Abschied zuwinkte, murmelte er vor sich hin: „Du bist auch schon reif zum Verderben.“ Ein stummer Wink zu seinen Mönchen – und sie verstanden, was er gesagt. Furchtsam, an allen Gliedern zitternd, trat nun der Knappe ein.

„Wo ist Dein Herr?“ fragten gleichzeitig der Graf und der Ketzermeister.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_552.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)