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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Fürst Sergiewitsch Mentschikoff.

bürgerlichen Kleidung, mit zerknittertem Hute, in durchaus nachlässiger Haltung durch die Straßen Pera’s wandelte, auf den Krückstock gestützt, seinen beständigen Begleiter seit der etwas sonderbaren Verwundung bei der Belagerung Varna’s im Jahr 1828, – sei es, daß er, noch weit unbemerkter, von zwei Ruderern gefahren, im einfachen Kaik an den reizenden Gestaden des Bosphorus hinglitt, denen er einen andern Herrn zu geben gekommen war. Mentschikoff wurde uns vielfach als geistreich geschildert, wenigstens circulirten damals in Constantinopel viele treffende geistreiche Bonmots, die ihm zugeschrieben wurden. – Mit demselben etwas abgeschabten Hute, in demselben Paletot, denselben Krückstock in der Hand, war er auf der Hohen Pforte erschienen, so gegen das uralte Herkommen verstoßend, demgemäß der Gesandte einer fremden Macht nur mit möglichster Entfaltung von Pracht und Glanz zur Antrittsaudienz auffahren durfte. Nichts verzeiht der Türke schwerer, als eine Nichtachtung der hergebrachten Etiquette, und wäre Mentschikoff in Gala statt im Paletot erschienen, er hätte wahrscheinlich eine weniger starre Opposition gefunden; ja in Constantinopel kann man die Ansicht vielfach äußern hören, daß ohne diesen unseligen Paletot die Sachen nie so auf die Spitze getrieben, vielleicht der Weltfriede erhalten worden wäre. Wie manches Stückchen Weltgeschichte ist schon durch einen Unterrock gemacht worden, warum nicht auch einmal durch einen russischen Paletot?



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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_572.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)