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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

In der Prairie verirrt.

Vor wenigen Tagen trat ein Mann in den dreißiger Jahren, hoch gewachsen, kräftig gebaut, mit wettergebräuntem Gesicht, die Cigarre im Munde, wie ein alter Bekannter zu mir in das Zimmer und begrüßte mich mit den Worten:

„Ich soll Ihnen einen herzlichen Gruß von Ihrem Bruder sagen.“

Das klang, als habe der Mann einen Spaziergang gemacht und dabei den gesehen, der mich grüßen ließ, aber mein Bruder lebt in Greytown (San Juan) in Centralamerika, das die Amerikaner kürzlich verbrannt haben.

„So kommen Sie aus Amerika?“ fragte ich.

„Ja wohl; ich hole mir eine Frau in Sachsen. Auf der Brautfahrt besah ich mir aber erst Californien und als ich auf der Rückkehr von da in Greytown anlegte, lernte ich den deutschen Hafencapitain dort kennen.“

Man kann sich denken, daß wir lange plauderten. Der Reisende hatte sehr viel erlebt; er besuchte mich noch mehrmals und hat mir manch Abenteuer erzählt, auch das nachstehende, das ihm auf seiner Farm in Illinois an der Grenze der Prairie kurz vor seiner Abreise von dort begegnete.

Ich lasse ihn reden, wie er mir erzählte:

„Wenn Sie die Sache ganz verstehen sollen, müssen Sie eine rechte Vorstellung von einer Prairie haben und beschreiben läßt sie sich nicht wohl. Sie hat auch darin, wie in Anderm, Aehnlichkeit mit dem Meere. Ihr Anblick macht einen ganz eigenthümlichen Eindruck, der wohl von der endlosen Ausdehnung herkommt und von dem Mangel irgend eines Gegenstandes, auf welchem das Auge ruhen kann.

„Ich habe sie mitten im Winter gesehen, eine kalte Schneewüste, eine Fläche, so weiß, daß der Himmel über ihr fast schwarzblau aussah. Ich habe sie dann im Frühling gesehen als unendlichen Raum von Grün, überreich an Blumen, die nicht etwa auf einzelnen Stellen stehen, sondern Aecker, Hunderte von Aeckern bedecken, meilenweit an einem Flüßchen sich hinziehen, da nur rothe, dort nur blaue. Ich sah die Prairie, wenn der erste Winterfrost eingetreten war und das grüne Gras gelb, fast weiß gefärbt und nieder gelegt hatte, so daß das Wild keinen Schutz mehr in ihm fand und sichtbar geworden war, bis es nach den fernen Wäldern flüchtete, der Wolf wie ein Verbrecher scheu einherschlich, sich zu verstecken suchte und nichts fand, das ihn barg, und die Kraniche einher stelzten, bis sie sich in Schaaren erhoben und hinwegflogen. Ich habe die Prairie auch in Flammen gesehen und in Rauch, der wie riesige Wolken aufstieg, bis er den ganzen Himmel verdunkelte. Während man bei Tag, im Sonnenlichte, die Flammen kaum sah, erschien die brennende Prairie in der Nacht wie ein Feuermeer, das bald langsam und schwach über kahle Stellen schlich, wo es nur einzelne Grashalme aufzulecken hatte, bald vor dem Winde herjagte in einer Schnelligkeit, welche den fliehenden Hirsch einholt und den heulenden Wolf versengt, brausend, sausend, zischend, knatternd, donnernd sich fort und fort wälzt, den Hügel hinan, in das Thal hinein, selbst über den Fluß hinüber. Ich habe die Prairie endlich gesehen, nachdem das Feuer über sie hingezogen war und eine schwarze öde Fläche hinterlassen hatte, welche dem Auge fast so lästig und schmerzlich ist, wie die weiße Schneedecke im Winter.

„Aber alle diese Veränderungen geben doch noch kein Bild von der Prairie. Ihre Unübersehbarkeit, die Oede in derselben, die Stille, die Gleichförmigkeit kann man nicht beschreiben und sie gehören doch dazu. Ihr Aussehen ist wie das eines plötzlich festgewordenen Meeres: der Boden hebt sich allmälig, wogenartig, zwei bis zehn Fuß hoch, dann folgt eine Vertiefung, wieder eine Erhöhung und so in endloser Aufeinanderfolge. Und diese ganze meilenlange, meilenbreite Fläche ist über und über mit Gras bewachsen, ohne daß man nur die kleinste Stelle der nackten Erde sähe; Acker um Acker, Meile um Meile dehnt sich das endlose Gras aus, das je nach dem Boden oder nach der Art zwei Fuß bis über zwei Ellen hoch ist.

„Sie werden sich denken können, wie schwer es ist, in einer geraden Linie über die Prairie zu gehen, wo das Auge keinen Baum, keinen Berg als Richtpunkt hat. Auch habe ich mich in einem Jahre in der Prairie mehrmals verirrt, als in fünf Jahren im Urwalde.

„Vor Kurzem noch mußte ich zwei Stunden lang in der Prairie warten bis die Sterne aufgingen, um mich zurecht zu finden und ich war keine Viertelstunde weit von meiner Farm entfernt.

„Nun was ich Ihnen erzählen wollte.

„Eine Frau, eine Landsmännin, kam eines Tages zu mir lange vor Sonnenaufgang und bat mich um Hülfe oder vielmehr um die Hülfe meines Hundes, den mir die Spitzbuben in Californien nun gestohlen haben. Ihr kleiner Sohn war von der Farm verschwunden und hatte sich in der Prairie verirrt. Sie wissen vielleicht, was es heißt, sich in einem Walde verirren, aber das ist gar nichts im Verhältniß zu dem Sichverirren in den Prairien. So lange ich an der Prairie wohnte, verirrten sich zwei Männer in ihr; Einer wurde von den Wölfen gefressen, von dem Andern hat man niemals wieder gehört. Sie werden sich nicht darüber wundern, wenn Sie sich erinnern, was eine Prairie ist. Ein Kind von fünf Jahren vollends kann nur hier und da über das Gras hinweg sehen und dann nie weit um sich. Bäume, nach denen man sich richten könnte, giebt es nicht, dagegen Wege genug zum Irreführen, Wege, welche die Indianer oder die Büffel machten, und die von einem fernen Walde oder Flusse zu einem andern führen. Jeder falsche Weg aber ist ein Weg zum Verderben und der Gefahren sind so viel, daß man noch gar nicht an Wölfe zu denken braucht.

„Ich setzte der armen Frau vergebens auseinander, daß mein Hund kein Spürhund sei und keiner andern Menschenspur folgen werde als der meinigen; sie wollte oder konnte nicht glauben, daß der Hund nicht Alles thun werde, was ich ihm heiße, und ich bereute es fast, etwas gesagt zu haben, das die Hoffnung in der geängstigten Brust der Mutter niederschlagen konnte. Ich hatte es wahrhaftig nicht gethan, um mir eine Mühe zu ersparen, denn ich wäre auf jeden Fall mit ihr gegangen.

„Ich ging mit ihr. Unterwegs erzählte sie mir, ihr kleiner Knabe habe vor der Thür des Hauses gespielt, während sie den Männern das Essen auf die Prairiefelder getragen. Als sie zurückgekommen, sei er nicht da gewesen; sie sei in die Prairie hineingelaufen, um ihn zu suchen und habe ihn gerufen, bis die Männer sie gehört hätten und zu ihr gekommen wären, ihr suchen zu helfen; noch vor Abend wären auch ihre wenigen Nachbarn, Männer und Weiber, gekommen und hätten sich ihrem Suchen angeschlossen, aber die finstere Nacht sei eingebrochen und sie hätten noch keine Spur von dem Kinde gefunden; sie sei mit ihrem Manne die ganze Nacht umhergelaufen, habe gerufen, geschrieen, Lärm gemacht, um wenigstens die wilden Thiere aus der Nähe zu verscheuchen und als es endlich Morgen geworden, sei sie in ihrer Verzweiflung zu mir gegangen, damit ich mit meinem Hunde ihr Kind suchen helfe. Das erzählte sie, während sie so rasch lief, daß ich mit meinem Jägerschritt ihr kaum gleich bleiben konnte.

„Wir erreichten ihr Haus als die ersten Morgenstrahlen darauf schienen. Es war ein kleines Breterhaus, so groß als es eben die Länge der Breter gab und stand dicht an der Grenze des angebauten Landes. An den Seiten des Hauses, mit Ausnahme der Thürseite, war einen Fuß dick Prairierasen bis an das kleine Fenster hinan gelegt und an der Mittagsseite führte von der Thür ein Weg hinunter zu einer Quelle. Ein Wagen, ein Pflug und einige andere Ackergeräthschaften lagen und standen umher. An der Thür standen ein Paar kleine Holzschuhe, die der kleine Hans hatte stehen lassen. Ein nicht umzäunter Platz am Hause war bebaut und nach Norden und Osten hin sah man einige wenige andere ähnliche Farmen in weiten Entfernungen aus einander, nach Süden und Westen aber die grenzenlose Prairie ohne Strauch und Baum so weit das Auge reichte.

„Die Sonne, sagte ich, war eben aufgegangen als wir ankamen. Ein Sonnenaufgang dort ist auch etwas Eigenthümliches. Man sieht da in der Prairie nicht schattige und sonnige Stellen abwechseln, je nachdem ein Baum, ein Hügel das Licht aufhält. Ein Lichtguß breitet sich auf einmal über die grüne Fläche und das Licht wird nur heller und stärker je höher die Sonne heraufsteigt.

„Auf den Fußwegen sahen wir bereits hier und da Leute hingehen, um noch einen Tag lang nach dem Kinde zu suchen.

„Mein Plan war bald gemacht. Ich nahm einige Kleidungsstücke von dem Knaben, hielt sie dem Hunde hin und suchte ihm

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 584. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_584.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)