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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Aber Sie müssen doch wissen, mein lieber Freund – –“

„Ich weiß nur, daß die Dame ein Recht hat, hier zu wohnen, und daß es meine Pflicht ist, ihr zu gehorchen. Vielleicht kann Ihnen der Herr Pfarrer mehr sagen. Sie begreifen wohl, daß ein Kastellan nur ein Diener ist.“

Arnold schwieg; ohne den Greis, der in einen schmalen Gang trat, weiter zu grüßen, eilte er die Treppe hinab, um in das Freie zu gelangen. Die Abendröthe lag feurig auf der bewaldeten Hügelkette, die sich jenseits des Dörfchens ausbreitete, und jene wunderbare Ruhe in der Natur war bereits eingetreten, die das Nahen der Sommernacht verkündet. Der arme Kandidat befand sich in einer Verfassung, die er bis zu diesem Augenblicke nicht gekannt hatte. Die herrliche Abendlandschaft hatte für ihn keinen Reiz mehr, alle seine Gedanken waren mit der überirdischen Erscheinung der Jungfrau beschäftigt. Wie ersehnte er die Rückkehr des Onkels, von dem er Auskunft erwartete, obgleich er nicht wußte, wozu sie ihm nützen könne. So hatte er das nächste Wäldchen erreicht, das durch den Rasenplatz von dem Schlosse getrennt ward. Er lehnte sich an den schlanken Stamm einer Buche, und sah nach dem stattlichen Gebäude hinüber, das von der Abendröthe goldig beleuchtet vor ihm lag. Da sah er, wie langsam eine weiße Gestalt auf den Söller hinaustrat, wie sie beide Hände ausstreckte, an dem Steingeländer stehen blieb und dann ruhig die Landschaft überschaute.

„Da ist sie!“ dachte Arnold und ein leises Frösteln durchrieselte seinen ganzen Körper.

Seine Phantasie verlor sich in wunderbaren Träumen. Die weiße Jungfrau auf dem Altane des altergrauen Schlosses, strahlend im Abendscheine, gewährte in der That ein Bild aus der alten Ritterzeit, und der eigene Reiz desselben war völlig geeignet, den Eindruck tiefer einzuprägen, den die Erscheinung der wunderholden Cäcilie in der Kapelle auf sein Herz ausgeübt. Da stand sie ruhig und regungslos und Arnold war selbst anmaßend genug zu glauben, daß seine Person ihre Aufmerksamkeit erregt habe. Welcher andere Gegenstand konnte sie so lange fesseln? Es war ersichtlich, daß ihre Blicke nur auf ihn gerichtet waren. Die Dämmerung hatte sich bereits auf das Thal herabgesenkt und die Jungfrau glich nur noch einem weißen Schatten, als die Stimme des Pfarrers den Träumer weckte. Arnold schämte sich seiner Reizbarkeit, er suchte seine gewöhnliche Ruhe zu erkünsteln und folgte schweigend dem Greise, der ihn zur Heimkehr aufforderte. Als er den letzten Blick nach dem Söller richtete, war die Jungfrau verschwunden und ein helles Licht schimmerte aus der geöffneten Thür. Verstohlen beobachtete Arnold nun den Onkel, der still und mit ernsten Mienen an seiner Seite ging. Den sonst so redseligen Alten schienen wichtige Dinge zu beschäftigen. Als sie die Häuser des Dorfs erreichten, folgte der Kandidat dem Drange seines Herzens und richtete die erste Frage an den Pfarrer. Seine Antwort war ausweichend wie die des Kastellans, und als die Spaziergänger vor dem freundlichen Pfarrhause standen, wußte Arnold nichts weiter, als daß Mutter und Tochter den Sommer auf dem Schlosse zubringen würden. Der junge Mann forschte nicht weiter, und als er gewahrte, daß der Greis selbst bei Tische seiner Gattin und Tochter den im Schlosse stattgehabten Vorgang verschwieg, beschloß er, das Geheimniß zu ehren. Sein Besuch sollte noch acht Tage dauern, und in dieser Zeit hoffte er Aufschluß zu erhalten, wenigstens so viel, um in seiner Erinnerung mehr zu bewahren, als die Gestalt des reizenden Mädchens.


II.

Das Schloß Krayen, obwohl seiner Felder und Wälder beraubt, war im Innern noch glänzend eingerichtet. Treu der Religion ihrer Ahnen hatten es die edeln Bewohner verstanden, den ernsten und großartigen Styl der alten Baukunst mit der zierlichen Pracht ihres Zeitalters zu verjüngen, und als der Vater des leichtsinnigen Richard von Krayen starb, desselben von dem der Pfarrer gesprochen, fehlte nichts, was das glänzende und bequeme Leben eines begüterten Grafen erforderte. In diesem Zustande befand es sich noch heute. Richard, ein wüster Junker, hatte es verlassen und der Obhut des alten Klaus übergeben, der es gewissenhaft verwaltete. Außer dem reichen Silbergeschirr, das der Junker zu Gelde gemacht hatte, fehlte nicht ein Stück des Inventars.

Wir betreten in dem Augenblicke ein Zimmer des Schlosses, als die Uhr auf dem Hauptthurme desselben die neunte Stunde verkündet. Kostbare, moderne Möbel stehen an den Wänden, die mit dunkelrothen Tapeten bekleidet sind. Eine große Astrallampe verbreitet ein helles Licht, so daß sich die theuern Oelgemälde in großen Rahmen deutlich erkennen lassen. Den Boden bedecken weiche Teppiche. Man hätte glauben mögen, das Zimmer sei immer bewohnt gewesen. Die beiden Damen, die der Leser in der Kapelle kennen gelernt, befinden sich in diesem reizenden Gemache. Die Mutter schließt so eben ein Portefeuille, in das sie Notizen eingetragen – die Tochter steht ruhig an dem offenen Fenster, ihr liebliches Gesicht der erfrischenden Abendluft preisgebend.

„Cäcilie!“ rief sanft die Mutter, indem sie einen schmerzlichen Blick auf die Tochter heftete.

Die Angeredete wendete ihr Haupt zur Seite und fragte mit ihrer kindlichen, wohlklingenden Stimme: „Hast Du Deine Geschäfte beendet, liebe Mutter?“

„Für heute ist Alles gethan – das Inventarium werde ich in den nächsten Tagen prüfen. Dem Kastellan habe ich die nöthigsten Aufträge ertheilt, und ich bin nun wieder die Deine.“

Cäcilie wandte sich von dem Fenster ab.

„Ach, daß ich Dir nicht nützlich sein kann, daß ich Dir nur Sorgen mache und Deine Aufmerksamkeit stets in Anspruch nehmen muß!“ sagte sie mit einem Seufzer. „Wo ist das Sopha?“ fragte sie dann, indem sie ihre beiden zarten Hände ausstreckte.

Die Mutter ergriff eine derselben und führte die Tochter zu dem Sopha.

„Habe nur noch wenig Tage Geduld, Mutter,“ sagte sie während des langsamen Gehens mit einem schmerzlichen Lächeln; „ich bin hier so fremd – wenn ich nur einigemal noch an Deiner Hand diese Räume durchwandert bin, so werde ich Deiner Führung nicht mehr bedürfen, ich will alle Gegenstände genau meinem Gedächtniß einprägen.“

„Wie befindest Du Dich hier?“ fragte die Mutter, indem sie sich neben der Tochter niederließ.

„Die Luft ist köstlich, und ich athme freier als in der Stadt.

Dort drüben müssen schöne Wälder liegen, denn ein frischer Duft dringt zu mir – –“

Der Mutter traten die Thränen in die Augen; sie küßte die Stirn der Tochter, indem sie ausrief: „O, daß es Dir nicht vergönnt ist, die herrliche Natur zu sehen! Wie gern gäbe ich den Rest meines Lebens darum, könnte ich Dir das Augenlicht erkaufen.“

„Mutter, schon wieder sprichst Du diesen Wunsch aus!“ sagte Cäcilie mit sanftem Vorwurfe. „Muß ich Dir wiederholen, daß Du meine Lage verkennst? Nur ein Gut, das man besessen, entbehrt man. Ich habe nie die Welt gesehen, obgleich ich seit zwanzig Jahren darauf lebe – und so habe ich mir meine eigene Welt gebildet, in der Du mein schützender Engel bist. Du hast mich erzogen, gebildet, mit unsäglicher Geduld zu dem gemacht, was ich etwa bin, und Deine Stimme zu hören, Deine Hand zu fühlen ist mir Bedürfniß. Glaube mir, ich bin ganz glücklich!“

„Du liebes Kind! Verzeihe meiner Mutterliebe, wenn sie für Dich ein Gut ersehnt, dessen Du nie theilhaftig werden kannst. O, daß es mir versagt ist, mehr für Dich zu thun!“

Sie küßte die großen blauen Augen der Tochter, die so klar waren, daß man ihnen kaum die Sehkraft hätte absprechen können.

„Mutter,“ sagte Cäcilie lebhaft, um an ihr Glück glauben zu machen, „ich habe Dich nie gesehen, aber mein Herz hat sich ein Bild von Dir geschaffen, das ähnlich sein muß. Ich erkenne Deinen Schritt, jede Deiner Bewegungen, selbst das Rauschen Deines Kleides unterscheide ich - -“

„Cäcilie, Du willst mich täuschen!“ flüsterte sie mit sanftem Vorwurf.

„Mutter!“

„Ich habe diese Besitzung gekauft, um Dir eine andere Umgebung zu schaffen, um Dich der geräuschvollen Stadt zu entziehen, die Dir lästig zu sein schien. Das Schloß Krayen vereinigt Alles, was Deinen Neigungen entspricht – Cäcilie, Dir fehlt noch etwas! Ich halte es für einen Mangel an Vertrauen, wenn Du Dich nicht offen gegen mich[WS 1] aussprichst. Cäcilie, hilf mir Deine Nacht aufzuhellen, hilf mir dem Drange meiner Mutterliebe folgen, Dich ganz glücklich zu machen. Mit unserer Uebersiedelung in diese Gegend soll ein neues Leben beginnen –“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: micht
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_591.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2020)