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guten Kaffee und trug ihn dem Gaste hinauf. Arnold hatte bereits seine Kleider gewechselt und saß nachdenkend im Sopha. Er erhob sich, als Concordia eintrat.

„Vetter,“ flüsterte sie unter tiefem Erröthen, „darf ich bis morgen noch auf Ihre Verschwiegenheit zählen?“

Arnold reichte ihr gerührt die Hand.

„Liebe Cousine,“ sagte er mit bewegter Stiiiime, „Sie haben mich durch Ihre Briefe zum Theilhaber Ihres Herzensgeheimnisses gemacht, das ich ehre. Ich wiederhole meinen innigen Glückwunsch. Möge Ihnen die Erinnerung an das diesjährige Weihnachtsfest stets eine frohe bleiben und Sie bis in Ihr spätes Alter begleiten.“

„Vetter Arnold,“ stammelte sie bewegt, „auch Ihnen wird das Fest eine Freude bereiten, die Sie vielleicht kaum erwartet haben. Jetzt darf ich noch nichts sagen, der Vater hat es sich selbst vorbehalten. Es ist Ihr Glück, daß Sie gekommen sind.“

„Mein Glück!“ wiederholte Arnold mit einem schmerzlich bittern Lächeln.

„Predigen Sie gut, mehr kann ich Ihnen nicht sagen!“ – Nach diesen Worten entschlüpfte sie aus dem Zimmer.

Arnold holte ein Manuscript hervor und begann halb laut seine Predigt noch einmal zu überlesen.




VI.

Der Christabend war angebrochen. Das Schneegestöber hatte aufgehört und die Sterne flimmerten am kalten, klaren Winterhimmel. Cäcilie befand sich bei ihrer Mutter. Die Dame las der Blinden aus einem Buche vor. Da erklangen plötzlich die Glocken der Dorfkirche durch den stillen Abend. Die Hofräthin schwieg, und sah zu ihrer Tochter hinüber. Eine wehmüthige Freude drückte sich in den schönen, bleichen Zügen Cäcilien’s aus.

„Die Glocken rufen zur Christmesse!“ flüsterte sie. „Nicht wahr, Mutter, es ist jetzt Abend – oder irre ich mich?“

„Nein, mein Kind, Du irrst nicht! Es ist jetzt Abend, und die Glocken rufen zum Gottesdienste. Wie ich diesen Morgen gehört habe, wird unser würdiger Freund, der Pfarrer, zum ersten Male seit seiner Krankheit die Kanzel wieder betreten. Du hast Concordia versprochen, dem Gottesdienste beizuwohnen –“

„Mutter, führe mich zur Kirche!“ bat die Blinde in rührenden Tönen. „Ich will den Christabend auf meine Weise begehen!“ fügte sie leise und zitternd hinzu.

Die Hofräthin küßte gerührt die Stirn ihrer Tochter. Dann gab sie Befehl, daß in einer halben Stunde der Wagen vorfahre, um sie nach der Kirche zu bringen. Die Kammerfrau erschien, und half den Damen bei der Toilette. Cäcilie trug einen kostbaren Mantel von braunem Sammet, der mit dem zartesten weißen Pelze verbrämt war. Ein weißer Atlashut mit wallender Feder schmückte den reizenden Kopf. Mit schmerzlichem Entzücken betrachtete die arme Mutter die schöne, aber unglückliche Tochter. Da erklangen die Glocken wieder. Die Hofräthin ergriff schweigend die zarte Hand Cäcilien’s, und folgte dem voranleuchtenden Diener. Man bestieg den Wagen, der die Frauen in einigen Minuten zur Kirche brachte. Das kleine ländliche Gotteshaus war hell erleuchtet, und seit langen Jahren zum ersten Male wieder brannten die Kerzen der großen Armleuchter der herrschaftlichen Emporkirche. Die festlich geschmückten Landleute, die sich bereits versammelt hatten, sahen mit Erstaunen und Neugierde die beiden Damen eintreten. Nach ihnen kam Concordia, die stolz an Cäcilien’s Seite Platz nahm.

Nun erklangen die Töne der Orgel, und bald mischte sich mit ihnen der einfache, schlichte Gesang der ländlichen Gemeinde, die versammelt war, den heiligen Christabend nach alter, hergebrachter Weise zu begehen. Während des Chorals erschien auch der alte Pastor Braun, in seinen großen Pelz gehüllt; er nahm still auf der letzten Bank seinen Platz ein, um ungesehen die Predigt des Neffen zu hören. Die Frauen hatten seine Ankunft nicht bemerkt. Die Hofräthin beobachtete mit zärtlicher Sorgfalt ihre Tochter, und Cäcilie lauschte andächtig den Tönen des Chorals. Da trat plötzlich der Prediger auf die Kanzel, die durch einen Kranz brennender Kerzen beleuchtet ward. Es war Arnold im schwarzen Talar und die große Bibel mit dem glänzenden Goldschnitte im Arme tragend. Sein Gesicht war ungewöhnlich bleich, aber deutlich sah man die glühende Lebendigkeit seiner großen Augen. Die Hofräthin war erstaunt, einen fremden Prediger zu sehen, und sie richtete deshalb fragende Blicke auf Concordia; diese aber winkte lächelnd mit der Hand, um die Dame zu beruhigen. Der Gesang schwieg, die letzten Töne der Orgel verklangen, und eine Grabesstille herrschte in dem Gotteshause, obgleich es ungewöhnlich angefüllt war. Neugierde und Andacht machten jedes Flüstern verstummen. Der Kandidat ließ seine Blicke durch den weiten Raum schweifen, als ob er sich zuvor der allgemeinen Aufmerksamkeit versichern wollte. Einen Augenblick hafteten sie auf der herrschaftlichen Kapelle, wo die Damen in einem hellen Lichtkreise saßen, und Concordia, die mit Spannung lauschte, glaubte ein leichtes Beben zu bemerken, das den Vetter durchzuckte – dann aber sah er wieder empor und rief mit kräftiger, volltönender Stimme die Worte, die den Hirten auf dem Felde die Geburt des Heilandes verkündeten. Da auch bebte Cäcilie zusammen, sie ergriff krampfhaft die Hand der Mutter, und preßte sie an ihr ungestüm klopfendes Herz.

„Mutter,“ flüsterte sie, „diese Stimme – er ist’s! Er ist’s!“

„Um Gotteswillen, mein Kind,“ flüsterte die bestürzte Dame, „fasse Dich!“

„Besorge nichts, Mutter, ich begehe ein herrliches, schönes Christfest!“

Nach diesen Worten faltete die Blinde die Hände, und begann mit unbeschreiblicher Andacht zu lauschen. Ihr Gesicht verklärte sich zu dem eines Engels. Arnold hielt dieselbe Rede, die er ein Jahr zuvor in dem Dome der Residenz gehalten; aber heute, vor der kleinen ländlichen Gemeinde, trug er sie mit größerer Begeisterung vor, denn er wußte ja, daß das Ideal seiner Träume sich unter den andächtigen Zuhörern befand. Das war Feuer, das war Kraft und eine Fülle schöner Gedanken! Wie die eines Verklärten leuchteten seine Blicke und der begeisterten Brust, die keine Hoffnung auf irdisches Glück mehr hegte, entquoll eine Reihe herrlicher, poetischer Gedanken. Der greise Pfarrer saß still auf seiner Bank, aber Thränen einer freudigen, frohen Andacht rollten über seine gefurchten Wangen. Er hatte sich viel von Arnold versprochen, aber eine solche Rede hatte er nicht erwartet.

Der Kandidat schloß seine Predigt mit dem üblichen Gebete. Da sank Cäcilie auf die Knie und betete halblaut mit.

„Amen!“ sagte sie zu gleicher Zeit mit dem Prediger.

Arnold hatte die Kanzel verlassen, und der Schlußchoral ward gesungen. Als sich die Hofräthin erhob, bemerkte sie den Pfarrer. Sie flüsterte ihm einige Worte zu.

„Mein Neffe?“ rief in höchster Ueberraschung der Greis aus.

„Er ist der Prediger, nach dem wir forschten. Sehen Sie meine blinde Tochter an!“

Concordia führte Cäcilien auf den Corridor vor der Kapelle; das arme Mädchen ließ sich willenlos leiten, denn ihre Leidenschaft war mit ganzer Gewalt von Neuem erwacht. Aus einzelnen abgerissenen Worten erklärte sich die schlaue Concordia, der der Zustand der Blinden während der Predigt nicht entgangen war, sofort den Zusammenhang.

„Den lieben Sie, Cäcilie?“ fragte sie, zitternd vor Freude. „Sprechen Sie sich offen aus, ohne Rückhalt!“

„Concordia, Sie sind Braut, Sie können mich verstehen!“

„Ich verstehe Sie, und werde nun auch für Sie handeln.“

In diesem Augenblicke erschienen die Hofräthin und der Pfarrer.

„Concordia, ich habe mit Dir zu reden.“

„Dessen bedarf es nicht, Vater. Halten Sie mich nur nicht auf, ich muß gleich mit dem Vetter reden! Und Sie, Väterchen, können hier auf der Stelle, in Gegenwart dieser Dame erfahren, daß ich Vetter Arnold nie heirathe, denn ich hatte schon meinen Bräutigam, ehe er vorigen Sommer zu uns kam.“

„Wen?“ fragte der Greis, der aus einer Ueberraschung in die andere verfiel.

„Sie werden ihn zu Hause antreffen – das ist meine Bescheerung. Der Vetter weiß es schon, ich habe ihn eingeweiht, und er ist sehr zufrieden damit.“

Der Pfarrer überlegte einen Augenblick. Dann bat er die Hofräthin und Cäcilien, für heute Abend seine Gäste zu sein. Concordia, außer sich vor Freude, trug Cäcilien fast in den Wagen. Der Pfarrer ging zu Arnold in die Sakristei. Als die Frauen in das Wohnzimmer des Pastors traten, fanden sie einen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_631.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)