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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

dieselben höhnend wieder empor an’s Tageslicht. Dabei wurde es auf einmal zurückgeschleudert, als die Kosaken schon Miene machten, sich dessen zu bemächtigen. Unwillig über diese Verkürzung ihrer Ernte griffen sie nach ihren Gewehren und schossen die dreißig Menschen von den Planken herunter, auch die Mutter mit dem Kinde. Das Geschrei der Mutter drang durch das Gebrüll des Sturmes. Sie graspte nach dem Kinde, aber die tobenden Wasser gestatteten ihr nicht, vereint mit ihm in die Tiefe zu sinken.

Im Hafen von Balaklava haben nur wenige große Kriegsschiffe Raum, so daß eine ziemliche Anzahl derselben und von Transportschiffen außerhalb desselben in einer Tiefe von 30 Klaftern hatten Anker werfen müssen. Aus diesen Tiefen erheben sich gewaltige Granitmassen ganz senkrecht wie Mauern, bis 700 Fuß hoch, so daß sie nicht einen Zoll breit Terrain gewähren, um den Fuß des Schiffbrüchigen aufzunehmen. Hier nun zerschmetterte der Sturm acht Transportschiffe erster Klasse. Von den 320 Matrosen und Mannschaften derselben konnten blos dreißig gerettet werden. Und hier machte der Sturm sein Meisterstück unter wackerem Beistande von Engländern selbst. Er zertrümmerte und verschlang eins der stolzesten Dampfkriegsschiffe „Prince“ von 2700 Tonnen Last mit sämmtlicher Winterbekleidung für die Armee, darunter 40,000 große Pelze, wollene Decken, Unterkleider, Strümpfe und Handschuhe, geräuchertes und luftdicht eingemachtes Fleisch, Hospitalbedürfnisse für Scutari, eine ungeheuere Masse von Munition zur Fortsetzung der Belagerung und 300 Menschen, darunter Frauen und Kinder von Soldaten in ziemlicher Menge. Daneben ging auch das Schiff „Resolute“ mit 18,000 Centner Schießpulver in den Grund. Die Times hat die Unverschämtheit, den Verlust des „Prince“ ganz besonders der „mysteriösen Fügung des Himmels“ zuzuschreiben. Es hatte sechs Tage vorher das 46. Regiment in Balaklava gelandet und darauf alle die untergegangenen unendlich kostbaren, nothwendigen Bedürfnisse der Armee 6 mal 24 Stunden bei sich behalten. Als es nun den Sturm über sich daherbrausen sah, versuchte es zu ankern. Der Anker ging sofort mit dem ganzen ungeheuern Taue in den Grund, weil letzteres nicht ordentlich befestigt war. Der zweite Anker nahm das Tau auch mit und zwar aus demselben Grunde. Jetzt versuchte es dem Sturme entgegen zu dampfen, um aus dem Bereiche der furchtbaren Klippen zu kommen und inzwischen ein kleineres, schwächeres Tau und einen kleineren Anker zurecht zu machen. Mit demselben hielt es sich bis zu dem fürchterlichen Morgen des 13. November, wo der Sturm Tau und Anker mit sich fortriß und gegen die 700 Fuß hohen Granitmauern schleuderte. Man kappte jetzt alle Masten und rasirte das ganze Deck von allen hervorragenden Gegenständen, die der Sturm packen konnte und ließ die Dampfmaschinen mit demselben auf Tod und Leben kämpfen. Aber die schon beschädigte Schraube erwies sich zu schwach, so daß es nach kurzem ohnmächtigen Kampfe gegen die Felsen geschleudert ward und in unzähligen Splittern zurückprallte, wie ein schwaches, gegen einen Stein geschleudertes Glas. Es hatte über 100,000 Thaler gekostet (von der Regierung kurz vorher gekauft) und für 3,500,000 Thaler Güter nebst 300 Menschen an Bord. Alles sank jetzt in die Tiefe. Nur etwa 30 Menschen wurden gerettet. Von diesen erwähnt Einer in seiner Schilderung eine Scene unmittelbar vor der Zerschmetterung des Schiffes. Eben schoß es von einem Meeres-Chimborasso herunter nach den Felsen zu, als ein Matrose, der mit allen andern bisher rüstig gearbeitet, ausrief: „Heisah, noch zwei solche Fahrten und wir trinken Wasser. Schicken wir etwas Spiritus voraus!“ Und so trank er und gab die Flasche weiter. Man trank herum, stellte sich in eine Reihe, nahm die theerigen Mützen mit den großen Schirmen hinten ab, blickte gen Himmel und blieb dann an einander gereiht Hand in Hand stehen, bis das Schiff sich mit einem dumpfen Krach alle Glieder bis in die kleinsten Theile zerschmetterte. Ein Offizier hatte kurz vorher eine Dame geküßt, sie dann in seine Arme geschlossen und so den Todesstreich ruhig und lautlos erwartet, eben so die Dame.

Solch edler, moralisch kräftiger, tragischer Heldenmuth in dem Einzelnen unten, und solche Feigheit und Halbheit und Liederlichkeit und Gewissenlosigkeit im Offiziellen, Administrativen und Diplomatischen! –

Am 13. November Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr erreichte die beispiellose Raserei des Sturmes die höchste Erhabenheit seiner verwüstenden Allmacht. Um diese Zeit standen einige Offiziere auf der Anhöhe nördlich von Eupatoria dicht vor den wallenden Alpen des Meeres, das mit seinen spitzen, hohen Wasser-Gletschern hier und da weit über die hohen Felsen herüber und mit Regen- und Schneehieben in die Thäler hinunterschlug. Nur mit Mühe konnten sich die Offiziere, an Felsstücke gelehnt halten, da selbst die Fernrohre vor ihren Augen von einzelnen Stößen des Sturmes aus ihrer Richtung geschleudert wurden. Aber das furchtbare Schauspiel zwischen den donnernden Labyrinthen hoch aufkochender Wassergebirge war zu fesselnd, als daß sie hätten ihren Platz verlassen können. Mitten aus den tosenden Meereswogen heraus und in die wüthenden Streiche des Sturmes und Schnees hinein züngelten blendende, lange Feuerstrahlen in allen möglichen Richtungen, wie verzweifelte Gestikulationen eines zwischen den Wassern umhergeschleuderten Ungeheuers. Es war ein brennendes Schiff, dessen glühende, funkensprühende Feuerzungen gar schauerlich auf die dunkeln, schwarzbraunen Wogen herableuchteten und ihre wallenden Kämme mit den herrlichsten Farbentinten illuminirten. Das brennende Schiff gerieth unter eine Menge andere französische und englische, die zum Theil mastlos wie Nußschaalen von einem Wasserrücken auf den andern geschleudert wurden. Von den Flammen wurde keins ergriffen, desto mehr von der unersättlichen Wuth des Sturmes, der mit wahrer Wollust bald hier, bald da je zwei um zwei zu fassen und gegen einander zu zerschmettern schien. Nach einer solchen Scene kam ein Matrose auf einem langen Maste über die Wogen daher geritten, bald in der Tiefe verschwindend, bald über die Spitzen der Wogen mit dem Kopfe seines spitzigen, langen Pferdes hervorragend. Aber er hielt sich sattelfest, obgleich er zuweilen hoch in die Luft hinausragte, um sich sofort wieder in ein tiefes Wasserthal zu stürzen. Da ritt er pfeilschnell heran nach dem steilen Gestade. Ein Tau in seiner Hand gab ihm ganz das Ansehen eines Reiters. Aber nach einer halben Minute dicht am Lande aus der Tiefe triefend emporgeschleudert und durch die Lüfte getragen schoß der lange Kopf seines Steckenpferdes gegen die Felsen, und er flog zerschmettert in ganz abgerissenen Stücken in das Meer zurück, das im Nu wohlthätig eine Woge über den schauerlichen Anblick hinwarf. –

Zwischen Balaklava und Sebastopol hatten sich hinter den verschiedenen Stationen der belagernden Heeresabtheilungen auf felsigem, von schmutzigen Gräben und Thälern durchfurchten Boden eine Menge Leinwandstücke erhoben, freilich lange nicht genug, um allen Soldaten, denen zuweilen einige Stunden der Ruhe (mit Sack und Pack, Gewehr im Arm) gegönnt wurden, Schutz vor Regen und Nachtfrost zu gewähren. Viele mußten sich im Freien in die Erde graben, um da, wie in einem Grabe, geschützt vor den Kugeln der Russen, ein Stündchen Schlaf zu erhaschen. Die leichten Zelte aber verschwanden in der Nacht vom 14. zum 15. November fast alle binnen wenig Stunden. Nachdem der Sturm auf dem schwarzen Meere seine Wuth gekühlt zu haben schien, fuhr er mit neuer Tobsucht zwischen diese Leinwandstückchen und riß Hunderte von Pfählen mit einem Ruck aus, um dieselben an den leinenen Wänden gepeischt und geschwungen den Schlafenden und Wachenden an die Köpfe zu schlagen und ihnen Arme und Beine damit zu brechen. Mit seiner eigenen Stärke nicht zufrieden, schlug er noch bewaffnet mit Geißeln von Schnee und Hagel blind durch die Nacht auf Schlafende, Wachende, Gesunde, Kranke und Sterbende herab und bedeckte letztere mit Leichentüchern, noch ehe sie ganz erfroren waren. Dazwischen wirbelten plötzlich die Alarmtrommeln und schmetterten die Hörner, um zum Kampfe zu rufen. Schon blitzten Salven hervordringender Russen durch die Nacht und zischten deren Kugeln durch Zelte und Menschen. Der Angriff wurde auch unter diesen furchtbaren Umständen zurückgeschlagen, aber inzwischen waren die meisten Zelte zerrissen, zerstört und vom Sturme durch die Lüfte mit fortgeschleudert worden. Und die Winterzelte sollen erst jetzt in verschiedenen Häfen und Städten angekauft werden, sodaß man Hoffnung hat, dieselben fertig zu haben, wenn die Frühlingssonne auf deren Dächer oder auf die Massengräber Derer scheint, die darin hätten wohnen können, wenn Aberdeen nicht ein zu alter, friedliebender, zaghafter Diplomat gewesen wäre. –

Nachdem der Sturm die Leinwandhütten der Engländer, Franzosen und Türken zerrissen und in Fetzen mit sich fortgezaust hatte, beschäftigte er sich noch mit mehr Muße mit Todtbeizung und Begrabung der Kranken unter Schnee. Während der Zeit aber donnerte und sauste er wüthend hinunter nach der weiten Ebene und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_643.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)