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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Wangen. Robert harrte in ängstlicher Spannung ihrer Antwort. Sein ganzes Wesen verrieth die schrankenlose Leidenschaft, die in seiner Brust tobte. Und wahrlich, wie keine Andere war Helene fähig, die Gluth der Liebe in einem jugendlichen Herzen zu entzünden; sie verdiente es, das Prinzip aller Handlungen Roberts zu sein.

Als sie immer noch schwieg, flüsterte Robert mit bebender Stimme:

„Verzeihung, Helene, ich wollte Sie nicht kränken, ich weiß, daß die Liebe einer langen Vertraulichkeit bedarf, um eine offene Erklärung zu wagen; aber zweifeln Sie deshalb nicht an meiner Aufrichtigkeit, ehe ich mich Ihnen entdeckte, habe ich mich geprüft, und ich fand kein anderes Mittel, meinem qualvollen Zustande ein Ende zu machen, als Ihnen meine Hand und mein Vermögen anzutragen! Darf ich mit Ihnen vor meine Mutter treten –?“

Jetzt schlug Helene ihre großen, seelenvollen Augen auf, in denen helle Thränen erglänzten.

„Und wenn Sie sich dennoch getäuscht hätten?“ fragte sie mit vor Rührung zitternder Stimme. „Wenn Sie das für eine zärtliche Neigung hielten, was nichts anderes ist als Mitleid mit einem armen, allein stehenden Wesen, das Ihrer Mildthätigkeit empfohlen ward?“

„Ich schwöre Ihnen, Helene, daß ich mich nicht täusche!“ rief hingerissen der junge Mann. „Dort im Saale tanzen die ersten Schönheiten der Residenz, sie haben sich bis zum Ueberflusse geschmückt, um zu strahlen – sie lassen mich kalt, Helene, und ich bedauere die Anstrengungen, die man macht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Verbannen Sie diese Bedenken, und können Sie meine Liebe erwiedern – – –“

„Herr Robert,“ fiel sie rasch ein, „wie undankbar muß ich Ihnen erscheinen, daß ich auf so ehrende Anträge eine ausweichende Antwort gebe. Es lastet ein Familiengeheimniß auf mir, dessen Bewahrung eine heilige Pflicht ist. Ich sage, es lastet auf mir, und dennoch darf ich es nicht aussprechen, selbst um den Preis des großen Glückes, das Sie mir so eben in Aussicht stellten; und durch Ihre Hand in den Kreis einer hochachtbaren Familie eingeführt zu werden, halte ich für ein Glück, das ich kaum verdiene. Mein Herr,“ fuhr sie unter leisem Schluchzen fort, „ich werde es als ein Zeichen Ihrer wirklichen Achtung halten, wenn Sie mir die Erfüllung meiner Pflicht dadurch erleichtern helfen, daß Sie meine Schuld gegen die Großmuth ihrer Familie nicht vermehren. Herr Simoni, ich kann, ich darf Ihnen jetzt nicht mehr sagen; aber es kommt ohne Zweifel eine Zeit, wo ich meine Dankbarkeit in ihrem ganzen Unfange an den Tag legen kann.“

Dem jungen Manne fehlte der Muth, weiter in Helenen zu dringen. Wie schön, wie heilig erschien sie ihm in ihrem stillen Schmerze, dessen Grund er auch jetzt nicht erfahren sollte, nachdem er sich so rückhaltlos erklärt hatte. Die Zweifel, die sie in sein Herz geschleudert, stachelten die Eifersucht an, und dieser Scorpion steigerte seine Liebe bis zur Anbetung. Wie groß, wie erhaben mußte ihre Neigung sein, da sie es vorzog in einer abhängigen, untergeordneten Stellung zu bleiben, für die sie offenbar nicht geboren war, statt die Hand eines reichen jungen Mannes anzunehmen, um dessen Besitz sie die Töchter der ersten Familien beneiden würden. Robert hatte längst gefühlt, daß Helene kein gewöhnliches Weib war; jetzt vergrößerte sie seine Achtung durch die ruhige Ergebung in ihr Schicksal.

Der Tanz in dem Saale war zu Ende, und das Zimmer füllte sich mit fröhlichen Herren und Damen. Auch Herr Petersen erschien, der Miene machte, sich nach dem Befinden seiner Tänzerin zu erkundigen.

Robert und Helene erhoben sich.

„Ich versprach Ihnen, Sie zu meiner Mutter zu führen,“ sagte er laut. „Sie wird sich in dem blauen Zimmer befinden – ich bitte um Ihren Arm!“

Begleitet von der allgemeinen Aufmerksamkeit der Anwesenden verließen die beiden jungen Leute das Gemach. Sie betraten das blaue Zimmer, und hier treffen sie Madame Simoni. Die Wittwe, eine Frau von einigen fünfzig Jahren und ungewöhnlicher Corpulenz, saß in einem großen Lehnstuhle.

„Gut daß Du kommst!“ rief sie ihrem Sohne entgegen.

„Warum?“

„Es steht uns eine Ueberraschung bevor. Da Du der Veranstalter des Balles bist, wird sie Dir doppelt willkommen sein.“

„Was ist es, Mutter?“ fragte Robert, der immer noch Helenen’s Arm in dem seinigen hielt.

„Ich wollte mich so eben zurückziehen, als Georg einen neuen Gast anmeldete, der mir allein vorgestellt sein wollte, bevor er den Saal beträte.“

„Hat er seinen Namen genannt?“

„Nein. Ich glaube den Empfang nicht verweigern zu dürfen; da ich aber bis zum Tode erschöpft bin, wirst Du bei mir bleiben; um die lästige Zeremonie abzukürzen.“

„Wann darf ich zurückkehren, um Madame Simoni in ihr Zimmer zu begleiten?“ fragte Helene, sich verneigend.

Die dicke Frau reichte lächelnd dem jungen Mädchen die Hand.

„Darf ich Sie bitten, liebe Helene, mich in dem kleinen Kabinette zu erwarten? Ich hoffe, Robert wird mir nach fünf Minuten den Rückzug gestatten.“

Der junge Mann führte Helenen höchst galant zu dem Kabinet, öffnete die mit Gardinen versehene Glasthür desselben, und ließ sie eintreten. Dann schloß er die Thür und kehrte mit einem unterdrückten Seufzer zu seiner Mutter zurück.

„Robert, Du bist verstimmt, während Deine Gäste jubeln!“ sagte sie. „Anstatt Dich im Saale zu zeigen, widmest Du deine ganze Aufmerksamkeit ausschließlich unserer armen Helene – was soll ich davon denken?“

Er neigte sich über den Armsessel zu ihr.

„Mutter, fragte er, hat Ihnen Helene noch keine vertrauten Mittheilungen gemacht? Wissen Sie immer noch nicht mehr als das, was Ihnen der Doctor gesagt hat?“

„Die Empfehlungen eines so würdigen Mannes genügen, mein Sohn, um alles Mißtrauen zu verbannen. Außerdem hat Helene in dem halben Jahre, das sie bei uns ist, sich des Vertrauens würdig gezeigt, das ich in sie gesetzt. Sie ist mir nicht mehr eine Gesellschafterin, die mir die Zeit verkürzt; sie ist mir eine unentbehrliche Freundin geworden. Trotzdem aber kann ich den Wunsch auszusprechen nicht unterlassen, daß Dein Benehmen gegen das junge Mädchen diskreter sein möge. Dies erfordert nicht nur Deine Stellung als Chef des Handlungshauses Simoni, es ist auch nöthig, wenn mein Verhältniß zu ihr dasselbe bleiben soll. Ich würde kein geringes Opfer bringen, müßte ich mich des Umganges des armen Mädchen entäußern. Herr Petersen, ein reicher Kapitalist, hat mir vor einiger Zeit nicht undeutlich seine Absichten auf Helenen zu erkennen gegeben. Ich kann mich nicht entschließen, das gute Kind darauf aufmerksam zu machen; es wird aber geschehen, Robert, wenn –“

„Wenn ich sie anders behandle, als ihre Dienerin?“ fragte Robert spöttisch.

„Wenn Du den Vorsatz ausführst, den Winter hier zu bleiben. Deine Pflicht ruft Dich nach Hamburg, und ich hoffe, Du wirst Deiner Pflicht genügen. Wir sprechen ausführlicher über diese Angelegenheit, Robert, denn sie ist mir von Wichtigkeit.“

In diesem Augenblicke öffnete Georg die Thür, ließ Franz, den Neffen der Wittwe, eintreten, und schloß sie wieder. Mutter und Sohn erkannten den Angekommenen nicht sogleich, der durch seine schlichte, durchaus nicht ballmäßige Kleidung ihre Verwunderung erregte. Franz war erstaunt, Robert vorzufinden, denn der alte Georg hatte ihn versichert, er werde die Tante ohne Zeugen sprechen. Er verneigte sich, trat der Wittwe näher, und küßte ihr ehrerbietig die Hand.

„Ein später und dabei ungeladener Gast!“ sagte er. „Madame Simoni wird dem Sohne ihres Bruders verzeihen, daß er sie den Freuden des Balls auf einige Minuten entzieht.“

„Franz!“ rief überrascht die Wittwe, indem sie den bleichen Mann anstarrte.

Der junge Kaufmann erwiederte den Gruß durch eine kalte, nachlässige Verbeugung, so daß Franz seine Absicht, ihm die Hand zu reichen, nicht ausführte.

„Ich bin auf der Reise,“ fuhr er fort; „ein Zufall setzte mich in Kenntniß, daß die Freuden der Sylvesternacht Sie wach erhielten, und ich zögere nicht, Sie um eine Unterredung bitten zu lassen, die für mich wichtig und Ihnen vielleicht nicht unangenehm ist, da ich Sie meine Tante nennen darf.“

„Der Vetter ist gewiß in Noth!“ fragte Robert in einem spöttischen Tone, der seine feindselige Gesinnung gegen Franz deutlich verrieth. „Wenn dies ist, kann er sich versichert halten, daß unsere Unterstützung ihm die Fortsetzung seiner Reise ermöglichen wird.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_003.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2019)