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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

dürfen wir in deutscher Gemüthlichkeit diesen Adam Riese nicht über die Achsel ansehen.

Die bisher noch nie erreichte Geschwindigkeit, welche man diesem eisernen Kolosse zugerechnet hat – und sie ist keine Rechnung ohne den Wirth – gründet sich auf die erprobte nautische Erfahrung und von Brunnel und Russel in ganz bestimmte mathematische Wissenschaftsform gebrachte Regel, daß der Widerstand des Wassers bei spitzer und concav nach dem Körper hin sich ausbreitender Form des Schiffsschnabels (mathematisch genau zu bestimmen nach der Länge der Einschnittslinien und ihres Winkels) in bestimmten Verhältnissen zur Länge des Schiffes abnimmt. Ich weiß nicht, ob dies richtig ausgedrückt ist, da man die Sache nur durch mathematische Formeln deutlich machen kann; aber für die allgemeine Vorstellung reicht es wohl hin.

Neben der Geschwindigkeit spielt die Sicherheit eine Rolle. Mit seinen doppelten Eisenwänden gilt das Schiff als unverwundbar durch die üblichen Mittel, die auf offener See vorkommen, und als noch unvollkommen sicher, wenn blos eine Haut durchstoßen sein sollte. Selbst nach Zertrümmerung des halben Schiffes würden noch 5 von den 10 wasserdichten Räumen Zuflucht gewähren und es über Wasser erhalten.

Neben dem merkwürdigen Anblicke, den der Napier’s Wellington-Schiff dreimal an Länge übertreffende Koloß mit seinen fünf Dampf- und Rauchschlangen auf offenem Meere gewähren wird, ist der Umstand ganz neu, daß man auf ihm und mit ihm dem Winde fast immer entgegen fahren und so niemals Segel brauchen können wird. Wenigstens müßten die Orkane, die mit ihm nur immer gleichen Schritt halten wollten, sehr gute Läufer sein. Um Wind und Wogen wird sich also die Wasserfestung nicht sehr bekümmern. Was letztere betrifft, können sie ihren gradlinigen ebenen Schnitt durch die Weltmeere wohl selten krümmen und biegen, da der Schiffskörper in der Regel immer die nächste höchste (immer die neunte) Woge erreicht haben wird, ehe er die beiden andern höchsten verlassen.

Endlich wird die 20 englische Meilen in der Stunde dahinzischende scharfgeschnäbelte Eisenmasse von 1 Million Centner ohne eine einzige Kanone gegen ganze Flotten sich nöthigenfalls zerstörender erweisen, als Napier mit seiner ganzen Armada. Das Schiff wird denn auch keine Waffen bei sich führen, als sich selbst, und einen etwaigen Feind, und sei es der Wellington selbst oder die ganze russische Flotte, in zwei Stücke zerstoßen und ruhig seinen Weg fortsetzen.

Im Jahre 1855, welches die Vollendung des kolossalsten Wunders aller maritimen Architectur erleben wird, hören wir mehr davon.

Jetzt nur noch ein Wort über die doppelte Dampfkraft, mit der es getrieben werden soll. Die Dampfkraft von 1300 Pferden für die Räder und 1700 für die Schraube werden ganz unabhängig von einander wirken, so daß, wenn eine Maschinerie invalid werden sollte, immer noch die andre bleiben würde. Außerdem ist selbst für den Fall, daß beide unterwegs unbrauchbar würden, für Masten und Segel gesorgt.

Da sich mancher von der jetzigen Dampf-Schraube keine richtige Vorstellung bilden mag, fügen wir eine Abbildung derselben bei, wie sie das neue Seeungeheuer mit ihren Windmühlenflügeln durch die Oceane jagen wird. Die ehemalige Schraube ist durch Wissenschaft und Erfahrung wirklich bis zu blos zwei Windmühlenflügeln zurückgeführt worden. Wie der Wind diese Flügel dreht und deren Bewegungen im dahin eilenden Winde bezeichnet Schraubengänge bilden würden, so bilden auch die Bewegungen des Propellers Schraubengänge im Wasser, oder um einen imaginären Cylinder gewundene schiefe Ebenen, in deren Gängen das Schiff gleichsam durch’s Wasser vorwärts geschoben wird, da man sich den Wasser-Cylinder, um welchen sie laufen, im Verhältniß zu der Geschwindigkeit der Bewegungen als festen Körper denken muß.

Obgleich jeder der Flügel etwa 28 Fuß lang ist, erscheinen sie doch zu den gewaltigen Verhältnissen des Schiffskörpers ungemein klein. Dies ist auch blos Folge der Wissenschaft und Erfahrung, daß sich große Flügel über eine gewisse Länge hinaus als die Triebkraft schwächend erweisen. Nur ein zufälliges Unglück brachte den ersten Erfinder dieser Art von Dampfschrauben, Mr. Petitt Smith, diesem Geheimnisse auf die Spur. Als er sein erstes so construirtes Schiff (mit bloßen Flügeln hinten unterm Schiffe, unmittelbar vor dem Ruder), den nachmals berühmt gewordenen „Archimedes“ zur ersten Probefahrt aussandte, brach gleich im Anfange etwas von dem Ende des einen Flügels ab. Die von ihm vorausgesagte Geschwindigkeit wurde nun nicht etwa

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_049.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2023)