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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

gesunden Zustand zurückführenden Processe als naturheilkräftige bezeichnen. Glücklicher Weise kommen nun bei den allermeisten Krankheiten solche Processe ganz von selbst, ja sogar trotz des ärztlichen Eingreifens, und zwar nach ganz bestimmten, im Körper herrschenden Gesetzen zu Stande und deshalb können auch die allermeisten Krankheiten recht gut sich selbst überlassen bleiben, am besten freilich mit der Vorsicht, daß man alle stärkeren und störenden Eindrücke vom Körper und besonders vom erkrankten Organe abhält und Ruhe, mäßige Wärme, reine Luft und leicht verdauliche Speisen und Getränke anwendet (d. s. nämlich die zur Unterhaltung des Lebens unentbehrlichen Bedingungen). Allerdings führen diese naturheilkräftigen Processe manchmal, in Folge verschiedener, uns zur Zeit noch nicht genau bekannter Umstände, nicht zur vollständigen Genesung, sondern hinterlassen bleibende Veränderungen, die aber sehr oft ganz ohne Beschwerden sind und deshalb häufig gar nicht bemerkt werden. Leider ziehen sie aber auch unvertilgbare und beschwerliche Veränderungen nach sich, deren Heilung nur von unwissenden Aerzten und Charlatanen, gewöhnlich zum großen Nachtheile des ganzen Körpers, erstrebt wird.

Weil nun die Aerzte die im kranken Körper ganz von selbst eintretenden naturheilkräftigen Processe nicht ordentlich kennen lernen, und diese kennen zu lernen sich auch keine Mühe geben, so erzeugt sich bei den meisten dieser Herren, so wie bei allen heilkünstelnden Charlatanen, neben einem lächerlichen Hochmuthe die Ansicht, als ob das, was sie dem Kranken an Arznei verordnet haben, Ursache der Besserung und Heilung sei, nicht aber die unsern Körper von Natur zukommende Einrichtung. Manche pfiffige Mediciner jedoch, die diese Processe recht wohl kennen, halten es für weit einträglicher, dem unwissenden und abergläubischen Volke gegenüber den Schein einer Heilmacht zu behaupten. Am allerunwissendsten in Beurtheilung der naturgemäßen Heilprocesse (und deshalb auch am arrogantesten) sind die Homöopathen, welche geradezu die sogen. Naturheilkraft verhöhnen, sie trügerisch und unzuverlässig nennen und ihrem „Nichts mit Milchzucker“ eine übernatürliche Heilkraft zuschreiben. Natürlich sind auch hier wieder die pfiffigen Herren auszunehmen, welche die Dummheit und Leichtgläubigkeit des großen Haufens benutzen, um gute Geschäftchen zu machen.

In einem nächsten Aufsatze sollen die Naturheilungsprocesse weiter besprochen, sowie die vortheilhaften und schädlichen Eingriffe in dieselben von Seiten der Menschen beleuchtet werden.

(Bock.) 




Der große Blumen-Congreß im Krystall-Palaste

zu Sydenham bei London.

So ein freudiger, blumenreicher Tag ist auf Erden noch nicht dagewesen, als der erste Juni-Sonnabend dieses Jahres im Krystall-Palaste zu Sydenham bei London. Es war der volle, erste Völker-Congreß aller blühenden Schönheiten der Erde. Alle Zonen und Nationen hatten ihre schönsten Vertreterinnen im duftigsten, reichsten Schmucke, den die edle Kunst und Wissenschaft des höheren Gärtners der Natur zu verleihen im Stande ist, unter diese erhabenen Krystallbogen gesandt. Die Vertretung der gemäßigten Zone versteht sich von selbst; aber auch Italien, Grahams Town, Damaskus, Schiras, Calcutta, Bengalen, Algerien, Abyssinien, China, Siam, Assam, Birmanien und selbst Japan hatten volle duftige, blühende Stimme in diesem kosmopolitischen Congreß des vegetabilischen Weltschönheitsstaates. Es war das weite Blüthenkleid unserer ganzen Kugel, die Weltkarte der Flora und der Damenflora von England obendrein. Wie oft kam ich in Verlegenheit, was ich für himmlischer halten sollte, die gazige, blühende, entzückte Vertreterin weiblicher, oder die Abgeordnete vegetabilischer Schönheit. Vor einer roth und weiß blüthenübersäeten, riesigen „Epacris“ stand ein rosiger, feiner, blühender Engel, unter dessen großen, gelben, blaubebändertem Strohhute die üppigen Locken so golden quollen, als könnte man direct Goldstücke oder Epaulettes daraus schmieden, und klappte in die weißen Hände und rief mit der süßesten, entzückenüberquellenden Stimme: „Mama, da möcht’ ich mitten hineinspringen und mitblühen!“ Kein Schönheitsrichter Paris hätte sich anders aus der Verlegenheit helfen können als durch ein solches Urtheil.

„Der Mensch wird wieder zur Erde, und aus der Erde wachsen Jahr aus Jahr ein so unsäglich schöne Blumen! Wenn ich einst im Sterben liege, werde ich daran denken und mich nicht fürchten,“ sagte eine blasse Dame im tiefsten Schmerz zu ihrem Begleiter vor dem blühenden Erica-Walle.

Das sind zwei Beispiele von den Wirkungen dieser Schönheit. Wie Lessing ganz richtig beweis’t, kann man die Schönheit selbst nicht mit Worten malen. Um in Worten eine Vorstellung von ihr zu geben, muß man’s wie Homer machen und die Schönheit in ihrem Reize, in ihrer Wirkung zeigen, so daß er, um zu singen, wie schön Helene war, um welche der 10jährige trojanische Krieg entbrannte, sie vor ehrwürdigen, weißhaarigen Greisen vorbeigehen läßt, welche nun ausrufen: „Das ist sie, um welche der Krieg aufloderte, der so viel Blut und so viele Thränen kostet! Aber, was er auch kosten mag, diese göttliche Schönheit ist es werth!“ So wirkte sie auf ausgebleichte Greise, die Schönheit Griechenlands. So wirkten die Blumen auf Engländerinnen, die sonst so gern kalt und vornehm thun vor den Augen der Welt.

Doch das ist mitten aus der Glorie. Suchen wir in epischer Reihenfolge ein Bild davon zu geben, mit Farbe und Duft, mit Sonnenschein und einer Herrlichkeit, wie sie noch nie beisammen war.

Die ersten Vorboten des Festes waren allerlei Wagen, vom „Cab“ und „Brougham“ an bis zur schwersten Familienkutsche alter Oberhausfamilien. Die „Cabs“ für die Blumenschau waren sofort zu erkennen. Die Kutscher trugen ja gewaschene Handschuhe, obgleich es Sonnabend war, und die neuen, leichten, gehauchten Hüte der Damen darin und die steifen Vatermörder und wundervollen Westen der Herren ihnen gegenüber und die goldenen Stockknöpfe zwischen ihren ganz neuen Handschuhen hervorkokettirend, verkündeten laut: Heute ist etwas Ungeheueres los! Die gewöhnlichen Familienkutschen vergaßen heute ihre Würde und suchten mit plebejer Leidenschaft durch das Gedränge zu rumpeln, obgleich sie dadurch ihr Ungeschick nur deutlicher verriethen und inwendige mit ihren in Vornehmheit fest gefrornen Paaren aussahen als wären sie nur aus Versehen und Vergessenheit aus unerreichbaren Höhen und vergangenen Jahrhunderten in die Gegenwart gerathen. Erst nach 12 Uhr erschienen die Flugmaschinen der jungen Welt- und Pferderennen-Aristokratie, durch die Straßen schießend wie Feuerspritzen und Wind machend, wie Palmerston, daß die Blätter von den Geraniums in den Knopflöchern der Kutscher davonstoben.

Es wäre Vieles zu singen und zu sagen von den Blumen-Congreß-Equipagen, deren nicht weniger als siebentausend, wie die Times angab, vor den Thoren des Krystall-Palastes erschienen, um die feinste Sahne der ganzen englischen, versauerten Gesellschaft unter die Blumen zu gießen, aber wir müssen uns kurz und an die Sache halten. So erwähnen wir nur noch, daß die Eisenbahn den ganzen Tag athemlos in langen überfüllten Zügen ununterbrochen hin- und herschnaubte, ohne jemals aufzuräumen und ganze Massen zu Fuß und zu Pferde ersetzen mußten, was der Dampf und die 7000 Equipagen an sich fehlen ließen.

Der Vormittag war trübe, so daß die Damen mit ihren elfenbeinernen, reich umfranzten Sonnenschirmen und Parapluies ängstlich Wache hielten, um die ersten Tropfen aufzufangen; aber um 1 Uhr trat die Sonne, wie auf ein Trompeten-Signal, hinter den Wolken hervor und sagte strahlend und die wonnevollste Scene verklärend: Ich will das Meinige auch dazu beitragen zu diesem Ehrenfeste für meine Lieblingskinder auf der Erde. Und so schien sie, wie noch nie vorher. die Blumen-Armeen, welche bisher außer unter dem Krystall- noch unter einem unabsehbaren Gazehimmel dunkel und trübe gestanden, bekamen alle klare, heitere Gesichter wie die Figuren eines alten Gemäldes unter einem neuen Lack. Der Gaze-Himmel wurde Duft und Aether, und Eisen und Glas des ganzen Tempels verwandelten sich in architektonisch geformte Sonnenstrahlen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 330. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_330.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)