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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Während die Mädchen sich an die schöne Schwester drängten, ging Frau de Groot mit den Aeltern von dannen und Piet und die Brüder nahmen das Gepäcke und trugen’s nach.

Das Stübchen war klein und enge, aber es war rein, wie geblasen, und die Mutter hatte nicht nur die wenigen Geräthe, nebst dem Bette sinnig geordnet, sondern die schönsten Blumen des Gartens zum Schmucke aufgestellt.

Sie führte die Frau de Groot hinein und bat sie, vorlieb zu nehmen.

Elsje freute sich der Anordnungen der Mutter und sah im Auge ihrer Herrin, dessen Sprache sie verstand, daß es ihr wohl war in dem Stübchen, wo sie Löwenstein sehen konnte, und wohin sie mit dem Tuche wehend ihre Grüße senden konnte. Eine wehmuthsvolle Freude spiegelte sich in dem Auge. Elsje ließ sie allein, um das Gepäck zu ordnen. Dabei half Piet, aber gerade dadurch wurde es ein langdauerndes Geschäft, denn hundert Mal konnte Elsje ihre Hand nicht gebrauchen, wie sie wollte, und zürnte doch dem nicht, der sie hielt.

Die Sorge der Mutter schwand nach der ersten Unterredung mit der Tochter; denn diese schilderte ihr die klösterlich einfache und stille Lebensweise der unglücklichen Frau. Und dieses Insichhineinleben derselben wurde auch so wenig als möglich gestört. War ohnehin das Familienleben van Houwening’s ein stilles, in sich abgeschlossenes, ununterbrochen für alle thätiges, so wurde es jetzt aus Rücksicht auf das leidende Gemüth noch stiller und die Leidende erklärte ihrer lieben Elsje, sie habe einen Aufenthalt, wie diesen, der so ganz ihrem Seelenzustande zusage, nirgends besser und genügender finden können. Und wenn sie auch meist allein oder nur mit Elsje zusammen war, so nahm sie doch Theil an dem Morgen- und Abendgebete der gottesfürchtigen Familie und erging sich im Garten, wo kein Herandrängen ihre Gedanken störte. Es war für Elsje eine hohe Freude, wie sie sich aufrichtete und wieder getrösteter in’s Leben blickte, ja zeitweise noch Hoffnung der Rettung ihres Gatten hegte.

Die Bücherkiste hatte Piet hinübergeschifft. Sie war, das entging ihm nicht, zwar untersucht worden, aber keineswegs scharf. Im Laufe der Zeit begehrte Hugo de Groot mehr Bücher. Derselbe Kasten kam und ging wieder hinaus, aber jedesmal lag ein Brieflein darin, hin eins und her eins, und Niemand kümmerte sich darum. Die Kiste wurde später nie mehr untersucht, und der briefliche Verkehr unterlag keiner Unterbrechung. Piet wurde der Vertraute der beiden Ehegatten und mancher für ihn, seine Wünsche und Ansprüche reiche Lohn wurde ihm aus der Hand der Gattin de Groot’s zu Theil. Es kam so weit, daß man die Kiste, wenn sie von Zweien getragen werden konnte, selbst von ihm und einem Soldaten uneröffnet hinauftragen ließ.

Frau de Groot hätte übrigens blind sein müssen, wenn sie nicht bald sich hätte überzeugen sollen, wie es um Elsje’s und Piet’s Herzen stand. Sie freute sich des liebenswürdigen und sittigen Paares und mancher Gedanke ging durch ihre Seele, der wie ein Gelöbniß zu ihrem Besten für bessere Tage aussah; aber diese Tage lagen im Dunkel der Zukunft, und Gott allein wußte, wie und wann eine solche Stunde eintreten sollte und könnte.

Manchmal fragte sie Elsje nach ihren Verhältnissen, und das schüchterne Mädchen ergänzte dann, was sie der Herrin früher mitgetheilt. So erfuhr sie Piet’s Wunsch, Gärtner zu werden, aber auch die Hindernisse, welche diesem Wunsche entgegenstanden; sie lernte die Lage beider Familien genau kennen; sie sah bei aller Zufriedenheit, bei aller Treue, allem Fleiße doch auch hier das Leid in mancherlei Form und Gestalt, und zu helfen, regte sich in ihrem Herzen der Wunsch, wenn es ihr möglich gewesen wäre.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Besuch im Bethlem-Hospital in London.

(Fortsetzung.)

Doch wir dürfen uns im Interesse der Humanität gratuliren, daß diese barbarischen Anstalten und grausamen Behandlungsweisen als unnöthig und unmenschlich verdammt sind. Dem berühmten Pinel gebührt der Ruhm, den armen Unglücklichen die Bande und Ketten für immer zerbrochen zu haben, und obwohl man Anfangs die Ausübung seiner Ansichten als unpraktisch und utopisch verlachte und verketzerte, jetzt ist es eine unbestrittene Thatsache, daß alle Wahnsinnige ohne Ausnahme ohne Anwendung des geringsten mechanischen Zwanges gehandhabt werden können. Anstatt des mechanischen Zwanges nimmt man in außerordentlichen Fällen jetzt seine Zuflucht zu dem sogenannten „gepolsterten Zimmer,“ da man durch Erfahrung gefunden hat, daß zeitweilige einsame Absperrung oft einen beruhigenden Einfluß auf selbst die tobensten Kranken ausübt, namentlich nachdem sie ein warmes Bad und andere beruhigende Medicamente bekommen haben, wie dies der Fall gerade erheischen mag.

Dr. Autenrieth hat, wenn wir Dr.Burrow glauben dürfen, gepolsterte Zimmer erfunden, obwohl letzterer die Anwendung desselben zu mißbilligen scheint. „Um die Nothwendigkeit körperlicher Zwangsmittel zu vermeiden,“ sagt er, „hat Dr. Autenrieth ein starkes Zimmer eingerichtet, welches überall vollständig auf das Sorgfältigste wattirt ist, in dem man nun, seiner Ansicht nach, den rasendsten Kranken, wie ein wüthendes Thier im Käfige ohne Gefahr loslassen kann. Doch die Absurdität und Zwecklosigkeit dieses Planes ist allen Aerzten, welche nur einige Erfahrung in diesem Gebiete haben, von selbst klar; denn die Kranken würden bald alle Wattirung mit Gewalt fortreißen und sich an den Wänden das Gehirn einschlagen oder bald wirklich wüthende, wilde Bestien werden.“ So schrieb der gelehrte Doctor noch im Jahre 1828, und hätte er nur zehn Jahre länger gelebt und den großen Erfolg gesehen, mit dem die Erfindung gekrönt worden, so würde er sicherlich seine vorgefaßte Meinung als völlig ungerecht geändert haben. Doch zeigt sich in allen Zweigen der verschiedenen Wissenschaften und allen Seiten der Civilisation derselbe Gang der Entwickelung. Der Uebergang vom Barbarischen zu dem Rationellen und Humanen geschieht nie ohne eine heftige Opposition.

Glaubte doch noch vor etwa 20 Jahren die ganze Gilde von Schulmeistern, daß der Baculus oder die birkene Ruthe der wahre nürnberger Trichter sei; als ob der Sitz der Intelligenz nicht im Kopfe, sondern in einem anderen namenlosen Theile des menschlichen Körpers säße, wo man es durch einen äußeren Stimulus zu reizen hätte, um es zu befruchten. Der Stock ist jetzt aus allen anständigen Anstalten verbannt und der Lehrer vielmehr der Rathgeber und Leiter, weniger der Prügelmeister geworden, und der so oft prophezeite Untergang der Welt ist dessenungeachtet noch nicht erfolgt. Aber die humanste Behandlungsweise ist gleichzeitig auch die aller erfolgreichste, und dies ist auch mit Facten zu belegen.

Nachdem unser Führer eine Lattenthür geöffnet hat, treten wir sofort in eine wenigstens zweihundert Fuß lange Halle, in welcher sich etwa 50 reconvalescente Kranke befanden, welche theils ruhig auf und ab spazieren, theils lesen, theils in kleinen Gruppen mit einander plaudern, doch war dies ausnahmsweise und scheinen die Geisteskranken im Allgemeinen die Unterhaltung zu vermeiden. Ungefähr in der Mitte der Halle befindet sich ein gewaltig großer Vogelbauer von blitzendem Messing, in dem ungefähr ein Dutzend sehr schöne Tauben gehalten werden, welche sich in dieser Gesellschaft ganz glücklich zu fühlen scheinen; denn wir bemerkten darin drei oder vier Nester mit einer hoffnungsvollen Brut und die Alten waren so zahm, daß sie sich von den Patienten ruhig den Kopf streicheln ließen, und das lebhafte „Kockeruckkuckkuhhuh“ der großen Ringeltaube schien den Unglücklichen besonderes Vergnügen zu gewähren. Es war für mich eine ergreifende Scene, wie mehrere Patienten auf den Dr. Hood, der mit uns eingetreten war, in der größten Eilfertigkeit zustürzten und ihm einer nach dem andern mit wahrer Zärtlichkeit die Hände drückten, und bei seinem Anblick wie begeistert schienen. Ja, die Stellung eines Arztes, der seine Pflicht thut und Humanität mit Wissenschaft zu vereinigen weiß, ist eine erhabene und äußerst ehrenvolle. Hätte Dr. Burrow und die anderen Verfechter des Ketten- und Knutensystems einen solchen Empfang gesehen, sie würden sich sicherlich ihrer Vorurtheile geschämt haben. Freundlichkeit und Humanität geben dem Arzte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_369.jpg&oldid=- (Version vom 19.6.2023)