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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Ich beklage ihn doppelt, da er mir zeigt, wie leicht Dein Vertrauen zu mir zu erschüttern ist.“

„Großer Gott, das ist zu viel!“ rief Philipp. „Madame, kennen Sie den Inhalt dieses Briefes?“

Sie bebte zurück vor dem plötzlich veränderten Tone.

„Ich kenne ihn!“ sagte sie mit Würde.

„Wollen Sie mich nicht glauben machen, daß diese Zeilen nicht an Sie gerichtet sind?“

„Nein, mein Herr, denn ich müßte lügen!“

„O, Sie vermuthen ohne Zweifel, daß alles Leugnen umsonst ist! Oder, was noch schlimmer, Sie halten es wohl nicht einmal der Mühe werth, sich zu entschuldigen! Ziehen Sie getrost den Vorhang weg, Madame, der mir bisher Ihre listigen Manöver bedecken sollte. Zeigen Sie sich wie Sie sind, denn mehr kann ich ja nicht erfahren, um zu begreifen, daß ich mich wie einen Knaben habe gängeln lassen.“

„Philipp,“ sagte Josephine würdevoll, „Sie sind mein Gatte. Ich fordere von Ihnen das Vertrauen, das Sie der schulden, die mit Ihnen ein Bündniß für das Leben eingegangen ist. Wie ich sehe, verurtheilen Sie mich, ohne mich zu hören. Sie halten mich eines Verbrechens an meinen heiligsten Pflichten fähig, nachdem Sie meine Ansichten von Recht und Pflicht kennen gelernt haben. Das ist ein unzweideutiger Beweis, daß Sie meine bisher beobachtete Handlungsweise und meine so oft ausgesprochenen Grundsätze für Heuchelei, für Verstellung halten.“

Der junge Mann war immer noch mehr Liebhaber als Gatte, und darum hatte er nur sein vernichtetes Lebensglück im Sinne. Sein Schmerz ward von einer Stimme übertönt, die ihm zurief: Sie kann nicht lügen, und warum sollte sie dich verrathen? Er sah zu ihr empor, um den Ausdruck ihres Gesichts zu prüfen. Die reizenden Züge Josephine’s waren zwar blaß, aber es sprach sich eine würdevolle Ruhe darin aus, die der gewandtesten Heuchlerin zur Ehre gereicht haben würde, wenn sie erkünstelt gewesen wäre. Ein Mann, der mit der ersten Glut der Leidenschaft liebt, der den sichern Blick des ruhigen Ehemannes noch nicht besitzt, mußte sie für wahr halten. Und Josephine war ja kaum noch seine Gattin, sie war für ihn noch die Geliebte, voll Reiz und jugendlicher Frische. Der Gedanke an das süße Bekenntniß, das sie ihm erst gestern abgelegt, paralysirte seine Aufregung. Es lag, trotz der schweren Anklage durch den Brief, so viel Entschuldigung in den obwaltenden Verhältnissen, daß er sein Verdammungsurtheil nicht auszusprechen wagte.

„Josephine,“ rief er bewegt, „was soll ich von dem Brief halten? Was läßt er mich nicht Alles voraussetzen? Und ich müßte Dich weniger lieben, sollte ich so ruhig bleiben, wie Du es vielleicht forderst! Der Schreiber dieser Zeilen muß entweder ein Roué oder ein Narr sein!“

„Er ist keins von Beiden, mein lieber Freund!“ sagte sie mit ruhiger, fester Stimme. „Die Briefe eines Boshaften theile ich meinem Gatten mit, wenn es mir nicht gelingt, ihn in achtunggebietender Ferne zu halten, und die eines Narren anzunehmen, verschmähe ich, weil alle meine Neigungen, selbst meine Eitelkeit, durch den Besitz meines Gatten befriedigt werden. Es soll dies keine Schmeichelei sein, Philipp, um Dich zu entwaffnen; aber ich spreche es aus, weil ich nicht will, daß Du irgend einen Zweifel über meine Person hegen sollst.“

„Dann fordere ich Aufklärung von Dir, Josephine!“

Du wirst sie zu der Zeit erhalten, die mir die natürliche Entwickelung der Dinge vorschreibt. Du lächelst mit zuckenden Lippen, Philipp, und ich glaube Hohn in Deinen Zügen zu lesen: ist dies das Vertrauen, das Du mir so oft ausgesprochen hast? Habe ich Dir zu viel zugemuthet, wenn ich auf Dein unbedingtes Vertrauen baue? Es war bisher mein Stolz, einem Manne anzugehören, der mich achtet und liebt, weil er jede Falte meines Herzens kennt – jetzt sehe ich, daß ich mich getäuscht habe. Du kennst mich nicht, Philipp, sonst würdest Du einen so furchtbaren Verdacht nicht hegen, der mich zu einer Verbrecherin, zu einer Courtisane herabwürdigt. Philipp,“ fügte sie feierlich hinzu, „ich habe Dir vor dem Altare Treue und Liebe geschworen – ich erfülle eine traurige Pflicht, aber ich erfülle sie dem Gatten unaufgefordert: ich schwöre es bei Gott, daß ich meinen ersten Eid nie verletzt habe!“

„Großer Gott, Josephine, aber dieser Brief?“

„Ich würde ihn Dir selbst vorgelegt haben, sobald die Zeit dazu gekommen wäre.“

„Gieb mir jetzt Aufklärung, nicht wegen Deiner, sondern wegen meiner!“ bat Philipp.

„So genügt Dir mein Schwur nicht?“ fragte sie, bestürzt zurückweichend. „Ich habe Gott zum Zeugen angerufen, und Du vermagst Dich nicht zu beruhigen? Das ist mehr, als ich gefürchtet habe!“

Sie trocknete mit ihrem weißen Spitzentuche eine Thräne aus dem großen Auge, während sich ein tiefer Seufzer ihrem Busen entrang.

„Philipp,“ begann sie nach einer kurzen Pause, „ich konnte zwar diesen unglückseligen Zufall nicht voraussehen, eben so wenig als ich Dein grenzenloses Mißtrauen fürchtete; um aber so viel als möglich Deine Ruhe zu sichern, habe ich Dich von heute an stets um mich haben wollen, damit Du Zeuge aller meiner Handlungen wärst. Die Landparthie sollte Dich für den ganzen Tag an mich fesseln.“

„Wohlan, Josephine, so zeige Dich von diesem Augenblicke an öffentlich als meine Gattin!“

„Du kennst die Rücksichten, aus denen ich die Oeffentlichkeit meide,“ antwortete sie im Tone wehmüthigen Schmerzes. „Aber bleibe von diesem Augenblicke an bis zu unserer Abreise bei mir, und bist Du dann nicht vollständig befriedigt, kannst Du mir Dein volles Vertrauen nicht zurückgeben, so füge ich mich in jeder Beziehung Deinem Willen. Die so eben stattgehabte Unterredung werde ich vergessen – ich verspreche es Dir! Behalte den Brief, Du wirst seiner bald bedürfen.“

Der Stolz des Ehemannes und die Eifersucht des Liebhabers ließen ihn schweigend einwilligen. Nachdem Meta gemeldet, daß der bestellte Wagen angekommen sei, bot Philipp seiner Frau den Arm und führte sie hinunter. Während des ganzen Tages bewiesen sich die beiden jungen Leute jene Aufmerksamkeiten, die nicht völlig frei von Affectation sind. Ihre Blicke verriethen eine erzwungene Heiterkeit, welche diejenigen zu erkünsteln sich bemühen, die sich selbst täuschen wollen. Philipp konnte trotz der erhaltenen Versicherungen seine Zweifel nicht verbannen, und Josephine, die den Zustand ihres Gatten zu beurtheilen vermochte, empfand Besorgnisse und ein inniges Mitleiden. Aber Beide hegten ein gegenseitiges Vertrauen, sie liebten und hatten sich zu rein geliebt, als daß sie nicht auf eine giückliche Fügung der Dinge hoffen sollten. Josephine beobachtete mit klugem Takte ein Benehmen, das den Verdacht von ihr entfernte, als wollte sie den Argwohn ihres Gatten durch übergroße Zärtlichkeiten einschläfern. Eine schmerzliche Freundlichkeit verrieth, daß es ihr einige Ueberwindung kostete, das gegebene Versprechen zu halten. Sie machte die Zeit der Rückkehr von Philipp abhängig, und dieser schob sie so weit als möglich hinaus. Es war zehn Uhr Abends, als sie die Stadt wieder erreichten. Nach dem Abendessen wollte Philipp sich entfernen.

„Wohin?“ fragte sie lächelnd.

„Nach meiner Wohnung!“

„Dort ist Dein Schlafzimmer, Philipp; es wird durch eine Thür von dem meinigen getrennt. Hast Du unser neues Uebereinkommen vergessen?“

„Ich habe mir vorgenommen, Dir ferner nicht mehr zu mißtrauen.“

„Und Deine Frau fordert von Dir, daß Du bleibst. Sie wird die Gewährung dieser Forderung für den Beweis halten, daß Du sie nicht für schuldig hältst! In Deiner Wohnung weiß man, daß Du auf einige Zeit verreis’t bist.“

„So füge ich mich, weil Du es willst!“

Philipp zitterte unter dem Kusse, den ihm das reizende Weib zur guten Nacht auf den Mund drückte. Er betrat sein Schlafgemach und machte seine Nachttoilette. In welcher sonderbaren Lage befand er sich! Er war ein Gast bei seiner eigenen Frau und zugleich ihr Hüter. Tausend Gedanken, tausend Vermuthungen durchkreuzten seinen Kopf. Was kann sie beabsichtigen? fragte er sich. Warum treibt sie mit einem Dritten ein Spiel, das mir und ihr gefährlich werden kann? – Er zog noch einmal den Brief hervor, den er in seiner Tasche verwahrt hatte, und las ihn. Dann blieb er gedankenvoll in dem Sessel sitzen. Und war es auch nur ein Spiel, das sie trieb, es bemächtigte sich seiner ein Schmerz, den die Erinnerung an das bisher genossene Glück vermehrte. Aber die trauernde Liebe, der die feste Ueberzeugung des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_456.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)