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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

die Schlangeninsel mit einer großen Menge Wasserschlangen, von denen wir auch mehrere um unser Schiff herumkreisen sahen. Wir legten zwei (englische) Meilen von Panama auf einer kleinen Insel an, da die Seichtigkeit des Wassers keine größere Annäherung für Seeschiffe erlaubt. Die Eisenbahn-Gesellschaft hat diese Insel bereits für eine schwere Summe gekauft, um ihren „Stillenmeereisenbahnhof“ über Pfähle und Brücken bis hierher auszudehnen, so daß man auf dem Weltmeerschiffe direct in den Eisenbahnwagen steigen und bis in’s atlantische Meer hineinfahren können wird.

In einem der vielen umherschwärmenden Boote fuhren wir über eine stürmische See bis an das Gestade der engen Taille, durch welche sich der nordamerikanische Continent vom südlichen abschnürt; aber die beiden Weltmeere kann er nun nicht mehr trennen. Welche Hexen-Blocksbergscene stürmte uns hier entgegen! Wohl ein Schock schwarze und braune Teufel stürzten über uns und unser Gepäck her und schleppten es unter gellendem Geschrei in allen möglichen Sprachen fort nach der Stadt hinauf. Ich schimpfte und fluchte erst auf die Räuber mit allem Spanisch, das ich gelernt hatte, beginnend mit. „Valgame Dios!“ (Gott stehe mir bei!) und endigend mit! „Carambo“ (Hallunke oder ähnlicher Schmeichelei); aber sie lächelten breitmäulig mit weißen Zähnen von einem Ohre bis zum andern quer durch die Physiognomie – und Einige schielten dazu so fürchterlich mit ungeheuer viel Weiß in den Augen, daß man nie erfuhr, wo sie eigentlich hinsahen. Im Englischen wußte ich mehr Schimpfworte und Kraftausdrücke, so daß ich sie mit „ruffians, blackguards, rascals, felons, bloody, highwaymen“ u. s. w. bearbeitete; aber auch diese Beschwörungsformeln blieben ohne Wirkung. So drängte es mich, meinen Unmuth „in mein geliebtes Deutsch zu übertragen,“ aber jede, auch die stärkste Verbalinjurie unserer reichen Muttersprache prallte machtlos ab von den schwarzen, braunen, rothen und gelben, schmierigen Fellen dieser Bastardlaunen der Natur. Als nun gar ein Kerl, der wie eine gebackene Birne oder ein Rosinenmann am Weihnachtsbaum aussah, einer jungen Dame die Reisetasche vom Arme riß, um sie zuvorkommend für sie zu tragen, fühlte ich mich plötzlich berufen, als Ritter und Rächer beleidigter Schönheit aufzutreten. Ich schlug dem Kerle mit dem Kolben meines colt’schen Revolvers (der nothwendigen „Paßkarte“ in diesen muntern Gegenden) die Reisetasche aus den Tatzen und kehrte ihm dann die Läufe zu. Diese abgerundeten Perioden von kosmopolitischer Beredsamkeit verstand er sofort vollkommen, er duckte sich zusammen und kroch und lief dann davon. Jetzt wußten wir Alle, wie man sich hier verständlich machen müsse. Sofort erschienen ganze Dutzende von Drehpistolen vor den Augen der gefälligen Träger. Durch Puffe mit Kolben und einige Schüsse hinter Andern her, die schon dienstfertig mit Gepäck voraus geeilt waren, sammelten wir unsere Lieben von Koffern und Schachteln wieder und bewiesen unsere Eigenthumsrechte. Unsere octroyirenden Dienstboten ließen locker und los und strolchten schimpfend und gellend davon. Sie waren heute vernünftiger als sonst, wie man uns hernach sagte. Waren doch schon zwei Dampfschiffe von San Franzisko gelandet und drei auf der andern Seite von New-York, die schon gegen 2000 Passagiere bis Panama geeisenbahnt hatten, so daß es viel zu verdienen gab und die große Stadt von allen möglichen Formen und Farben Fremder wimmelte. Wir brachten unser Gepäck auf einen Haufen, setzten ein Dutzend Schildwachen mit offen spielenden Revolvern darauf (darunter auch die junge Dame mit den feinen aprikosenfarbigen Wangen und den mandelkernförmigen braunen Augen) und holten uns aus der Stadt nach vielem Suchen und Schachern (für ein Achtel des erst geforderten Preises) rothbraune indische, eingeborene Lastträger. Wagen und Maulesel waren um keinen Preis zu bekommen.

Wir waren in der Stadt, aber nun kam das Schlimmste. Ein Dach über den Kopf für die Nacht war nirgends zu haben, geschweige eine Decke. In den Hotels waren selbst Hausflure, Corridore, Treppenabsätze und Tische als Schlafstellen bis auf den letzten Winkel vermiethet worden. Nachdem wir drei Stunden umher gesucht und gefragt und die feuchte Nacht schon eifrig ihren schwarzen Mantel über die Straßen ausbreitete, standen wir obdachlos und freundlos, und ich in ganz ausgesuchter Verzweiflung, da sich die aprikosenfarbige junge Dame ermüdet und vertrauensvoll auf meinen Arm stützte, so daß mir trotz dieser erotischen Bevorzugung die Hühneraugen nur noch mehr drückten und der verhungerte und verdurstete Magen inwendig brannte, wie eine verschluckte afrikanische Sandwüste. Ich dachte: Wenn man sehr müde und sehr hungrig ist und sehr vom Schuh gedrückt wird, hilft doch alle Schönheit und Liebe nichts, und ich besinne mich noch deutlich auf den in meiner Seele anfangenden schwarzen Gedanken. „Wäre ich Dich doch los, kleine Mulattin oder Mestize!“

Aus unserer trostlosen Situation befreite uns ein Deutscher, ein geborner Preuße und Jude, mit Namen Jacobi, obgleich er selber obdachlos umher irrte, wie wir. Er besann sich auf einen deutschen Doctor, der ihn vor zwölf Jahren in New-Orleans vom gelben Fieber curirt und sich seit einigen Monaten in Panama niedergelassen hatte. Aber, wie ihn finden? Auch hier half uns ein Deutscher, ein Apotheker, der uns des Doctors Adresse mittheilte. Das Haus war bald gefunden, groß, alterthümlich mit einer breiten Treppe. Wir wurden in ein großes Besuchzimmer geführt und als Fremde (ich ein Deutscher mit der braunen Unbekannten, ein Engländer und dessen Frau, und ein lustiger, branuer Herr, dessen Nationalität aus Weiß und Schwarz gemischt zu sein schien) sofort herzlich empfangen und bewillkommnet, und zwar mit Speise und Trank eben so substantionell, als durch Worte und Benehmen aufrichtig. Die Frau Doctorin bewillkommnete uns im vollendetsten Ballstaate; doch obgleich der Wagen unten schon wartete, hielt sie sich doch noch ziemlich lange damit auf, uns Nachtlager zu besorgen und sonstige Fürsorge für unsere Bequemlichkeit zu zeigen. Um mit der Eisenbahn fortzukommen, mußten wir früh um vier Uhr aufstehen. Und wer war früh um vier Uhr zu unsern Diensten? Dieselbe Frau Doctorin, die erst um zwei Uhr vom Balle zurückkehrt war. Das ist Güte und Menschenfreundlichkeit ohne Phrase und Schein, für welche man nicht Verehrung und Dankbarkeit genug zeigen könnte. Aber so ist der Mensch: ich für meinen Theil habe selbst den Namen dieser herrlichen, herzlichen, deutschen Doctorfamilie vergessen und kann mich mit aller Qual nicht wieder darauf besinnen. Hoffentlich finden wir ihn mit einem würdigen Denkmale in dem nächsten Bande der Reisen Madame Pfeiffer’s, welche kurz vorher die herzliche Gastfreundschaft dieser Familie[WS 1] genossen hatte, ehe sie sich aufmachte, um unter Anderem als einzelne Frau und erste Repräsentantin der Civilisation im Innern Borneo’s mitten unter die wildesten Menschenfresser zu gehen und freundlich aufgenommen zu werden, weil sie das erste menschliche Wesen war, das nicht mit Flinte und Säbel und gebildeter Habgier, sondern mit dem Ausdruck vertraulicher, ächter Herzensgüte in ihrem alten, treuen Gesichte erschien.

Auf dem Mauleselplatze von Panama mußten wir uns mit ausgehungerten Thieren versehen, welche die jetzt noch fehlende Strecke Eisenbahn zwischen Panama und Gorgona ausfüllen, zum Theil wörtlich, da sie zu Tausenden todt getrieben werden. Eine Reise hin und her bezahlt den Maulesel und läßt noch einen Profit übrig, so daß sie ohne Fütterung getrieben werden und oft unterwegs niederstürzen, und der Reisende, der schon vorher bezahlt hat, mit seinem Gepäck daneben liegen bleiben oder ein Mittel ausfindig machen muß, aus den räubervollen Hohlwegen davon zu kommen. Ich mußte nicht weniger als 26 Dollar für meinen Maulesel bezahlen, außerdem noch 15 Cents (7 Sgr.) für jedes Pfund Gepäck. Die spanischen Amerikaner, ein scheußliches, brutales, häßliches Geschlecht, verfallend und untergehend, wie ihre düstern, engen Städte machen jetzt noch kurz vor dem Ende ihrer Periode in ihrer unerträglichen Weise Geld. Die englische Eisenbahn wird nach ihrer Vollendung diese Halsabschneider entweder zum Hungertode oder zu einem anständigen Leben zwingen.

Die Vorstädte Panama’s sehen trotz ihrer Strohhütten malerisch aus, da sie sich an der Straße entlang hinter Ananas- und Agavehecken, zwischen Orangengärten, Cacaonuß- und andern Palmen verstecken. Vor den Thüren bemerkten wir nach Tagesanbruch überall häßliche, gelbe, trockne Weiber, beschäftigt mit Zubereitung des Frühstücks, das in getrocknetem Cacaonußsaft u. s. w. besteht, der in großen hölzernen Mörsern zerstoßen wird.

Endlich verlor sich die Vorstadt in eine vielfach gewundene, hügelige, steinige, enge Hohlstraße, zwischen deren Felsen, und oben oft schließenden üppigen, tropischen Bäumen und Schlingpflanzen nur ein Esel auf einmal Raum hat und auch dies nicht immer, so daß die Kisten und Kasten, die an ihm hängen, bald links, bald rechts anstoßen. Zwischen Klüften an steilen Abhängen hin die matten Thiere, auf denen man saß, stolpern zu sehen, war kein sehr gemüthliches Gefühl. Auch die Lebensscenen, die uns nun entgegenzogen, Auswanderer nach Californien, die von New-York

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Famile
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_651.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2023)