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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

worden, offenbar wegen 30 Schillingen, die er bei sich gehabt hatte. Der Verdacht gegen Munroe beruhte auf den verwickeltesten und unsichersten Indicien: man hatte ihn in der Nähe des Ortes, wo der Gemordete aufgefunden worden war, gesehen. Er hatte ein Goldstück gewechselt, sich den ganzen Backenbart von einem Grobschmied abschneiden lassen und sich zu verbergen gesucht. Diese und andere Verdachtsgründe wurden beinahe zwei volle Tage lang untersucht und verglichen, aber sie alle reichten nicht hin, um ein „Schuldig“ zu rechtfertigen. Erst das Mikroskop entschied die Sache unwiderleglich. Ein paar Beinkleider und ein Rasirmesser, erwiesen dem Angeklagten gehörig, zeigten erstere einige ganz kleine rothe Flecken, und innerhalb des Griffs am letzteren entdeckte man noch ein rostiges, blutiges Fleckchen. Diese dem bloßen Auge ganz unscheinbaren, zum Theil ausgewaschenen Fleckchen wurden unter dem Mikroskope zu deutlichen Blutkügelchen, zu Kügelchen menschlichen, lebendigen Blutes. Der Zeuge, der auf Grund seines Mikroskopes diese Aussage machte, widerlegte den Einwand, daß diese Fleckchen auch von thierischem Blute herrühren konnten, mit den mikroskopisch ermittelten Thatsachen, daß die Blutkügelchen des menschlichen Körpers in einer bestimmten Größe (1/3200 eines Zolles) von denen des thierischen Körpers durchgängig abweichen, die im Schafe seien 1/7000, im Hunde 1/3542 eines Zolles und so fort in allen Thieren.

Auf Grund dieses mikroskopischen Schuldzeichens ward der Angeklagte verurtheilt und gehangen.

Noch überraschender trat das Mikroskop in folgendem Falle auf. Vor den Assisen zu Chelmsford stand ein Mann vor Gericht, vorsätzlichen Mordes angeklagt. Indicienbeweise waren, obwohl einzelne sehr lose und locker, im Ganzen doch so stark gegen ihn, daß Jedermann von der Schuld des Angeklagten überzeugt zu sein schien. Eine alte Frau, mit vielem Gelde allein lebend, war ermordet gefunden worden. Eine Nachbarin fand das Haus eines Morgens gegen 11 Uhr noch verschlossen. Durch ein Fenster einsteigend fand sie die Bewohnerin im Bette mit schauerlich zertrümmertem und außerdem beinahe abgeschnittenem Kopfe. Ein daneben liegender Hammer führte zum Verdacht gegen den Angeklagten, in dessen Besitze ein Zeuge ihn gesehen zu haben behauptete. Außerdem paßten entdeckte Fußstapfen um das Haus der Ermordeten zu den Stiefeln desselben. Ein kleines Mädchen hatte ihn am Morgen des entdeckten Mordes von dem Hause der Ermordeten kommen sehen. In einem Teiche, beinahe eine halbe Stunde davon, war ein blutiges, in ein baumwollenes Tuch gewickeltes Rasirmesser gefunden worden. Beide sollten im Besitze des Angeklagten gewesen sein. Taschentuch und Rasirmesser wurden sofort zu einem berühmten Mikroskopier nach London geschickt, der menschliches Blut in den Flecken erkannte. Aber war es von der Ermordeten? Das Mikroskop antwortete auch auf diese Frage. Am blutigen Rasirmesser entdeckte man durch ein anderes Mikroskop einige Fibern und zwar aus Flachs- und Baumwollenfibern gemischt. Beim Halsdurchschneiden der Ermordeten war ein Band ihrer Nachthaube mit durchschnitten worden. Dieses Band bestand aus einem Mischgewebe von Flachs und Baumwolle. Jetzt erschien der Beweis vollständig. Nur blieb noch übrig, gerichtlich zu beweisen, daß Taschentuch und Rasirmesser dem Angeklagten wirklich gehört hätten. Diesen Beweis konnten blos Vater und Schwester des Angeklagten liefern. In der Voruntersuchung hatte der alte Vater zugegeben, daß sie seines Sohnes Eigenthum gewesen. Vor dem Gericht von den Blicken seines todtenbleichen Sohnes getroffen, stotterte er und behauptete, er könne nicht darauf schwören. Eben so sagte die Schwester aus. Die Geschwornen, von dieser Scene gerührt, sprachen zwar den Angeklagten frei, aber nicht so das Publikum. Von Ort zu Ort gescheucht und vergebens um Mitleid, Brot und Beschäftigung bettelnd, ward er zwei Monate später an einer Hecke todt gefunden. Die Todtenbeschauer fanden die Ursache des Todes in „Verhungerung.“ Er war zum Skelett abgemagert.

Die ungeheuere Feinheit und Kraft des Mikroskops im Unterscheiden der kleinsten Theile, aus welchem Stoffe bestehen, machte sich in einer anderweitigen Mordgeschichte geltend. Bei Norwich fand man eines Morgens ein todtes Kind auf einem Acker, mit einer tödtlichen Schnittwunde im Körper. Der Verdacht fiel sofort auf die Mutter des Kindes, welche man an diesem Morgen mit dem Kinde in der Richtung nach diesem Acker bemerkt hatte. Sie gab an, mit dem Kinde dahin gegangen zu sein, behauptete aber, sie habe das Kind, das nach Blumen umhergelaufen sei, aus dem Gesicht verloren und trotz vielen Suchens nicht wieder gefunden, so daß sie ohne es habe zurückkehren müssen. Man fand in ihrer Tasche ein großes, scharfes Messer, aber ganz rein und blank. Unter dem Mikroskope aber zeigten sich am Griffe desselben einige Haarfibern. Das Weib erklärte diesen Umstand mit der größten Kaltblütigkeit und setzte hinzu, daß vielleicht auch noch einiges Blut am Messer kleben könne. Sie habe nämlich kurz vor ihrer Verhaftung ein Kaninchen damit geschlachtet. Zwischen den Fugen des Messergriffs entdeckte man unter dem Mikroskope allerdings noch Spuren von Blut, aber entschieden nicht von Kaninchen-, sondern Menschenblut, und in den Fibern nicht Spuren von Kaninchen-, sondern von Eichhörnchenhaar. An dem Kleide des ermordeten Kindes fand man nun einen Besatz von Eichhörnchenfell, der mit durchschnitten war. Sie ward verurtheilt und gestand kurz vor ihrer Exekution ihr Verbrechen, welches man ihr unter dem Mikroskope hervor klar enthüllt hatte.

Das sind einige Fälle, welche die ungeheuere Wichtigkeit des Mikroskops in Rechts- und Lebensfragen beweisen. Diese Beweise ließen sich noch aus den Rechtsannalen neuester Zeit bedeutend vermehren. Wir begnügen uns mit diesen wenigen, welche für alle andern mitsprechen.

Aber wie machte man’s früher ohne Mikroskop, um das Verbrecherische oder Harmlose von Blutspuren zu ermitteln? Etwas tröstlich klingt der Theil der Antwort, daß die Mörder früher größtentheils rohe, stümperhafte Personen waren, die in der Wuth der Leidenschaft hinmordeten, und sich gegen Entdeckung nicht vorher versicherten, während das Morden jetzt wissenschaftlich, geschäftlich und fein wird. Früher war ein Blutflecken ein Blutflecken, auch wenn er von Citronensäure oder Kalkwasser und dgl. herrührte. In Paris wurde ein Mann wegen Mordes verurtheilt, weil man bei ihm ein blutbeflecktes Messer gefunden. Ihm rettete das damals gerade zuerst als Rechtshülfe eingeführte Mikroskop noch das Leben. Das Mikroskop sagte nämlich mit der größten Bestimmtheit aus, die Flecke am Messer rühren von Kalkwasser her, und haben nichts mit Blut gemein.

Der Gebrauch des Mikroskops in Untersuchung von Flecken, die in Criminalsachen oft eine so große Rolle spielen, ist schon über zwanzig Jahre alt, aber bis in die neueste Zeit begnügte man sich damit, Hämatin, wie man die färbenden Bestandtheile des Blutes nannte, nachzuweisen oder zu vermissen, um danach Schuld oder Unschuld von Blutflecken zu bestimmen. Den mikroskopischen Unterschied von Thier- und Menschenblut kannte man nicht. Und das hat vielen unschuldig Angeklagten das Leben gekostet. Zur Zeit weiß man in der Wissenschaft durch die Hülfe des Mikroskops, daß Blut aus unzähligen rothen Kügelchen besteht, die in einer an sich selbst farblosen Flüssigkeit schwimmen, daß diese Kügelchen im Blute der Säugethiere aus runden Scheiben, nicht Kugeln bestehen, in Fischen, Vögeln und Reptilien aus ovalen Körperchen, endlich, daß diese Kügelchen in jeder Thiergattung auch ihre bestimmte Größe haben. (S. Abbild. S. 54.)

Und hiermit erst hat die Gerechtigkeit eine Waffe gefunden, Blut („ein ganz besonderer Saft“) mit einem Anscheine von Sicherheit zu beurtheilen. Früher hatte man „Gottesgerichte“ dafür, „hochnothpeinliches Halsgericht,“ Denunciation auf Hexerei und dergl. gemüthlichen oder leidenschaftlichen Glauben an Schuld oder in seltenen Fällen ausnahmsweise auch einmal an Unschuld, gewöhnlich aber doch lieber Tortur, um in Ermangelung gerichtlicher oder überhaupt nur scheinbarer Beweise auch den Unschuldigsten, wenn er einmal gepackt war, zu einem Schuldgeständnisse zu martern. Mit diesen alten Rechtsmitteln sind unzählige Tausende unschuldig verbrannt, gehangen, geköpft, lebendig gesotten und gebraten worden. Erst vor einigen Jahren rettete noch Professor Graham in London einen verurtheilten Mörder vom Galgen. Man hatte bei ihm einen mit Blutflecken bespritzten Sack gefunden. Das war der Hauptbeweis. Graham las aber nachträglich unter dem Mikroskope hervor, daß diese Blutflecke aus bloßem Eisenrost (Eisen-Hyperoxyd) bestanden.

Die wirkliche Wissenschaft hat uns mit der Zeit menschlicher, milder, gerechter gemacht. Chemie und Naturwissenschaften überhaupt bergen noch eine unendliche Segensquelle der Humanität in ihrem jungen Schooße. Erst wenige Männer der ehrlichen, bescheidenen, echten Wissenschaft haben diese Quellen entdeckt und verstehen die Sprache, die in jener dem bloßen, gemeinen Auge und dem stolzen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_053.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)