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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Eine Täuschung ist dem Entdecker nicht widerfahren, denn er fand, und zeigte sie in jener Versammlung vor, rosinenartig verschrumpfte Beeren, Kerne, Stengel und Blätter, die von den Anwesenden als unzweifelhafte Abkömmlinge des Weinstockes anerkannt wurden. Die sterblichen Reste des edeln Sorgenbrechers waren nicht allein gefunden worden, sondern vermischt mit anderen Gebeinen, will sagen mit versteinerten oder besser verbraunkohlten Samen untergegangener Pflanzengeschlechter, welche schon von früheren Funden her bekannt waren.

Bedeutungsvoll – dieser Fund wurde gemacht in der Nähe des weintriefenden Rheingaues und die Kunde davon ertönte in Wiesbaden – wo jene Versammlung stattfand – an der Pforte in jenes gelobte Land der Bacchus-Priester.

Sind nun die Millionen Reben unserer Weinberge die direkten Descendenten jener Vitis teutonica, wie Herr Al. Braun seine Entdeckung genannt hat? Viele werden geneigt sein, es anzunehmen, und zu ihnen müßte nach dem scherzhaften Eingang meiner Mittheilung auch ich gehören. Bejahung und Verneinung sind jedoch gleich unmöglich, denn die Zeit, aus welcher jene versteinerten Ueberreste stammen, liegt weit hinter dem Anfange aller Geschichte. Ob des Varus Kriegerschaaren den Weinstock in Deutschland vorfanden ist nicht bekannt, und Tacitus, der doch manches Ehrenrührige von unseren Altvordern erzählt, gibt ihnen wenigstens Leidenschaft für den Wein nicht Schuld. Am Rhein und an der Mosel ließ um 280 n. Chr. der Kaiser Probus Weinberge anlegen; (darum ist das Sprüchlein probatum est beim Wein doppelt an seinem Platze.) Es wäre aber wunderbar, wenn nicht schon die 14. Legion, welche unter Drusus Germanicus im J. 13 v. Chr. durch das castrum maguntiacum den Grund zur Stadt Mainz legte, die günstige Lage des nahen Rheingaues erkannt und die Rebe dort angepflanzt hätte, da sie zumal, nachher von der 22. Legion abgelöst, beinahe ein Jahrhundert dort lagerte.

Ueber die Verwandtschaft des aufgefundenen Stammvaters der deutschen Rebe mit dem Meißner, dem Naumburger und nun gar dem Grüneberger Gewächs wollen wir uns in Vermuthungen erst recht nicht einlassen. Wohl aber muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß jener Urwein wahrscheinlich ein noch viel besseres Glas gegeben haben würde als unsere Liebfrauenmilch und Steinberger Cabinet sind, wenn, was zu bezweifeln ist, damals schon Weintrinker gelebt hätten. Meine Leser werden sich vielleicht über diese kühne Hypothese verwundern; und doch ist sie nicht so kühn, wie sie aussieht. Zur Braunkohlenzeit, oder vielmehr in jener Zeit, wo sich die Braunkohlen aus abgestorbenen Pflanzenwelten zu bilden anfingen, gediehen am Fuße des rauhen sächsisch-böhmischen Grenzgebirges – Palmen und dem Zimmtbaume nahe verwandte Bäume, wie man dies mit voller Bestimmtheit nach daselbst aufgefundenen versteinerten Ueberresten behaupten kann. Dies läßt auf eine Wärme schließen, die Deutschland längst verlassen hat, und welche jenen teutonischen Wein viel zuckerreicher machen mußte, als es jetzt die deutsche Sonne vermag, wenn anders das Salzhausener Braunkohlenbecken nicht ein viel jüngeres ist, als jenes böhmische.

Doch lassen wir uns den Mund nicht wässern nach den ungetrunken gebliebenen Jahrgängen der Vorwelt, welche sich wahrscheinlich, wie jetzt noch im heißblütigen Süden, in beinahe ununterbrochener Folge aneinander reihten und nicht auf Kometen und andere Zeichen und Wunder warten mußten, um trinkbar zu werden. Begnügen wir uns mit Dem, was uns beschieden, und dessen Veredelung uns ein Gott gelehrt hat; und vor Allem freuen wir uns, daß wir den Weinstock mit urdeutscher Vaterlandsliebe den unseren nennen können, den unseren von Anbeginn. Aber wer hat vor Allen sich über den Salzhausener Fund zu freuen? Unsere längst um neue Gedanken verlegenen Dichter. Ihre Weinpoesie hat dadurch einen neuen Gedanken gewonnen; und da unter den vielen tausenden Abonnenten der Gartenlaube doch mindestens 1000 lyrische Dichter sind, für welche ich diesen Schatz aus den Schachten der Wissenschaft gehoben habe, so wird sicher Mancher bei Verwendung dieses neuen Gedankens sich dankbar und – trinkbar meiner erinnern.

R–r.


Aesthetik auf einem grünen Zweige. Im republikanischen Reiche der Bäume, in welchem das Königthum zugleich so allgemein ist, daß jeder seine eigne Krone trägt, findet man zuweilen eigenthümliche Strahlenbildungen dieser Kronen, Bifurcationen, wie es die gelehrten Gärtner nennen, d. h. Zweige, die von einem gemeinsamen Centrum ausgehen, und sich über dem Centrum entweder gleich trennen, oder erst eine Zeit lang, wie siamesische Zwillinge zusammegewachsen, an einander fortlaufen. Diese Zweige sind auch stets Zwillinge: sie entsprangen aus dem Schooße einer einzigen Frühlingsknospe. In einigen seltenen Fällen findet man 3 bis 6 solcher Zweige aus ein- und demselben Mittelpunkte hervorstrahlend, manchmal mit einer Regelmäßigkeit, die im Vergleich zu dem übrigen verworrenen Haar in den Baumhäuptern auffällig erscheint. Dergleichen Wirkungen sind in der Regel Folge eines Insektenbisses in der Knospe. Der von Insekten benagte Sproß verkommt entweder oder entfaltet sich zu doppeltem, drei- bis sechsfachem Leben mit eben so viel besonderen Zweigbildungen. Dies gilt von zweig-, wie fruchtbildenden Frühlingsschößlingen. Das Insekt geht seiner Nahrung nach, beißt zu, wo’s schmeckt, und lehrt uns unbenutzt eine fruchtbringende und ästhetische Weisheit, auf die aber erst neuerdings ein Franzose M. Millot-Brulé, zu Réthel in den Ardennen gekommen ist. Der hat’s den Insekten abgelauscht, wie man nach Belieben nicht nur Zweige, sondern auch Früchte der Bäume hervorlocken kann. Mit einem zarten, dünnen Messer oder einem Streifchen Sandpapier nöthigt er die Knospen, so viel Zweige zu produciren, wie er verlangt, und sie ihm zur schönen Gestaltung der Baumkrone wünschenswerth erscheinen. Hiermit kommt die Aesthetik auf einen „grünen Zweig.“ Millot-Brulé fing sie 1849 in seinen Bäumen an, und hat seitdem einen ganzen Wald von Bäumen nach Schönheitsregeln erzogen, eine ganz neue schöne Arborikultur geschaffen. Sie zog so viel Aufmerksamkeit auf sich, daß der Ackerbauminister eine Kommission zu ihm schickte, um ihm darüber zu berichten. In diesem ihrem Berichte heißt es: „Mehrere Bäume, besonders Pfirsichbäume, bestehen aus einem Reichthume regelmäßig und nach bestimmten Richtungen laufender Zweige, die alle von einem gemeinsamen Mittelpunkte entspringen und sich mit eben so mathematisch als symmetrisch-geordneter Regelmäßigkeit und zugleich phantastischer, malerischer Schönheit verstrahlen. Durch geschicktes Zerknospen vermittelst Einschnitte und Abkneipen störender Knospen und Schößlinge gab er den Kronen seiner Bäume die verschiedensten, malerischen Formen. Unter seinen Fingern nehmen die folgsamen Aeste und Zweige den luxuriösesten Reichthum von Formenschönheit an. Zugleich erhöht er dadurch die Fruchtbildung und entwickelt die Formen der Zweige ganz nach seinen Zeichnungen.“

Seine Elementarfigur besteht in einem geraden Stamme, der von einem Centrum aus in 15 regelmäßig und symmetrisch gerichteten Zweigen auseinander strahlt. Besonders schön ist ein Spalier-Pfirsischbaum, dessen Zweige ein Rad bilden mit ovalen Endringen aus kleineren Zweigen. Von diesen einfacheren Formen ist er zu complicirteren übergegangen, welche zum Theil als Muster für Stickerei und sonstige Ornamentik dienen können, Kreisfiguren, Ovale, Segmente, Sterne aus Halbbogen gebildet, die von der Peripherie aus gezogen, sich innen über dem Centrum treffen, Figuren, aus Kreisbogen gebildet, die sich von verschiedenen Centren aus schneiden u. s. w. Es gibt eben, so bald man angefangen hat, hier die Natur zu lenken, keine Grenzen, als die der Rücksicht auf Luft und Sonne, welche freien Zutritt durch die Zweige haben müssen, wenn sie gedeihen und Früchte tragen sollen, und des individuellen Geschlechts. Dabei entdeckte M. Brulé noch ein Geheimniß der Arborikultur, nämlich daß gerade gegen einander entwickelte kleine Zweige nicht gedeihen und einer (der mehr aufwärts gerichtete) in der Regel den andern aussaugt, so daß es für Spalierbäume nothwendig wird, die kleinen Zweige an horizontalen Aesten alternirend (d. h. an den zwei Seiten der Aeste abwechselnd gestellt) zu entwickeln, oder im Nothfalle die zurückbleibenden durch Aufwärtsrichten zu unterstützen.

Uebrigens sind die Grundprinzipien dieser Baumästhetik so einfach und so leicht in der Anwendung, daß Jeder leicht Arborikulturist werden kann. Man enthauptet im Frühlinge, wenn der Saft zu circuliren beginnt, die Knospen, die man verdoppeln will, mit einem scharfen Messerchen. In einigen Tagen erscheinen zwei neue Knöspchen in der Basis der ab- oder eingeschnittenen Knospe, die man, wenn man eine Quadrupelalliance bilden will, beide noch einmal operiren kann. Mit noch blos einer Incision wird’s eine Tripelalliance. Durch andere einfache Erziehungsinstrumente, z. B. Draht, kann man dann die aufschießende Jugend lenken und leiten, wie man’s eben schön findet. Schößlinge, welche ohne Rücksicht auf diese Aesthetik dazwischen fahren wollen, kneipt man bei Zeiten mit einer noch einfacheren Maschine ab, mit den Nägeln. Man sieht leicht, wie man nun dicke, volle, schöne, üppige Baumkronen und Gestaltungen derselben erziehen kann. Außer der Schönheit und Fülle ist reichere Frucht der Lohn dieser Gartenschulmeisterei, die man nicht mit der Bemerkung abweisen kann, daß der Baum in seiner Naturwüchsigkeit am schönsten sei. Die Sache ist, daß unsere Gärten und Bäume schon von vorn herein Kunstnatur sind, welche uns nicht schlechtweg Natur, sondern verschönerte Natur, mit unsern Ideen erfüllte und veredelte Natur liefern soll. Es ist ein Jammer, wie natürlich viele Bäume in unsern Gärten aussehen und wie spärliche und schlechte Früchte sie oft tragen. Dies kommt von dem Mangel an Erziehung. Mindestens sollte man keinen Fruchtbaum mit in einander gekreuzten Zweigen stehen lassen, sondern ihn so lange aussägen und richten, bis Luft und Sonne von allen Seiten in die neben und weit über einander laufenden Zweige eindringen und namentlich im Innern der Kronen beinahe kesselförmigen Raum finden.

Die Brulé’sche Arborikultur gibt übrigens noch einen sehr praktischen Wink, nämlich Holz für Bau-, Tischler- und sonstige ornamentale Zwecke gleich auf dem Baume in die nöthigen Formen, Rundungen und Kurven hineinzuziehen, so daß man später Arbeit, Kehlhobel, Leim und den Aerger über Möbel, die aus dem Leim gehen, sparen kann.



Literarisches. Eine neue Zeitschrift, die sich speciell den industriellen Interessen Sachsens widmet, erscheint seit Neujahr in der alten Bergstadt Freiberg, unter dem bergmännischen Titel: „Glück auf. Erzgebirgisches Industrie- und Familienblatt.“ Das Programm sagt: „Unser Vaterland ist ein großer Bienenstock, in dem es von emsigen Wesen wimmelt, und wo zum Glück die Zahl der Drohnen, die verzehren, ohne zu schaffen, eine geringe ist. Gleichwohl arbeitet unsere Tagespresse weit mehr für das Bedürfniß derer, die nichts oder wenig schaffen, als für die rastlos Schaffenden.“ Das „Glück auf“ will es nun umgekehrt machen. Es bespricht die industriellen Fragen, Erfindungen u. s. w. in Leitartikeln und Correspondenzen und bietet in seinem unterhaltenden Theil vaterländische Lebensbilder. Ein solches ist die erste Erzählung unseres Mitarbeiters Elfried von Taura „Gottfried Silbermann“ – dessen Orgeln gewiß unsern sächsischen Lesern bekannt sind.



Nicht zu übersehen!
Für diejenigen Abonnenten, welche sich die Gartenlaube einbinden lassen, sind durch uns auch zum Jahrg. 1856 höchst
geschmackvolle Decken mit Golddruck

nach eigends dazu angefertigter Zeichnung zu beziehen. Alle Buchhandlungen sind in den Stand gesetzt, dieselben zu dem billigen Preise von 13 Ngr. zu liefern. – Zu den Jahrgängen 1854 und 1855 stehen ebenfalls Decken zu dem gleichen Preise zur Verfügung.

Die Verlagshandlung.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_072.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)