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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Es gelang mir ziemlich leicht, den beleidigten Pedro zu beruhigen, denn, wenn auch sehr reizbar, war er doch im Grunde eine sehr gutmüthige Haut, die leicht Kränkungen verzieh und vergaß, wenn man gelegentlich wieder ein freundliches Entgegenkommen zeigte. Auch beeilte der Mechaniker sich sofort, dem Beleidigten einige entschuldigende Worte zu sagen, und ein tüchtiger Schluck Aguardiente,[1] den er ihm aus einer am Sattel der Pferde hängenden Flasche verabreichte, spülte vollends den Groll hinweg.

Nach diesem ein wenig unerquicklichen Intermezzo machten wir uns an die Berathung über einen Feldzugsplan. Die Debatte war nur von kurzer Dauer, da meine Freunde erklärten, sie würden mit Vergnügen den Rathschlägen folgen, welche ich in Bezug auf die zunächst einzuschlagende Route zu geben hätte. So ward denn festgesetzt, daß wir bis zum Abend das Ufer durchstreifen und in einige Schluchten hinabsteigen sollten, um dann bei eintretender Dunkelheit Quartier in einer Hacienda[2] zu machen, deren Besitzer mich Tags zuvor mit großer Gastfreiheit bewirthet hatten.

Eine halbe Stunde war kaum verflossen, als unsere Kolonne sich in Marsch setzte. Voran ging Pedro, der ganz heiter das Nationallied pfiff, dann folgten die beiden Yankees und ich, einzeln hinter einander fortreitend, und den Beschluß machten die drei Indianer, welche unsere Lebensmittel und einige Kleidungsstücke trugen.

Der anfangs ziemlich ebene Weg wurde bald schon schwieriger zu passiren, und endlich mußten wir uns mehr dem freien Abhange eines Hügels zuwenden, der zu unserer Rechten aufstieg, um nur vorwärts zu kommen. So schritten und ritten wir langsam vorwärts und gewahrten schon nach Verlauf einer Stunde wieder die von den Sonnenstrahlen vergoldete Fläche des Sees, als plötzlich unsere Avantgarde, der lustige Pedro, Halt machte und uns hastig zuwinkte, ein Gleiches zu thun.

Wir hielten unverzüglich unsere Pferde an, und rasch sprang ich von dem meinigen herunter, um Pedro entgegen zu eilen und ihn nach der Ursache seiner ängstlichen Bewegungen zu befragen. Aber schon im nächsten Augenblick schoß er wie der Blitz auf uns zu und berichtete mit athemloser Hast, er habe einen Trupp Bewaffneter am Rande der vor uns liegenden, zum See hinabführenden Schlucht bemerkt.

„Es sind gewiß Leute von der Bande des Somoza!“ rief er aus, „wenigstens sind’s keine Soldaten der Regierung, das habe ich an der Kleidung der Kerle gleich erkannt.“

Pedro’s Vermuthung schien mir nicht so ganz aller Begründung zu entbehren, denn mehrfach hatte ich in Granada gehört, daß einzelne Flüchtlinge des Insurgentenhaufens bis hierher gekommen waren, und daß sie seither allen Nachstellungen Seitens der wachsamen Behörden sich zu entziehen gewußt hatten.

Was war zu thun? Unsere Berathung dauerte nur wenige Augenblicke, denn Pedro machte den Vorschlag, wir möchten ihn auf Kundschaft aussenden, eine Maßregel, die ja am Ende auch durch die Umstände geboten war, wollten wir anders nicht vorziehen, den Rückweg anzutreten, um hinterher vielleicht zu erfahren, die Kerle seien keine Banditen, sondern ganz ehrliche Leute aus einem benachbarten Orte gewesen.

Der Mechaniker maß meinen Diener mit gar erstaunten Blicken, als dieser sich einen kurzen Säbel, der sich bei den von den Indianern getragenen Sachen befand, um den Leib schnallte, und zwei Pistolen, die ich ihm reichte, in den Gurt steckte, und zwar dies Alles mit der größten Ruhe und Gelassenheit.

„Ich bin kein Hasenfuß, Señor,“ sagte Pedro lächelnd, als er sah, daß der Yankee ihn so aufmerksam betrachtete; „Ihr sollt sehen, daß ich mich zu vertheidigen wissen werde, wenn die Banditen mich bemerken, und mir auf den Leib rücken sollten.“

Dann reichte er mir die Hand und im nächsten Augenblick war er in dem dichten Unterholz, der den waldigen Uferabhang bedeckte, verschwunden.

Aber – so fragten wir schon im nächsten Augenblick einander – dürfen wir, während der brave Mensch sich in vielleicht große Gefahr begibt, unthätig bleiben? Müssen wir nicht vielmehr darauf bedacht sein, ihm beizuspringen, falls er von den Bewaffneten angegriffen und verfolgt wird?

Rasch entschlossen übergaben wir unsere Pferde der Obhut der Indianer, denen ich die gemessene Weisung ertheilte, auf der Stelle, wo wir uns jetzt befanden, unsere Rückkehr zu erwarten, und eilten dann, sorgfältig den Schutz des Gebüsches suchend, den schmalen Pfad hinab, den wir Pedro hatten hinuntergleiten sehen.

Als wir wenige Minuten nachher in geringer Entfernung die gedrungene Gestalt des kecken Burschen erblickten, wie er bemüht war, die Baumäste und Blätter zu entfernen, die ihm die Aussicht auf die Schlucht benahmen, machten wir wieder Halt.

Pedro arbeitete aus Leibeskräften, ohne sich auch nur einen Augenblick umzusehen. Endlich war er fertig, und nun begann er auf allen Vieren bis an den Rand des Abhanges zu schleichen. Wir folgten langsam und vorsichtig, und es gelang uns, unsern wackern Kundschafter stets im Auge zu behalten. Plötzlich warf er sich platt auf die Erde nieder.

Was war das? – Zu unserer Rechten vernahmen wir ein Geräusch, wie wenn Jemand sich Bahn bräche durch Gestrüpp und Zweige. Jeder von uns spannte den Hahn seiner Büchse und schaute mit athemloser Spannung nach der Richtung hin, woher der Lärm zu kommen schien. Als ich auf einen Augenblick wieder zurückblickte, sah ich Pedro noch immer am Boden liegen.

Es vergingen noch einige Minuten, da trat aus dem Gebüsch ein Mann hervor, der in dem Augenblick, als er unserer ansichtig ward, erschrocken stehen blieb und das Gewehr, das er in der Hand hielt, zu Boden fallen ließ.

„Du bist des Todes, wenn Du Dich rührst, oder um Hülfe rufst!“ flüsterte ich dem Bestürzten drohend zu, während ich ihm den Lauf meiner Flinte auf die Brust setzte.

Er sagte kein Wort, sondern fiel kraftlos zu Boden, indem er die Hände flehend gegen uns erhob.

Der Mensch sah erbärmlich genug aus. Seine Kleider waren zerrissen und mit Staub und Schmutz bedeckt, sein Haar hing in langen Büscheln wirr um Stirn und Schläfe, und sein blasses, abgemagertes Gesicht verkündete nur zu deutlich, daß ein heftiges Fieber in ihm tobte.

„Wer bist Du, und woher kommst Du?“ redete ich ihn an, indem ich neben ihm niederkniete.

„Ich bin ein Flüchtling von der Armee Somoza’s, dort unten lagern meine Genossen,“ flüsterte der Elende; „ich verließ sie, um zu den Meinen nach Leon zurückzukehren, weil ich des Umherirrens müde bin.“

Seine Brust keuchte schwer und er senkte das Haupt vor Erschöpfung.

„Schont meiner,“ bat er dann wieder nach einer Pause, „schont meiner, ich habe eine alte Mutter in Leon, die mich liebt und die mir verzeihen wird, daß ich sie verließ.“

Schwere Thränen rollten über seine bleichen Wangen, als er diese Worte sprach.

„Sei ruhig, fürchte nichts von uns, wenn Du uns die ganze Wahrheit berichtest,“ entgegnete ich, meine Versicherung mit einem Händedruck bekräftigend.

Der Flüchtling erhob sich mühsam, und mich ängstlich anblickend, sagte er schnell:

„Zwei Legua’s von hier in der Ebene nach Süden soll eine Hacienda liegen, die wollen meine Genossen heute Abend plündern; eilt den Bedrohten zu Hülfe, wenn Ihr könnt.“

Das mußte das Gehöft meines freundlichen Wirthes Ramirez sein, der Punkt, den wir noch vor Einbruch der Nacht zu erreichen gedachten.

„Wie stark ist die Zahl Deiner Genossen?“ fragte ich, rasch aufspringend.

„Es sind ihrer noch zehn, und alle wohl bewaffnet.“

Unser Entschluß war gleich gefaßt: dem Bedrohten mußte Hülfe gebracht werden. –

Mittlerweile war auch Pedro zu uns herangekommen. Als er das Geräusch in den Büschen vernahm, hatte er sich auf die Erde geworfen und in dieser Stellung so lange ausgeharrt, bis er uns erspäht und sich so das Vorgefallene klar gemacht hatte. Ich befahl ihm, den kranken Flüchtling zu den Indianern zu führen, ihn der Obhut eines derselben zu überlassen und dann unsere Pferde und die zurückgelassenen Waffen in Bereitschaft zu halten. Inzwischen wollten wir untersuchen, ob sich ein Weg, der nicht von der Schlucht aus beobachtet werden konnte, am Ausgange der Holzung nach der Ebene zu öffne. Nach halbstündigem Suchen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_135.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2018)
  1. Inländischer Rum.
  2. Gehöfte.