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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und an ihrem Saume: Tod und Leben, friedlicher Erwerb und räuberischer Ueberfall sind sich stets erneuernde Bilder. Ueber die weite, kiesbedeckte Ebene schreitet majestätisch aufgerichtet das Wunder der afrikanischen Thierwelt, die Giraffe. Eine Pyramide inmitten der Thiere, wunderbar in Größe und Bau, durchmustert sie scheu mit den klugen, herrlichen Augen die weite Ebene: keiner ihrer Feinde zeigt sich, kein Brüllen des hungrigen Löwen, ja nicht ein Laut schlägt an ihr Ohr, die ganze Wüsteneinsamkeit deckt tiefes Schweigen. Ihr schwerfälliger, doch außerordentlich schneller Lauf wendet sich nach dem Wüstensaume, da wo Tod und Leben, öde Erstarrung und friedliches Wachsthum mit einander kämpfen, wo der Boden des Landes sich hebt, eine fruchtbare Erdkruste ihn deckt und aus ihrem Innern der schöpferische, kühlende, silberhelle Quell hervorsprudelt. Ein üppiger, nur von einzeln stehenden Palmen, Akazien und Mimosen überragter und von stachelichten Schlingpflanzen durchflochtener Graswald breitet sich auf ihm aus, hart an der Grenze von Tod und Leben. Hierher eilt der erschöpfte Nomade, der Tibbuh der Wüstenthiere, die Giraffe, hier will sie weiden und sich ätzen, aus frischsprudelndem Quelle die lechzende, blauschwarze Zunge kühlen, am grünen Mimosengesträuch den brennenden Hunger stillen und dann im Fluge der sicheren Wüste wieder zueilen; sagt ihr doch ein dunkles Gefühl, daß es dort geheurer als hier ist, so lachend auch die grüne Pflanzenwelt erscheint. Scheuen Laufes dringt sie in den Graswald ein, birgt mit hochaufgerichtetem Halse den schöngeformten Kopf im saftigen Laube der Akazie, ihre Lieblingsnahrung mit der rauhen Zunge erfassend, und eilt dann, das dichte Gras hoch überragend, hin zum wohlbekannten labenden Quell. Doch plötzlich stutzt sie, ein leises Geräusch traf das feine Ohr; das scheue Auge überfliegt prüfend das verrätherische Grasdickicht. Schon will sie der unheimlichen Stätte entfliehen, da stürzt aus heimtückischem Versteck ein Löwe hervor. Muthig stellt sie sich ihm entgegen, wirft ihn mit dem Vorderhufe, ihrer kräftigsten und bei gleichem Kampfe oft siegreichen Vertheidigungswaffe, zurück und will angsterfüllt der Stätte des Verderbens entflehen, als gleichzeitig von hinten zwei andere Räuber, Löwe und Löwin erscheinen, in gewaltigem Anlauf den hohen Bug erreichen und die scharfbekrallten Tatzen, das furchtbare Gebiß tief in das schöngefärbte Fell eingraben, während das in Schmerz und Angst den Kopf hoch hebende Thier sich nicht mehr gegen den erneuten Angriff des ersten Löwen zu decken vermag. Seine Tatzen, sein furchtbares Gebiß dringen tief in den Schwanenhals des nun verlorenen Wüstenthieres, ein Blutstrom entquillt den vielen, tief aufgerissenen Wunden, die Last der sich mehrenden Räuber drückt es nach vergeblichem Kampfe in den zertretenen, blutgetränkten Rasen nieder. Das schöne Thier verendet, die räuberische Meute, die Tuariks der Thierwelt, stillt den nagenden Hunger, leckt gierig das aus den geöffneten Adern rinnende Blut und läßt nur wenig der Hyäne und dem Schakal zum nächtlichen Fraße übrig. So bietet die Wüste in Thier- und Menschenwelt sich einander entsprechende Bilder: die Gewaltthat des Räubers gegen den friedlichen Nomaden.

Die Tuariks, selbst unter den Wilden der Wüste als besonders wild, grausam und tollkühn verrufen und gefürchtet wie höhere Wesen, betrachten sich selbst als die zum Raube privilegirte Aristokratie der Sahara und zeigen als Legitimation für diese ritterlichen Privilegien auf ihre weiße Haut hin (die natürlich blos da weiß ist, wo der Kleiderschmuck die Sonne ausschließt). – Auch scheint es ihnen nicht an Stammbäumen und Ahnen zu fehlen. Sie halten sich allein für echte Nachkommen der alten Urbewohner Afrika’s, der Berber, die mit den alten Römern kämpften.

An Denkmälern ihrer alten Cultur und Sprache, in welcher neuerdings viele Inschriften an den Felsenwänden entdeckt wurden, an römischen Ruinen und Sculpturen (Ghareah hinter den Bergen von Tripolis) fehlt es auch nicht. Hier ist ein frisches Feld für Alterthumsforscher. Ein kühner, stolzer Menschenschlag, diese Tuariks, unvergleichlich in der Kunst der Waffenführung gegen Jeden, dem etwas abzunehmen ist. Aber es sind keine gemeine Räuber. Sie lassen mit sich handeln und die überfallene Karavane gegen Entrichtung einer entsprechenden Abgabe (für die schwere Arbeit des Auflauerns und Ueberfalles) ihres Weges ziehen. Später, mit zunehmender Civilisation werden sie wohl ordentliche Zöllner, Steuer- und Accise-Beamte anstellen, und den Raub in gesetzliche Façon bringen. – Nur die Handelsleute aus dem Sudan, die oft mit kostbaren Schätzen von Elfenbein, Gold und Sclaven durch die Wüste ziehen, müssen in der Regel etwas unverschämten „Durchgangszoll“ herausrücken. Die Reisenden durch die Wüste haben sich schon so sehr an die Furcht vor ihnen und das alte „historische Recht“ ihrer Steuereintreibung gewöhnt, daß selbst mächtige, große Karavanen dem Einzelnen unterthänigst huldigen und zollen. Wenn der am fernen Horizonte auftauchende schwarze Punkt sich auf fliegendem Kameele schnell in einen glänzenden Tuarikritter mit goldenem und silbernem Schmuck und künstlich geschnitzten Waffen, mit dem nie fehlenden Schußrohre, vor dem staunenden Blick des Beduinen verwandelt, holt er Alles hervor, was ihn beschwichtigen und befriedigen kann, froh, daß er mit dem Leben und dem Reste seiner Habe davonkommt.

Caillé, der französische Reisende, zog mit einer reichen, wohlbewaffneten Karavane von 600 Kameelen durch den „Steuerbezirk“ der Tuariks. Da fliegen zwei Ritter derselben auf einem Kameele heran. Sie springen herab, wechseln mit den Leuten einige Zeichen und im Nu breiten sich Teppiche aus und decken sich für die beiden Herren mit den feinsten Speisen und Erquickungen. Diese lassen sich’s schmecken, wischen sich den Schnabel und fliegen, mit graziösen Handbewegungen Abschied nehmend, von dannen.

In ganzen Raubzügen umherspeculirend, sehen sie besonders dämonisch aus. Vermummte dunkle Gestalten, starrend von Speeren, sitzen sie auf ihren Eil-Dromedaren und spähen aus glühenden Augen in die Weite. Andere reiten auf Pferden, Sclaven wandern zu Fuß daneben. In ihrer dunkeln Umhüllung von Leder und Wolle, die Alles, mit Ausnahme der Augen und Hände, bedecken, steigen sie wie riesige Dämonen (auf der glatten Wüste erscheint Alles größer, da es dem Auge oft Wochen und Monate lang an andern Gegenständen zum Vergleichen fehlt) aus dem kahlen Horizonte herauf, wie böse Geister der Wüste, unter deren Schrecknissen geboren und erzogen, um den Wanderer zu berauben und dann zu verschwinden, wie eine Sandwoge des Samum.

Außer diesen großen, viele Völkerschaften und Racen in sich schließenden beiden Hauptvölkern der Wüste gibt es noch unzählige andere Wander- und feste Stämme, die sich erst mit der Zeit spätern Forschern aufthun werden. Man kennt jetzt kaum ein Hundertstel der Sahara. Von den Umwohnern der Wüste sprechen wir nicht und erwähnen nur noch, daß es über Marokko hinaus weit in die Wüste hinein manche berberische Ansiedlungen gibt, deren Bewohner als Handwerker und Künstler für die Tuariks u. s. w. berühmt sind. Endlich dürfen wir die Juden nicht vergessen, die sich von den großen Handelsunternehmungen, welche die wüstengetrennten Völker verbinden, in die Sahara ziehen und dort trotz aller Gefahren und Beschimpfungen als Vermittler zwischen Käufern und Verkäufern, Schacherer und Hausirer (wenn man hier so sagen kann) fesseln ließen. Um des Gewinnes wegen trug der Jude von jeher selbst das Ueber- und Untermenschlichste, nirgends aber so viel, als in der Wüste, die härteste Verachtung Aller, die ihm begegnen, und selbst den gräßlichsten Hohn der Natur, die ihn unter prachtvollen Lügenbildern der Luft und – fata morgana erbarmungslos vertrocknen und versengen läßt.

„Längst hat er aus dem ziegenledernen Schlauche den letzten Wassertropfen ausgepreßt,“ wie es in einer berühmt gewordenen Schilderung des amerikanischen „Putnam’s Monthly Magazine“ heißt. „Seine Glieder sind ausgedampft, seine Lippen verdorrt. Da liegen seine kostbaren Güter neben dem schnell in Aas übergehenden Kameele. Er späht um sich. Plötzlich vernimmt er das leise Knistern des Wüstensandes. Fern taucht ein schaukelndes Dromedar auf mit einer stolz funkelnden Gestalt auf dem hohen Sattel. Schuß- und Hiebwaffen werfen einen stechenden Glanz in die verdorrten, heißen Augen des Juden. Die stolze Reitergestalt wiegt sich anmuthig auf dem Sattel des jäh und rasch sprengenden Kameels. Er schmaucht gravitätisch aus langem Chibuk. Der Jude sieht Hülfe. Er erhebt sich hoffnungsvoll und nahet sich bittend demüthig. Der stolze Reiter sprengt mit einem Fluche auf den Vertreter des verachteten Geschlechts vorbei und verschwindet am Horizonte. Den verzweiflungsvoll zusammensinkenden Juden erwarten noch größere Qualen, ehe ihm die Erlösung wird. Sein fieberentzündetes Auge funkelt in die leere Weite hinein. Zusammengedörrt, lebt er jetzt zur letzten Anstrengung auf. Der Gott Abrahams hat ihn nicht verlassen. Er sieht Wasser! Wasser! Bäche, Brunnen, Meeresspiegel, grüne Eilande und Berge. Segel schwellen auf Schiffen, die aber nicht vorwärts kommen. Mit der letzten Kraft schleppt er sich über den brennenden Sand. Nur noch hundert Schritte, und seine Augen werden das köstliche Wasser berühren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_247.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)