Seite:Die Gartenlaube (1857) 300.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

gar nicht bedroht war, noch nicht Rechenschaft gegeben hatte. Zu solcher Hoffnung konnte sich ihr Mutterauge nur freuen, wenn sie bemerkte, wie Günther förmlich auflebte und sein Blick wieder hell war und Glück strahlte, wie einst in vergangenen Tagen!

Der Winter war gekommen, das Landleben zog sich aus der freien Natur in die warmen festen Häuser, an das trauliche Kaminfeuer; in den Städten aber nahm das Leben jetzt erst seinen großartigsten Aufschwung. Graf Hallstein, in seine gewohnten Umgebungen zurückgekehrt, war längst wieder der Alte geworden, und lächelte über die seltsame, gleichsam berauschende Wirkung, welche seine excentrische Entdeckungsreise der Freundschaft auf ihn gemacht hatte. Wie nah’ war er daran gewesen, sich auf nie zu vergessende Weise lächerlich zu machen! Der Fluch der Lächerlichkeit war auch ihm der entsetzlichste! Er schrieb es der Luft, dem geheimnißvollen „Od“, jenem geistigen Fluidum zu, von dem er flüchtig gelesen hatte, daß es in der Welt unsichtbar ströme, und sensitiven Menschen zu allerhand Spuk verhelfe. Mochte es strömen, wo es wollte, in die Salons drang es nicht! Günther hatte ihm ein einziges Mal geschrieben, bald, nachdem das Fräulein von Nidau in Berga eingezogen war; er hatte ihm mit warmer Schilderung deren Vorzüge gemalt, und dem Grafen dadurch die Ueberzeugung gegeben, daß „Alles schon so gut als abgemacht sei.“ Ueber den Freund war er also vollkommen beruhigt, und daß er ihm seitdem nicht wieder geschrieben hatte, ließ sich aus der „Laune des Verliebten“ ganz natürlich erklären. Von Frau von Aßberg hatte er auch einen Gruß erhalten: es hatte ihn dabei doch ein wenig durchzuckt, aber es mochte wohl nur der heißmachende Gedanke sein, wie leicht er seine wahnsinnige Anwandlung gegen sie hätte verrathen können! Das war glücklicher Weise nicht geschehen, und er konnte mit voller Befriedigung das Parket der glänzenden Räume sichern Schrittes durchwandeln, als der Carneval sie der Gesellschaft zu rauschenden Festlichkeiten öffnete.

Nach einem solchen Feste war er am andern Morgen ziemlich spät erwacht, als ihm gemeldet wurde, daß Herr von Aßberg aus Berga da gewesen sei und, ohne seine Wohnung anzugeben, sich wieder entfernt habe, um Abends zu der Stunde, welche ihm als die sicherste bezeichnet worden, wieder zu kommen. Mit dem Namen schien es, als ob ein Vorwurf in Hallstein’s Seele erwacht sei. Nicht, daß er etwas gegen Günther gefehlt, er hatte ihm ungesäumt geantwortet, auf sein keimendes Glück angespielt und sich, wenn die Blüthe erschlossen, neue Nachrichten ausgebeten. Es mußte etwas Anderes sein, das den Grafen beunruhigte: er ergründete es aber nicht näher, sondern begab sich in das Palais seines Ministeriums, um die gewöhnlichen leichten Geschäfte abzumachen. Auch hier konnte er der Mahnung aber nicht entgehen. Unter den Pässen, die ihm vorgelegt wurden, vom Ministerium des Innern zur Contrasignatur dem des Aeußeren zugegangen, befand sich einer für Herrn Günther von Aßberg, Rittergutsbesitzer u. s. w. nach Salzburg. Jetzt im Winter? Was konnte der Anlaß sein? Ein plötzlicher Gedanke traf die Wahrheit! Aber dann konnte das Glück, das ihm hoffnungsreich gelächelt hatte, nicht in Erfüllung gegangen sein – armer Günther!

Hallstein fertigte den Paß aus, und mußte nun in Ungeduld noch lange Stunden warten, ehe er den Freund sprechen und von ihm Aufschluß erhalten konnte. Er dinirte heute im Hotel länger, als gewöhnlich, um die Zeit zu verbringen, machte dann noch einen Besuch, und kam viel früher nach Hause, als sein Kammerdiener Herrn von Aßberg bestimmt hatte. Umsonst, er kam schon zu spät! Aßberg war im Laufe des Tages nochmals hier gewesen. Man reichte dem Grafen ein Billet von ihm. Dieser eilte in sein Zimmer und las:

„Es ist mir unmöglich, theurer Gebhard, Dich noch zu sprechen – ich darf den Bahnzug nicht versäumen, da ich meiner Mutter versprochen habe, sie nicht warten zu lassen. Nimm daher nur in Umrissen, was ich Dir von Salzburg aus, wenn mein Schicksal sich entschieden hat, ausführlich schildern will. Das Glück, das Du mir prophezeiht hast, geht in Erfüllung – ein Engel, wenn auch in anderm Sinne, als ich Dir einst mit Dante’s Gebilden sagte, wird das Maal von meiner Stirne nehmen, aber ich wäre meines Glückes nicht würdig, wollt’ ich nicht auch vor dem irdischen Gesetz meine Sühne nachsuchen. Ich habe durch Bitten mein Versprechen von der Mutter zurück erhalten, habe alle Schritte gethan, welche mir nöthig schienen, und wozu mir der gute Hassel als gediegener Rechtsverständiger seinen Rath ertheilt hat. Dann aber, mein Gebhard, wenn Alles gebüßt ist, dann werde ich unaussprechlich glücklich werden! Diese Ueberzeugung soll auch Dir mein nächster Brief geben, in welchem ich Dir Alles, Alles sagen will.

Dein G. A.“

„Bravo!“ sagte der Graf, indem er das Billet sinken ließ. „So kommt ja Alles hübsch sittlich und gerecht in’s Geleise! Gratulire bestens!“ Als er das aber sagte, überkam ihn doch plötzlich ein Gefühl, vor welchem das ironische Lächeln auf seiner Lippe erstarb; er bedeckte seine Augen mit der Hand, und saß lange tief in sich gekehrt, bis ihn der Schlag seiner Pendüle weckte und aus dem Zauberkreise rief, der ihn, wie er sich unwillig gelobte, heut zum letzten Male verstrickt haben sollte. „Soll ich ein drittes Opfer dieser geheimnißvollen Frau werden? Nimmermehr!“




Ⅶ.

Aber für den Freund konnte etwas geschehen. Graf Hallstein erwachte zu seiner vollen diplomatischen Thatkraft. Er wußte Günther auf dem Wege nach Salzburg, wo er sich endlich dem Untersuchungsrichter stellen wollte, freilich mit dem indirecten demüthigenden Geständniß, daß er sehr lange Zeit gebraucht habe, zu diesem männlichen Entschlusse zu kommen. Ein äußerer Anlaß dazu, nachdem er zwei Jahre geschwiegen hatte und die Sache dort wohl schon halb vergessen war, lag nicht vor; man konnte es wohl nur auf die Macht des Gewissens schreiben, welche nicht mehr zu beschwichtigen gewesen. Die Familie Walrode’s hatte keine Schritte gethan, eine energische Verfolgung seines unbekannten Gegners zu veranlassen: Hallstein wußte das, er war mit den Verhältnissen derselben ziemlich genau vertraut, wie er auch Günther schon darüber beruhigt, daß Walrode’s Braut nicht sonderlich lange um ihn getrauert hatte. Dort war Alles locker und lose: Achtung hatte er der Familie, trotz ihrer gesellschaftlich nahen Verbindung mit der seinigen, nie zollen können. Der Majoratsbesitz war mit Walrode’s Tod auf einen Vetter übergegangen, der kein Interesse hatte, den Urheber dieses glücklichen Ereignisses anzufeinden. Von dieser Seite war also kein Einspruch zu befürchten, wenn Hallstein alle Triebfedern, die er in Bewegung setzen konnte, für seinen Freund wirken ließ. Er kannte die Gesetze im Kaiserstaate nicht, aber er wußte, daß der Zweikampf nicht straflos bleiben konnte und daß für den ohne Zeugen gewiß noch eine verschärfte Strafe eintrat, aber er wußte auch, daß zu den Hoheitsrechten des obersten Gerichtsherrn das Begnadigungsrecht gehört und, wenn auch kein vollständiger Erlaß, doch eine Milderung der nach dem Gesetz zu verhängenden Strafe durch eine Vorstellung in geeigneter Form vielleicht zu erbitten sei. Er verlor keinen Augenblick. Seine Beziehungen zu der kaiserlichen Gesandtschaft erlaubten ihm, dort anzuknüpfen: in vertraulicher Form wußte er den ganzen Zusammenhang der unglücklichen Verwickelung so günstig für Aßberg vorzutragen, daß er den Gesandten lebhaft für ihn interessirte. Besonders der Grund, warum Secundanten ausgeschlossen worden waren, fand die volle Anerkennung, wenn sie sich auch nicht in officielle Form kleiden konnte – und als der Graf in Bezug auf den bedenklichen Punkt, die Hinweglassung eines Arztes, geltend machte, daß, wenn einmal eine so schwere Beleidigung eingetreten sei, man ganz mit dem Leben abschließen, jede Nothbrücke hinter sich abbrechen müsse, um den Zweikampf wirklich als ein ernstes Gericht, nicht als eine bloße Sache der Convenienz anzusehen, schüttelte der Gesandte zwar den Kopf, war aber in seinem ritterlichen Sinne doch auch für diese Auffassung nicht ganz unzugänglich. Er bat den Grafen, ihm den Anlaß und Hergang der vertraulichen Mittheilung schriftlich so einzukleiden, daß er an geeigneter Stelle davon Gebrauch machen könne, und versicherte ihn sonst seiner strengsten Discretion.

Hallstein kehrte, mit sich selbst zufrieden, nach Hause zurück, und hielt es nun für seine Pflicht, der Mutter, welche gewiß um ihren Sohn in banger Besorgniß schwebte, die Hoffnungen mitzutheilen, zu denen er sich berechtigt glaubte. Er setzte sich auch gleich an seinen Schreibtisch, um sich allen bedenklichen Erwägungen zu entziehen, und schrieb, wie er gewohnt war, in raschem Federzuge, ohne sich viel zu besinnen. Die wichtigsten politischen Arbeiten hatte er so zu Papier gebracht, und sie waren immer sehr gelungen. Aber heut stockte alsbald sein Fluß der Worte: er hielt inne und las das Geschriebene, was er sonst nie zu thun pflegte, bis er zu

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 300. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_300.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)