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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 23. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen.   Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Früher Tod.

Wie stirbt es schön sich in der Kindheit Tagen:
Die Knospe welkt, bevor sie sich erschlossen,
Es stockt das Herz, noch eh’ es recht geschlagen,
Und nichts verliert es, das noch nichts genossen.

Der Traum entflieht, noch ehe das Erwachen
Verrath an seinen holden Bildern übte,
Es schweigt der Mund, eh’ er verlernt zu lachen,
Das Auge bricht, eh’ es die Thräne trübte.

Zum Himmel kehrt die reine Seele wieder,
Kein finst’rer Tod macht sie beim Scheiden beben:
Es beugt ein Engel sich zum Kinde nieder,
Und von den Lippen küßt er ihm das Leben.

Albert Traeger.


Eine Lebens-Versicherung.
Aus den Papieren eines Berliner Advocaten.

Eine verwickelte Erbschaftsangelegenheit hatte mich vor einer Reihe von Jahren genöthigt, zur Einziehung nothwendiger Informationen nach London zu reisen. Mein Aufenthalt zog sich über Erwarten in die Länge, da ich zur Wahrung der gefährdeten Rechte meiner Clienten genöthigt war, bei den englischen Gerichten Sicherungsmaßregeln in Betreff der streitigen Erbmasse gegen die wenig bedenklichen Prätendenten nachzusuchen, die meinen Anspruch mit mehr Hartnäckigkeit als gutem Rechte bestritten. Wer die Schwerfälligkelt und Kostspieligkeit des englischen Civilproceßverfahrens mit seinen zeitraubenden Interlocuten und Incidenzpunkten kennt[1], wird sich sagen können, mit welchen Schwierigkeiten ich bei jedem Schritt und Tritt zu kämpfen hatte. Dazu kam, daß sich mein ganzes Arsenal von Kenntnissen des vaterländischen, römischen, gemeinen und französischen Rechts als ein ganz unnützer Apparat in dem Lande der Erbweisheit erwies, dessen Privatrecht sich nicht minder selbstständig, eigenartig und verschlungen entwickelt hat, wie der Organismus seines Staatslebens. Ich mußte es daher als eine besonders glückliche Fügung des Schicksals ansehen, daß ich durch Veranstaltung eines in London lebenden rechtsgelehrten Landsmannes einen Anwalt kennen lernte, der mir durch seine Einsicht und Kenntniß des englischen Rechtslabyrinths die erheblichsten Dienste leistete, und an den mich in der Folge nicht allein die zufällige geschäftliche Beziehung, sondern ein durch persönliche Achtung und Freundschaft geknüpftes Band fesselte, welches noch heute besteht. Diese Verbindung war auch zugleich der Anlaß, der den hier zu erzählenden Fall zu meiner Kenntniß brachte.

Es ist in London allgemein Brauch, daß die großen Geschäftshäuser sich eines ständigen rechtserfahrenen Beistandes bedienen, welche gewöhnlich das Amt der Anwälte (Attorney) bekleiden. In dieser Beziehung stand auch mein Londoner Freund, Mr. Pirrie, zu einer der neu gegründeten Lebens-Versicherungs-Gesellschaften, die auf dem Continente, namentlich in Deutschland, bereits eine namhafte Anzahl von Versicherten zählte.

Eines Tages erhielt ich von Mr. Pirrie ein Schreiben, in welchem er mich um eine Gefälligkeit ersuchte, die, wie er bemerkte, nicht dem Advocaten, sondern dem Freunde angesonnen wurde. Ein Einwohner der Hauptstadt, in der ich lebte, hatte sich mit einem Versicherungs-Antrage direct an die Gesellschafts-Direction in London gewendet. Die üblichen Certificate, so wie ein durchaus günstig lautendes Gesundheitsattest waren beigelegt worden, und die Sache war so weit in Ordnung. Nur schien die Höhe der zu gewährenden Versicherung der Gesellschaft Anlaß zu Bedenken zu geben, zumal der Versicherungnehmer, Kriegsrath von P., sich bereits in dem vorgerückten Alter von 46 Jahren befand. Die Summe sollte 6000 Pfund Sterling betragen, eventuell auf die Hälfte, jedoch auf nicht weniger ermäßigt werden.

Die Gesellschaft hatte in der letzten Zeit sehr bedeutende Summen zu zahlen gehabt, deren Höhe den Etat bei Weitem überstieg, welcher unter Zugrundelegung der Mortalitätstabellen ausgeworfen

  1. Wir erinnern an die treffliche Schilderung, welche Boz in seinem „Bleakhouse“ von dem englischen Proceßwesen und Unwesen entworfen hat.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_309.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)