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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und der entlegene Hämus als fernster Hintergrund, vollendeten ein Gemälde, bei dem ich lange verweilte. Weiter wandernd, bemerkte ich an den Fugen der Gartenplanken und durch die Spalten der Thüren lauschende türkische Weiber, die, noch viel neugieriger als unsere Frauen, in der Verstellungskunst aber weniger bewandert, und daher ihren Antrieben unbesorgter folgend, das Häuflein Franken in ihrer fremden Tracht mit den Augen verfolgten.

An einer offenen Hofthüre überraschte mich der Anblick eines schönen Weibes mit unverschleiertem Gesicht, natürlich einer Christin trotz ihrer türkischen Beinbekleidung. Sie hatte eben drei Kinder, die vor der Thür auf offener Straße spielten, hineinrufen wollen, allein der unerwartete Anblick einer fremdartig aussehenden Gesellschaft machte sie sowie die Kinder einen Augenblick stutzen. Gleich faßte sie sich jedoch und musterte uns mit naiver Unbefangenheit, wobei wir Zeit hatten ihre frappante Erscheinung zu bewundern. Auf dem schönen, ausdrucksvollen Kopfe saß ein Feß, der, umwickelt von einem weißen Tuche und üppigen schwarzen Haarflechten, kaum zu sehen war. Um den Hals trug sie Granatenschnüre nebst Silber- und Goldmünzen; ihre entblößte Brust war von einem blendend weißen Hemde eingerahmt; ein gestreiftes Leibchen mit engen Aermeln und ein rother Gürtel umspannten ihren Leib. Ihre Beine steckten in lichtvioletten Pumphosen und ihre nackten Füße in Holzsandalen. Die größern Kinder liefen zu ihr und klammerten sich an ihr Kleid, während das jünqste ungenirt sitzen blieb.“

„Nachdem wir noch einige Kaufläden besucht und namentlich zwei Damen unserer Gesellschaft sich reichlich mit Süßigkeiten versorgt hatten, lenkten wir unsere Schritte dem Schiffe wieder zu. Wir begegneten einem feisten Reiter, der sich, obwohl in Civilkleidern, doch durch den Tepelik – ein kleines rundes Messingschildchen auf dem Ursprung der Fußquaste – als Militair kennzeichnete. Er saß nichtsweniger als schulgerecht auf einem gedrungenen Schimmel mit rother Schabrake und trabte in lebhaftem Paß einher, indeß ihm athemlos keuchend ein bunt gekleideter Diener mit Tschibuk und Säbel folgte. Es sah in der That mehr als komisch aus, den mit allerlei Plunder behangenen, nicht jungen Diener, keuchend und schwitzend hinter dem Pferde hertraben zu sehen, während der Herr sich gar nicht um den gehetzten Menschen bekümmerte und ruhig weiter ritt. Das ist die barbarische Weise im Orient, einen Reitknecht mit sich zu führen und sich doch die Kosten für Anschaffung eines zweiten Pferdes zu sparen.“

„Das helle Geläut vom Dampfschiffe unterbrach aber sehr bald meine Betrachtungen: ich eilte in Hast dem Landungsplatze zu und langte in eben dem Augenblicke an, als man im Begriff stand, die Landungsbrücke einzuziehen.“

Ein türkischer Heiliger.

„Als ich an Bord gelangte, fand ich einen namhaften Zuwachs an meist türkischen Passagieren. In bunten, malerischen Gruppen hatten sich mehrere Bulgaren, Türken und Griechen, theils am Deck des zweiten Platzes, theils um die Maschine herumgelagert, wo sie sich bei der Frische des heiteren Märztages recht behaglich zu befinden schienen. Fast alle hatten entweder Teppiche in bunter frischer Farbenpracht, oder gewöhnliche zottige Wolldecken auf den Boden gebreitet und sich nach Ablegung der Schuhe in recht orientalischer Gravität darauf niedergelassen. Einige türkische Cavalleristen in dunkelblauen Uniformen, hohen Stiefeln und langen Lanzen mit blauen Fähnchen saßen zunächst am Rauchfang auf dem rund um demselben aufgestapelten Steinkohlenvorrathe. Auf Waarenkisten hockten oder lagen in den groteskesten Attitüden griechische Handwerksleute mit dem weiten, in zahllose Falten gelegten kurzen, weißen Tuchrocke, der enganliegenden kamaschenartigen Wadenbekleidung und dem im Verhältniß zum türkischen sehr hohen Feß. Ganz unten am Boden auf ihren Teppichen saßen die echten Osmanlis mit Turban.“

„Nachdem ich unter diesen anziehenden Gruppen bis zu dem Momente herumgewandelt war, wo mich endlich nach der warmen Cajüte verlangte, betrat ich den Salon erster Classe. Hilf Himmel! wie fand ich da die Scene oder vielmehr die darin handelnden Personen verändert.“

„Unsaubere türkische Officiere und Privatleute hatten sich mit verdächtig aussehenden Pelzen und nicht sehr appetitlich duftenden Mundvorräthen auf den Divans und Fauteuils etablirt. Einige hatten ihre Schuhe ausgezogen und ihre in durchlöcherten Socken steckenden Füße ganz ungenirt heraufgezogen.“

„Die merkwürdigste Persönlichkeit unter diesem neuen Zuwachs blieb aber unstreitig ein ganz in schwarzes Leder gekleideter Mann, den sein turbanartig um den Feß gewundenes grünes Tuch jedem in orientalischer Sitte unterrichteten Reisenden als eine religiöse Notabilität kenntlich machte. Rock und Weste waren mit wenigen, aber desto colossaleren Messingknöpfen von ziemlich hübschem Dessin versehen; sein Beinkleid, keineswegs von türkischer Façon, verjüngte sich aus seiner obern Weite schon über dem Knie zur Enge eines Reiterstiefels und endete in Kamaschenform. Seine Bewaffnung machte ihn zu einem wahren ambulanten Arsenal. Zwei Pistolen und ein Handschar steckten in dem weiten Gürtel; ein grades Fangmesser hing nach Römerart an seinem rechten Schenkel, ein Karabiner an einem Ueberschwungriemen quer über die Schulter; endlich führte seine rechte Hand eine eigenthümliche, einer Hellebarde ähnliche Stoß- und Hiebwaffe. Ein lederner Schlauch mit messingenem Hahn über seiner Schulter vollendete seinen Aufzug.“

„So stolzirte dieser sonnverbrannte, durchwetterte Gesell mit unheimlicher Zuversicht und Keckheit nicht blos unter seinen Glaubensgenossen, sondern auch unter dem gesitteten Theile der Schiffsgesellschaft auf und ab. Auf meine Erkundigung über dieses sonderbare Individuum eröffnete mir der Capitain, daß es ein im Geruche göttlicher Inspiration und der daraus folgenden Heiligkeit stehender sogenannter Fakir sei, der, scheinbar bettelnd, eigentlich aber peremtorisch fordernd, alle Länder, soweit Mahomed als Prophet verehrt wird, durchziehe, nie etwas zahle und selbst im Dampfschiffe, dieser ganz unmohamedanischen Anstalt, frei mitgenommen werde. Mißbilligend äußerte ich mich über die Zulassung eines solchen Gaudiebes in die Räume des ersten Platzes und schlug vor, ihn aus dem Salon zu entfernen. Der Capitain aber, der dieses Gelichter genau kannte, bat mich dringend, kein Aufsehen zu erregen und den Kerl gewähren zu lassen, weil ein schiefer Blick, ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_320.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)