Seite:Die Gartenlaube (1857) 386.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

des National blieb. Girardin aber, der ruhmlose Sieger, weidete sich an den Flüchen und den Verwünschungen, die jeder redliche Mann, ja ganz Frankreich gegen ihn ausstießen; er trotzte ihnen unerschütterlich mit seiner scharfen Feder, und als sich endlich der Sturm legte, den er hervorgerufen hatte, – ließ er sich zum Deputirten der französischen Nation erwählen. So bildete er im wahren Sinne des Wortes eine geißelnde Satire auf die gesinnungs- und morallose Gesellschaft, die zugleich verachten und fürchten, heute hassen und morgen verherrlichen kann.

Emil von Girardin, der durch sein Journal reich geworden und durch seine gefürchtete Polemik zu Einfluß gekommen war, hatte für seinen Ehrgeiz indessen noch ein weit höheres Ziel gesteckt. Er wollte Minister werden. Am 24. Februar 1848 gab er Louis Philipp den Rath abzudanken und die Herzogin von Orleans zur Regentin zu ernennen; er war sicher, alsdann von der ihn begünstigenden Frau ein Portefeuille zu erhalten. Aber in dieser Hinsicht verrechnete sich Girardin jedes Mal und am 24. Februar ebenfalls; als er nach seiner Ministerernennung lief, war es bereits zu spät, und die Republik, die seine glänzende Hoffnung zerstört hatte, mußte es dafür schwer entgelten. Er griff sie an und setzte sie durch seine Artikel dermaßen in Aufruhr, daß Cavaignac den mißvergnügten Deputirten der Nationalversammlung einsperren ließ.[1] Dies verhinderte ihn jedoch nicht, 1850, als sich wieder Aussichten für eine Ministerschaft eröffneten, der Führer der rothen Republikanerpartei zu werden; denn Girardin wäre auch gern Mitglied einer Directorialregierung geworden. Als Louis Napoleon dem ehrgeizigen Girardin 1851 Aussichten auf ein Portefeuille eröffnete, verleugnete dieser sofort allen Republikanismus und schwärmte für Bonaparte; als er sich nach dem Staatsstreiche des December wiederum betrogen sah, schnaubte er vor Grimm und griff Louis Bonaparte auf’s Heftigste an. Wohl drei Monate lang nach dem 10. December 1851 setzte er tagtäglich an die Spitze seines Blattes irgend einen Artikel der abgeschafften republikanischen Verfassung; z. B.: „Artikel 10. der Verfassung von 1848 sagt: der Präsident der Republik wird auf drei Jahre erwählt. Nach diesem Zeitraume muß er abtreten. Jedes Attentat gegen die Republik wird mit dem Tode bestraft.“ – Man kann sich denken, wie gefährlich Louis Napoleon diese Citate einer von ihm beseitigten Verfassung, denen weiter nichts beigefügt war, erschienen, und wie sehr sie andererseits wieder Girardin’s Einfluß bei den Volksmassen erhöhten. Trotz alledem sah man den Parvenü der Presse ein Jahr nachher wieder Arm in Arm mit Sr. Majestät dem Kaiser Napoleon III. in vertraulicher Unterhaltung auf der Terrasse des Tuileriengarteus promeniren.

Aber bald hatte er von Neuem die schmerzliche Erfahrung zu machen, daß der Kaiser Napoleon ihn nicht zum Minister auserwählen wollte. Er, sowie der andere journalistische Dr. Véron, waren bisher vom Kaiserreich genug chicanirt worden, um nicht mit ihm zu schmollen und dadurch ihre Person mit einer neuen Wichtigkeit zu umgeben. Dr. Véron, der nicht einmal zum Gesandten ernannt wurde, that sich nun wieder groß als Bourgeois, verkaufte sein Journal dem „Constitutionel“ und wurde Mäcen der Schriftsteller, um sich zu trösten. Girardin machte es ihm nach, indem er vor mehreren Monaten sein Journal verkaufte. Er verfehlte nicht, dies mit allem Eclat zu thun, den er bei jeder Gelegenheit zu entfalten verstand. Er nahm feierlichst Abschied von der publicistischen Laufbahn, was ihm natürlich Niemand glaubt, und versicherte dem über seinen Schritt erstaunten Publicum, daß ein Mann von Geist und von Gesinnung, wie er sei, unter den jetzigen Umständen kein Blatt mehr redigiren könne. So schied er mindestens mit einem echten Knalleffect, denn alle Welt war wie versteinert, als man hörte – Girardin, diese größte politische Wetterfahne, die es gegeben, dieser Charlatan, der niemals Gesinnung gehabt, und morgen verwarf, was er heute vertheidigte, dieses politische Chamäleon ziehe sich aus Gesinnung von der öffentlichen Carriere zurück.

Um diesem Aufsehen noch höheren Effect zu verschaffen, heirathete Girardin, da seine liebenswürdige Gattin Delphine 1854 gestorben war, eine reiche deutsche Gräfin und eins der schönsten Mädchen, verschloß sich in seiner Villa, und läßt die Gesellschaft, deren Schöpfung er ist, ahnen, daß sein feiner und speculativer Geist eine neue Komödie brüte; denn vielleicht wird dieser Parvenü der Presse doch noch ein Minister!

Schmidt-Weißenfels.




Der Upasbaum.

Um das Jahr 1775 schrieb der holländische Arzt Försch, der sich längere Zeit in Java aufgehalten hatte, ein Buch über alle die Merkwürdigkeiten jener Insel, und erzählt dann unter Andern auch: „Irgendwo im Innern Java’s befindet sich ein furchtbarer Baum, dessen giftige Ausschwitzungen von so zerstörender Wirkung sind, daß sie nicht nur durch die bloße Berührung schon tödten, sondern auch meilenweit im Umkreise die Luft derart vergiften, daß fast Alle, die sich diesem Pflanzenungeheuer nähern, schon in großer Entfernung todt hinfallen. Selbst den Pflanzen wird sein Hauch verderblich, und in finstrer Einsamkeit steht dieser Feind alles Lebens in seinem weiten, öden Todesthal, nur umgeben von einigen kleinen Sprößlingen seiner eigenen schrecklichen Art. Bis über drei Meilen im Umkreise von ihm ist der Boden mit den Gebeinen von Vögeln, Thieren und Menschen bedeckt.“

Unter mehreren anderen Beispielen der tödtlichen Wirkung dieses Baumes erzählt Försch, daß, als sich einst viele hundert Javanesen gegen den Kaiser empört und besiegt worden waren, sie in die gefürchtete Gegend des Upas flohen, um sich nicht als Gefangene ergeben zu müssen. Allein ob sie gleich die angenommene Grenze seines Gifthauches nicht überschritten, war doch selbst hier schon die Luft so todesschwanger, daß die meisten von ihnen schnell starben, und der Rest um die Erlaubniß bat, sich nach einem gesünderen Zufluchtsort begeben zu dürfen, was ihnen denn auch gestattet wurde. Auch diese jedoch waren bereits von den verderblichen Einflüssen des Upas ergriffen, so daß nur wenige der Begnadigten das Leben retteten.

Nach Försch wurde der Saft des Upas nicht nur zum Vergiften der Pfeile und als Hinrichtungsmittel Verurtheilter gebraucht, sondern diente auch wie in Europa die Aqua Tofana und die Successionspülverchen dem Privatbedürfnisse nach Entfernung irgend eines Lästigen. Die Holländer sollen in ihren Kriegen mit den Javanesen durch das Trinken aus vergifteten Brunnen und Quellen so große Verluste erlitten haben, daß sie lebendige Fische mit sich zu führen pflegten, durch die sie überall das Wasser zuerst untersuchen ließen. Försch gibt auch als Augenzeuge einen ausführlichen Bericht über die Hinrichtung von dreizehn Frauen des Kaisers auf einmal, bei welcher Heinrich VIII. mit Upasgift bestrichene Lancetten anwenden ließ. Diese Armen, welche das Unglück hatten, sich irgendwie das Mißfallen ihres Herrn und Meisters zuzuziehen, wurden nur ganz leicht mit der Lancette geritzt, und waren in wenig Secunden der lebenszerstörenden Wuth dieses Saftes zum Opfer gefallen.

Der Leser wird nun vielleicht fragen, auf welche Weise man sich denn dies Upasgift verschaffte, da der Baum sich so erfolgreich zu verbarricadiren verstand, daß ihm kein Mensch auch nur auf drei Meilen zu nahe kommen durfte? Auch hierauf gibt Försch befriedigenden Aufschluß: Verurtheilte Verbrecher machten sich das Vergnügen, dies dringende Staatsbedürfniß zu befriedigen. Nachdem der Spruch über sie ergangen, wurde ihnen die Wahl gestellt zwischen sofortiger Hinrichtung oder einem Gange nach dem Upasbaume und Begnadigung bei der Rückkehr mit Gift – eine treffliche Sühne für todeswürdige Verbrechen. Sie zogen in der Regel das letztere vor, denn obschon im höchsten Grade gefährlich, war doch ein Davonkommen nicht schlechthin unmöglich, und im schlimmsten Falle hatten sie einigen Aufschub gewonnen. Wenn nämlich der Wind gerade stark nach dem Baume zu wehte, und der Giftbote ein recht kräftiger Mensch war, rettete er meist das Leben, sonst freilich nicht. An der Grenze des Upasthales lebte ein alter Priester, dessen einzige Aufgabe darin bestand, die auf diese häkelige Commission Ausgesandten über das beste Verfahren zu belehren

  1. Bei dieser Gelegenheit verweisen wir auf das nächstens erscheinende, neue Buch von Schmidt-Weißenfels: „Vier Jahre Memoiren, Portraits und Erlebnisse,“ in dem sich nähere Details über die neueren französischen Bewegungen befinden.
    Der Redacteur.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 386. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_386.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)