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sinnend zurück. Sein Gesicht war sehr ernst geworden. Er versank entweder in tiefes Sinnen und Grübeln über einen Gegenstand oder er blickte auf einen Punkt seiner langen Vergangenheit zurück und bemühete sich, denselben hell und heller vor sein Seelenauge zu bringen. In seinen Zügen malte sich dabei abwechselnd tiefe Trauer und innige Rührung; einmal schienen ihm die Augen sogar feucht zu werden, obwohl seine noch immer straffe Haltung den ehemaligen Soldaten nicht verkennen ließ, der in seinem Leben viel gesehen und erfahren und der Thränen des Schmerzes wie der Rührung wohl hätte entwöhnt sein können.

Dann stand er auf. Er schien einen Entschluß gefaßt zu haben. Er nahm seinen Hut, verließ das Kaffeehaus, ging eine Strecke in der Straße hin, darauf in ein Haus und in das da befindliche Comptoir eines Fabrikanten, mit dem er bekannt sein mochte, denn nach nur flüchtiger Begrüßung sagte er mit einer gewissen Hast:

„Sie stehen ja mit Leipzig in Sachsen in Geschäftsverbindung. Reisen Sie bald dahin oder erwarten Sie binnen Kurzem einen oder den anderen Geschäftsfreund von dort?“

„Ich selbst werde vor dem Sommer nicht nach Deutschland reisen, einige Herren aber aus Leipzig erwarte ich in der nächsten Zeit.“

„Sie würden mir eine große Gefälligkeit erzeigen, wenn Sie mich von der Ankunft Eines dieser Herren sogleich benachrichtigen wollten. Ich las so eben etwas in einer Zeitung, das die Erinnerung an eine der entsetzlichsten Episoden aus meiner Soldatenlaufbahn lebendig in mir hervorrief. In Leipzig aber soll ein Mann noch leben, obwohl er fast so alt sein mag als ich, der in jener Episode eine hervorragende Rolle spielt. Ich möchte nun gar gern wissen, ob dies wirklich der Fall ist, um ihn bitten zu können, über mancherlei bei jenem Vorgange und über dessen Folgen mir Auskunft zu geben.“

Der Angstplatz in Prießnitz.

Der Fabrikant versprach die gewünschte Benachrichtigung zu geben, als aber etwa vierzehn Tage vergangen waren, wiederholte der alte Herr seinen Besuch, um sich zu erkundigen, ob noch immer Niemand aus Leipzig angekommen sei. „Ich habe keine Zeit, lange zu warten,“ sagte er: „ich bin ein Achtziger und muß jeden Tag gefaßt sein, durch den Tod abberufen zu werden, dem ich beruhigter folgen werde, wenn ich gute Nachrichten aus Leipzig erhalten habe.“

Man versprach ihm nochmals, ihn von der Ankunft eines Leipzigers sofort in Kenntniß zu setzen, er kam aber nach einigen Tagen immer selbst wieder, um sich zu erkundigen; ein Beweis, wie sehr ihm das an dem Herzen lag, worüber er Auskunft zu haben wünschte.

Endlich kam ein Leipziger Geschäftsfreund des Lyoner Fabrikanten an, Herr Louis B., und man theilte ihm mit, daß ein ehemaliger Soldat dringend wünsche, mit ihm zu sprechen. Man ging zu dem alten Herrn. Dieser, George Antoine Augustin Govéan, hatte damals in dem Kaffeehause einen Bericht, der aus der Augsburger Allg. Zeitung in französische Blätter übergegangen war, über die einfache rührende Feier der fünfzigsten Wiederkehr des 16. October in dem Dorfe Prießnitz bei Naumburg gelesen und erzählte nun, daß er bei dem grauenvollen Vorgange in jenem Orte am 16. October 1806, welchem die Gedenkfeier gegolten, vorzugsweise betheiligt gewesen sei, weshalb er zu wissen wünsche, wie es den Bewohnern von Prießnitz seitdem ergangen, ob der junge Mann, der damals so muthig und warm zu Gunsten seiner Landsleute gesprochen, wirklich der Superintendent Großmann in Leipzig sei und Anderes mehr. Schließlich ersuchte er Herrn B., diese Fragen, die er aufschreiben wolle, Großmann

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_397.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)