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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

zurück, daß er von Vorübergehenden nicht gesehen werden konnte. Rudolf Langenau eilte in ein gegenüberliegendes Haus, dessen Thür offen stand. Eine halbe Minute darauf kam um die Ecke von der Waisenbrücke her der Polizeireferendarius. Er schien etwas scharf gegangen zu sein; sein Gesicht war geröthet und sein Athem keuchte. Vorn auf dem Platze machte er Halt. Sein Gesicht blieb auf dem wartenden Wagen haften, und er war unschlüssig, ob er auf ihn zugehen sollte. Auf einmal klopfte ihm von hinten Jemand auf die Schulter. Er fuhr heftig erschrocken zusammen.

„He! he! – Ah, was haben Sie mich erschreckt!“

„Die Polizei erschrickt?“

Der Polizeidirector war unbemerkt hinter ihm hergekommen und hatte dem in seinen Gedanken Versunkenen den kleinen Streich gespielt.

„Die Polizei erschrickt? Ei, ei, das ist ein Beweis von großem Mangel an Vor- und Umsicht.“

Der Referendarius ging auf die Ermahnung nicht ein. Der Anblick des Polizeidirectors hatte lebhaft einen andern Gedanken in ihm angeregt.

„Sie waren heute Mittag nicht auf der Conferenz, Herr Director. Wissen Sie schon von dem Raubanfalle, der heute Nacht in der Dresdener Straße passirt ist?“

„Ich habe davon gehört,“ lächelte das listige Gesicht des Directors. „Und Sie?“

„Ha, ich bin den Räubern auf der Spur.“

„Schon?“

„Erinnern Sie sich jenes Abenteurers, des Grafen Zilly, der seit einigen Tagen räthselhaft verschwunden ist?“

Der Polizeidirector wurde etwas betreten.

„Was soll der?“

„Er ist noch hier, trotzdem daß sein früherer Gönner, der österreichische Gesandte, nichts mehr von ihm weiß.“

„Und Sie wissen von ihm?“

„Ich suche ihn wenigstens, und hoffe, ihn zu finden. Es ist ein Ehrenpunkt für mich, den Schurken an das Tageslicht zu ziehen. Jedenfalls ist sein Camerad, der kleine, gedrungene Spitzbube aus der Jüdenstraße, noch hier; ich bin ihm jetzt eben auf der Spur.“

„In diesem Augenblicke?“ fragte aufmerksamer der Polizeidirector.

„Wie ich Ihnen sage. Vor einer halben Stunde wird mir die Anzeige, daß in der Landsbergerstraße ein kurzer, gedrungener Kerl einen Wagen habe miethen wollen; der Fuhrmann hatte aber kein Fuhrwerk mehr gehabt. Der Mensch war nach der Ecke des Alexanderplatzes gegangen und hatte dort mit einem jungen Manne gesprochen, der wie ein Maler ausgesehen hatte, einen kleinen schwarzen Schnurrbart trug, kurz, kein anderer gewesen sein kann, als der Monsieur Zilly. Beide hatten sich getrennt. Der Maler war plötzlich verschwunden gewesen, der Andere aber die Alexanderstraße hinuntergegangen. Dies wurde mir mitgetheilt in der Conditorei des königsstädtischen Theaters.“

„Darf ich fragen, von wem?“ unterbrach den eifrigen Erzähler der Polizeidirector.“

„Von meinem Vigilanten.“

„Und der heißt?“

„Henne.“

„Ah –!“

„Was fällt Ihnen auf, Herr Director?“

„Nichts, nichts. Fahren Sie fort.“

„Ich trug dem Henne auf, den Maler wieder aufzusuchen, dem Andern setzte ich selber nach; ich mußte mich überzeugen, ob es derselbe war, den ich in der Jüdenstraße gesehen hatte. Bis zur Jannowitzbrücke fand ich seine Spur; dort verlor ich sie, und jenseits der Brücke hatte ihn Niemand mehr gesehen. Ich ging dennoch weiter bis in die Köpenikerstraße, und bin dann durch die Wallstraße hierher zurückgekehrt.“

„Und haben noch immer nichts gefunden?“

„Leider nichts!“

„Auch keine Nachricht von Ihrem Henne erhalten.“

„Auch nicht.“

„Und warten hier auf –“

„Sehen Sie den Wagen dort, Herr Director?“

„Eine gewöhnliche Lohnkutsche, in der wohl eine Spazierfahrt gemacht werden soll.“

„Warum hält sie hier?“

„Sie wartet wohl auf Jemanden.“

„Und warum sieht Niemand heraus?“

„Es mag Niemand darin sein.“

„O doch. Ich sah ein Frauenkleid, und meinte auch, eine Manneskleidung darin gesehen zu haben.“

„Lassen Sie sie. Darf ich fragen, wo Sie Ihren Henne erwarten?“

„Auf dem Molkenmarkte; dorthin sollte er mir wieder Bescheid bringen.“

„Bis wann spätestens?“

„Wollen Sie etwas von ihm, Herr Director?“

„Er ist ja Ihr Vigilant. Bis wann also?“

„Ha, da fährt der Wagen fort!“

„Lassen Sie ihn fahren; wir wollen jetzt Ihren Vigilanten aufsuchen.“

„Was wollen Sie von ihm?“

„Ein paar Worte mit ihm allein sprechen.“

„Aber der Wagen – er ist schon über die Stralauerbrücke.“

„Lassen Sie ihn; wenn er verdächtig wäre, führe er schneller. Begleiten Sie mich zum Molkenmarkte.“

Der Referendarius hätte weinen mögen vor Aerger, daß er dem Wagen nicht folgen durfte.

„Wie diese Vorgesetzten sich doch immer klüger dünken, Alles besser wissen, nie wollen fehlen können. Mit dem Grafen wollte er aucht Recht haben, und heute verdirbt er mir wieder Alles.“

So räsonnirte der Referendarius, aber sehr leise, unhörbar in sich hinein, denn er war der Untergebene und räsonnirte über seinen Vorgesetzten. Er mußte mit diesem zum Molkenmarkte gehen; aber er ballte seine entschlossene Faust in die Tasche hinein, daß er ihm bei der ersten Gelegenheit „echappiren“ wollte. „Wie ein Dieb? – Wenn es nicht anders sein kann, wie ein Dieb!“ rief er wüthend in sich hinein.

Als die Beiden ein paar Minuten fort waren, sprang Rudolf Langenau aus seinem Verstecke hervor; es war hohe Zeit. Seine schöne Blondine Emma Rohrdorf, hatte schon das Ende der Waisenbrücke erreicht, ängstlich umhersehend, da sie den Platz vor der Brücke leer fand; mit einen glücklichen Lächeln dem Geliebten entgegeneilend, als sie diesen plötzlich auf sich zukommen sah.

„Hast Du schon lange auf mich gewartet, Rudolf?“

„Nicht lange, mein Mädchen. Der Wagen ist langsam vorausgefahren, wir werden ihn bald einholen.“

„Also doch. Verzeihe mir, ich konnte nicht eher abkommen; das Criminalgericht ist bei uns und auch ich wurde vernommen.“

„Das Criminalgericht?“ fuhr der junge Mann zusammen. „Und Du?“

„Bei uns ist vergangene Nacht ein abscheulicher Raub verübt worden.“

„In Eurer Wohnung?“

„Der alte Herr, von dem ich Dir erzählte, ist überfallen, in seiner Schlafstube, und mißhandelt und beraubt.“

Rudolf Langenau war heftig erschrocken darüber.

„Erzähle, Emma.“

Das Mädchen erzählte mit allen Zeichen des Abscheu’s und der Furcht vor dem verwegenen Verbrechen und den frechen Verbrechern. Unterdeß hatten sie den Wagen erreicht.

„Der alte Herr Ehrenreich ist doch nicht erkrankt?“ fragte der junge Mann.

„Er ist wieder ganz wohl.“

„Sprich im Wagen nicht von der Sache, Emma; wir wollen heute nur dem Glücke unseres Beisammenseins leben.“

Er hielt den Wagen an und stieg mit der Geliebten ein.

„Mein Freund Theodor Beier und seine brave Mutter, Madame Beier, Sie wird bei uns Deine Mutter sein, Emma.“

Die dicke Dame reichte dem tief erröthenden, etwas verlegenen und ängstlichen Mädchen treuherzig die Hand.“

„Wir wollen recht vergnügt sein, Mamsell Emma.“

Der Wagen war weiter gefahren. Er fuhr ohne Aufenthalt durch die Alexander- und Prenzlauerstraße zum Thore hinaus. Er erreichte ohne Hinderniß Französisch-Buchholz und das bescheidene Wirthshaus des Dorfes. Eine schattige Laube in dem Garten des Wirthshauses nahm sie auf.

Rudolf Langenau war mit der Madame Beier allein gegangen.

„Madame, hier im Garten weichen Sie nicht von der Seite des jungen Mädchens.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_423.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2022)