Seite:Die Gartenlaube (1857) 450.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

schon voll, und ich wollte ihr den andern helfen zurecht setzen, da war mir’s doch, als wär’s bei ihr auch nicht richtig; sie that so scheu, und als traue sie sich selber nicht recht. Ich weiß nicht, wie’s zuging, sie hatte aber einen Schmatz auf dem Backen, daß es nur so ein Spaß war. Die Anne war so erschrocken, daß sie den ganzen Eimer voll Milch hinwarf, und sah so weiß aus, wie die Milch, die herum lief. Mir war’s auch nicht einerlei, wie die Milchstraße durch den Stall ging, die bald so breit aussah, wie die am Himmel oben, und wir standen alle Beide da und wußten nicht, was anfangen. Es sah Eins so einfältig aus wie’s Andere; da fuhr auf einmal eine Hand zwischen uns durch, und nahm den Eimer auf. Es war meine Mutter; sie lachte und sagte:

„Justament wie die Ochsen immer am Berg stehn, so steht Ihr auch da.“ Und wie wir immer noch nicht wußten, was sagen:

„Geh zum Vater, Veit, für die Anne kannst Du zehn Eimer in den Stall laufen lassen, so hat er nichts dagegen.“

„Nun hättet Ihr aber einmal sehen sollen, wie die Anne mir um den Hals flog.“

„Ho ho, Alter, so toll war’s doch noch nicht; aber freilich, so recht wie’s kam, weiß ich auch nicht, nur daß wir einander am Hals hingen, mitten in der Milchsuppe drin, ja, das ist wahr!“

„Ja, das ist wahr, und wir gingen mit der Mutter zum Vater und der war so lustig, als hätt’ ihn ein Haas geleckt. Da, ich sah der Anne gerade so recht in die Augen, ich glaub’, ich wollte ihr wieder einen Schmatz geben, aber auf die andere Backe, und sagte: „eine Schönere wie Dich gibt’s halt doch auf Gottes Erdboden nicht“ — da, ja da schloß mir unser lieber Vater im Himmel die Augen zu. Seitdem habe ich auch nichts, keinen Funken Licht, keinen Tropfen Wasser, nichts, gar nichts mehr gesehen.

„Ich dachte im ersten Augenblick und hernach noch manche Stunde und manchen Tag, ich müßte verzweifeln, aber wenn so Zeiten kamen, da nahm mich allemal meine Anne bei der Hand, und wenn es doch noch nicht ganz vorüber wollte gehen, da holte sie mir den Feldmann, und der hatte allemal den ganzen Sack voll Trost bei sich. Besonders half es aber immer, wenn er damit kam, daß unser Herr Gott mir das Unglück gerade geschickt habe in dem Augenblick, wo er mir das größte Glück schenkte, damit ich mich an dem Einen für das Andere aufrichten könne.

„Ja, ja, Herr Pfarr, Sie wissen’s ja auch schon lange, bei all der schweren Last, die’s mit sich bringt, wenn man Jahr aus und ein im Dunkeln geht, bin ich doch ein glücklicher Mann, und meine Anne, wenn auch viel auf ihr liegt, was ein Anderer ihr hätte können tragen helfen, gäbe mich armen Krüppel doch um keinen Andern her. Drum sag’ ich’s auch immer, wie der Mensch trägt, das macht’s aus, nicht was er trägt.“

Die Kätter saß zwischen der Mutter und dem Martin; sie hatte von Jedem eine Hand genommen, und das Wasser lief ihr die Backen herunter stromweis, da machte auf einmal der Martin seine Hand von ihr los, und hielt sie vor das Licht; dann fuhr er damit an die Augen und sagte:

„Brennt das Licht? Hat Eins das Licht ausgelöscht?“

Die Mutter stand auf, bog sich über ihn und sah ihm fest in die Augen. Er sah sie wohl an, aber es war, als wüßte er nichts davon und sagte, aber die Stimme stockte ihm:

„Mutter, brennt das Licht?“

Da fuhr aus dem Munde der Mutter ein geller Schrei heraus; sie schlug ihre Arme um den Sohn und rief:

„Ja, es brennt, es brennt lichterloh!“

Der Martin legte die Hände in einander, und wo er saß, blieb er sitzen; kein Wort kam über seine Zunge; gerade so machte es der Veit. Die Kätter wußte im ersten Augenblick nicht, wie ihr geschah, aber sie wurde es bald inne, denn die ganze Last von der Anne lag mit einem Mal auf ihr. Die Anne hatte Alles standhaft getragen, was ihr der liebe Gott auferlegte, aber das kam zu unverhofft und traf den weichsten Fleck. Wie’s ihr so mit einem Mal gewiß war, daß ihr Veit nicht allein, daß auch ihr Martin, den sie unter dem Herzen getragen, dunkel durch das Leben gehen sollte, da brach’s mit ihr zusammen, sie fiel der Kätter wie todt in den Arm. Sie kam freilich wieder zu sich und mußte es auch hinnehmen, still hinnehmen, wie’s aus Gottes Hand kam, aber es war doch recht schwer zu tragen.

Der Pfarrer war der erste, der gleich Rath schaffte, wie der erste Schreck vorüber. Nachdem die Anne wieder bei sich war, schickte er noch am Abend einen Boten in die Stadt und ließ den Arzt kommen. Es wurden, um ja nichts zu versäumen, allerlei Mittel angewandt, Blutegel gesetzt und Pflaster gelegt, aber der Doctor gab wenig Hoffnung. Er sagte, es hätten schon als Kind die Mittel angewendet werden müssen, jetzt wäre das Uebel schon ausgebildet; es hülfe Alles nichts, der Martin wäre und bliebe blind.

Der Vater von der Kätter that sich was darauf zu gut, daß er so klug gewesen war; er war ja klüger gewesen, wie alle die Andern. Man glaubt nicht, was manche Menschen einfältig werden können, wenn sie denken, sie wären klüger, wie Andere. Er meinte, es könnte ja nun keine Rede mehr vom Heirathen zwischen dem Martin und der Kätter sein. Die Valt’s sahen es auch so an, das heißt, ein Jedes still für sich, denn davon zu sprechen, hatte Keins den Muth. Der Martin meinte aber in seinem Herzen, das Blindsein wäre nicht sein größtes Unglück. Die Kätter kam aber nun alle Tage, wenn sie nur los kommen konnte, zu Valt’s; sie half der Anne den Zweien die Zeit vertreiben und ging ihr an die Hand, als dächte sie, nun gehörte sie erst recht zu ihnen. Der Pfarrer kam auch noch öfter wie sonst.

Es hilft dem Menschen nichts, wenn es einmal ausgesprochen ist, so viel und mehr nicht ist Glück auf dein Theil gemessen, so muß er sich hinein finden, er darf nicht mehr verlangen; der Gehorsam muß ihn lehren, sich hinein ergeben; die Gewohnheit hilft ihm dazu. So ging’s bei Valt’s und es dauerte nicht gar lange, so vergingen ihnen die Tage schier wie sonst. Der Martin fing auch an, Mancherlei blind zu thun, was er sonst sehend gethan hatte; besonders schnitzte er Alles, was in’s Haus gebraucht wurde. Die Anne, der Pfarrer oder die Kätter lasen den Beiden viel vor. Es mußte gehen – und es ging.

An einem Sonntag Nachmittag, es war im Herbst, saß der Pfarrer in seiner Stube und las; da klopfte es leis an die Stubenthüre und auf sein „Herein!“ trat die Kätter ein. Sie hatte die Augen verschwollen, man sah’s, vom Weinen.

„Nun, Kätter, was bringst Du?“ sagte der Pfarrer so recht besonders freundlich, denn er hatte sie gern, und sah’s gleich, daß sie was drückte.

„Ach, Herr Pfarr,“ sagte das Mädchen, und es schoß wieder ein dicker Strom ihr aus den Augen, „ich kann, ach, ich kann nicht vom Martin lassen.“

Ueber das Gesicht des Pfarres flog es, wie wenn ein Sonnenstrahl darüber hingegangen wäre, und er sagte:

„Kannst nicht, Kätter, kannst wirklich nicht? Nun sieh, das freut mich herzlich, Kätter, denn jetzt thust Du dem Martin bei Weitem mehr Noth, als wie er gesund war; das freut mich, Kätter. Aber was sagt denn Dein Vater dazu?“

„Ach, das ist’s ja eben, der Vater will’s nicht haben, er spricht ich sollte keine Pflegerin sein und“ –

„Und es wäre genug an Blinden durch drei Geschlechter, nicht war, das spricht er?“ sagte der Pfarrer.

„Ja, das spricht er,“ nickte die Kätter leicht vor sich hin.

„Der Vater hat wohl recht, daß er so denkt, aber Du, Kätter, hast auch recht. Es muß ein Jedes von dem Fleck aus sehen, wo der liebe Gott ihn hingestellt hat. Geh’ Du jetzt nach wie vor zu Valt’s; ich will mit dem Vater sprechen.“

Die Kätter ging leichter vom Pfarrer heimwärts. Der Pfarrer aber hielt Wort und that sein Möglichstes beim Vater. Er hatte seine Hoffnung darauf gestellt, daß wenigstens, wenn der Martin einmal selbst Söhne hätte, sie vor dem Unglück ihrer Väter bewahrt bleiben könnten, weil der Arzt gesagt hatte, es hätte in der Jugend dagegen können gethan werden. Der alte Claus blieb aber fest und die Kätter ging herum, daß sie alle Leute dauerte. Aber sie hatte immer mit dem Pfarrer zu thun und der schrieb jetzt alle paar Tage nach Berlin. Kein Mensch wußte, was er nur dort zu thun hatte. Er war nun zwanzig Jahre im Dorf und hatte sein Lebtag nicht nach Berlin geschrieben. Aber man erfuhr’s bald.

Es war in der Mitte December Nachmittags. Alles war schon hart gefroren und es lag viel Schnee, da kam ein Schlitten zum Dorf herein gefahren. Ein freundlicher Herr, er mochte in den Vierzigen sein, mit einem Bedienten neben sich, saß darin. Sie waren in Pelze eingewickelt. Der Kutscher fragte nach dem Pfarrhaus und hielt davor an. Auf dem Dorfe machte so etwas Aufsehen und darum standen zugleich mit dem Schlitten auch schon mehrere Leute da und hörten’s mit an, wie der Herr Pfarrer, der gleich aus seiner Thüre stürzte, den Fremden mit „Herr Geheimer Rath“ betitulirte, und daß er eine rechte Freude hatte; denn sein

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1890, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_450.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)