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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Das Berliner Arbeitshaus.

Wie jedes Haus, so hat auch die grosse Stadt ihren Kehrichtwinkel, wo der Ausschuß, das Gerümpel, der Schmutz, die Armuth und das unverschuldete Elend sich zusammenfinden. Ein solcher Kehrichtwinkel ist für Berlin das Arbeitshaus, in der Volkssprache auch der Ochsenkopf genannt. Es wurde von Friedrich dem Großen im Jahre 1742 gestiftet und zur Aufnahme von verarmten Bürgern und arbeitsscheuen Bettlern bestimmt. Zu diesem Behufe wurde anfänglich ein Haus in der Nähe des Halleschen Thores gemiethet, welches dem Schlächtergewerke angehörte und mit einer Reihe von Ochsenköpfen verziert war, woher wohl auch der Spitzname rühren mag. Erst später ließ der König das gegenwärtige Gebäude aufführen, welchem der Geheimerath Jordan, der Freund Friedrichs des Großen, längere Zeit mit großer Umsicht vorstand. Bis in die neueste Zeit fanden hier auch Criminalgefangene während ihrer Untersuchungshaft Aufnahme, erst seit Kurzem dient es ausschliesslich nur für die Armen, Gebrechlichen und zum Theil auch für diejenigen, welche ihre Strafe wegen eines leichteren Vergehens absitzen.

Obdachlose im Arbeitshaus.

Das finstere Gebäude, welches seine traurige Bestimmung schon von Außen durch sein düsteres Aussehen verräth, liegt auf dem Alexanderplatze, dicht in der Nähe des früheren Königsstädtischen Theaters, das einst ausschließlich dem Dienste der heiteren Musen gewidmet war. Der Eingang zum Hause wird durch einen Militairposten bewacht. Die schweren Thüren öffnen sich und wir werden von dem Pförtner nach der Inspection gewiesen, um daselbst die nöthige Erlaubniß zur Besichtigung der Anstalt nachzusuchen. Wir fanden mehrere Beamte, darunter einen Sträfling in seiner grauen Jacke von Leinwand, der hier die Dienste eines Boten oder Schreibers zu verrichten schien und bereits ein komisch bureaukratisches Wesen angenommen hatte. Der wackere Inspector wies uns, da er selbst beschäftigt war, an den jungen Arzt, der mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit sich zum Führer hergab und uns auf dieser mehrstündigen Wanderung begleitete. Dieselbe war uns interessanter als die Besichtigung manches fürstlichen Lustschlosses und mancher kunstreichen Gallerie. Wir gingen durch dieses Palais der Armuth, durch diese Gallerie des menschlichen Elendes. Welche Bilder wurden uns hier geboten, wie sie weder die düstere Phantasie des unsterblichen Dante, noch der wilde Pinsel eines Höllen-Breughel phantastischer und verzweiflungsvoller zu malen im Stande war.

Zunächst gelangten wir in einen Keller, wo eine Anzahl von Wahnsinnigen mit Anfertigung von Strohmatten beschäftigt wurde. Meist waren es Reconvalescenten oder nur leichtere Fälle; sie schienen sich in dem kühlen Raume, während draußen die Julisonne brannte, ganz wohl und behaglich zu fühlen; obgleich der äußere Anschein allzuleicht trügen kann. Gestern hatte sich erst einer aus ihrer Zahl in demselben Keller an einen Nagel in der Wand gehängt, den uns der Arzt zeigte. Der Unglückliche hatte in seinem Wahnsinn zwei seiner Kinder früher ermordet; aus der Charité vollkommen geheilt entlassen, war er in das Arbeitshaus gekommen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_464.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)