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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 35. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Zu rechter Zeit.
Novelle von Ernst Fritze.
(Schluß.)

Es gibt Criminalbeamte, die, gleich den gehetzten Hunden, den kleinsten Spuren nachwittern, wo seltsame Zufälle den Schein eines Verbrechens auftauchen lassen, und die ohne Rücksicht scharf dreinhauen, unbekümmert darüber, ob sie Disteln oder Blumen treffen.

Der Criminalrath Buggenborg gehörte zu dieser Sorte. Kaum war ihm ein dunkel auftauchendes Gerücht „von seltsamen Verhältnissen im Kurow’schen Hause und dem eigenthümlich schnellen Tode der schönen reichen Wittwe“ zu Ohr gekommen, so begab er sich zu seinem Director, der, alt und schwach, ihm mehr untergeordnet, als vorgesetzt war, und erbat sich die Befugniß, hier schnell eingreifen zu dürfen, da augenscheinlich ein entsetzliches Verbrechen und zwar das der Vergiftung vorläge. Der alte Director, erstarrt vor Schrecken von dieser Nachricht, stattete ihn mit allen Vollmachten aus und der Criminalrath verfügte sich schnurstracks in’s Sterbehaus, um den Thatbestand festzustellen und nach den Mördern zu suchen.

Er fand nur eine tief traurige Tochter. Das that aber seinem Eifer keinen Abbruch. Als das Kammerzöfchen die bestimmte Erklärung ihres gnädigen Fräuleins überbrachte und er damit abgewiesen war, stahl sich ein selbstzufriedenes Lächeln auf sein zusammengetrocknetes Actengesicht und er zog schlauen Blickes die Stirn zu hundert kleinen Fältchen auf.

„Natürlich, ganz natürlich,“ flüsterte er seinem Actuar zu, der mißtrauisch die ordnungsmäßige ruhige Trauer des Haushaltes beobachtet hatte und nicht eine Spur von wilden, wüsten Uebereilungen, wie verbrecherische Unternehmungen versteckt nachlassen, erkennen konnte.

„Freilich natürlich, Herr Criminalrath,“ entgegnete er ernst und besonnen. „Denn eine schmerzlich bewegte Tochter mag eben nicht aufgelegt sein, Herren zu empfangen, welche in gar keiner Beziehung zu ihrem Schmerze stehen.“

„Das wird sich zeigen bei der Obduction,“ flüsterte der Rath. „Wollen Sie mir einmal das Zimmer zeigen, woselbst Denata verblichen ist,“ wendete er sich zu dem Mädchen.

Nannette sah ihn dumm an. „Denata?“ wiederholte sie.

Der Actuar erläuterte lächelnd: „Wo die gnädige Frau gestorben ist, wollen wir wissen.“

Das Zöfchen öffnete eine Seitenthür. „Hier, meine Herren,“ sprach sie dienstfertig, machte aber ein Zeichen der Beschwichtigung, indem sie auf eine Flügelthür deutete, die nach dem Zimmer führte, wo Fräulein Lucilie sich befand. Die Argusaugen der beiden Beamten durchirrten schnell das wohlgeordnete große Gemach.

„Frau von Kurow hat Limonade getrunken, kurz vor ihrem Tode?“ examinirte der Rath flüsternd.

„Ja, mein Herr,“ antwortete Nannette unbefangen.

„Sie hat dabei über einen seltsamen Geschmack der Limonade geklagt?“

Mamsell Nannette sah den Inquirenten verwundert an. Woher wusste er das?

„Allerdings,“ meinte sie zögernd.

„Stellte sich Erbrechen nach dem Genuß der Limonade ein?“

„Nein. Aber die gnädige Frau wurde dunkelroth, als müsse sie ersticken, und darauf wieder leichenblaß –“

„Aha! Hatte die Limonade vielleicht einen feinen Geruch, wie von bittern Mandeln?“

„Das ist möglich, allein es ist mir nicht aufgefallen, weil unsere gnädige Frau auch häufig Mandellimonade trank –“

„Aha! Das Fräulein hatte die Limonade gemischt?“

„Ja. Es ärgerte mich, weil ich sie sonst zurecht machte –“

„Das Fräulein drängte sich also geflissentlich dazu?“

„Allerdings.“

„Das Fräulein war ganz unvermuthet am Morgen angekommen?“

„Ja. Ganz unvermuthet, und sie sprach gleich davon, daß ihre gnädige Mama krank sein müsse.“

„Aha! Frau von Kurow war aber nicht krank, gar nicht einmal unwohl?“

„Nicht ein Finger that ihr weh! Sie lachte über ihre Tochter, sagte jedoch: es sei ihr lieb, daß sie da sei.“

„Aha! Wußte das Fräulein um die Heirathsprojecte der Mutter?“

„Wenn sie es auch nicht ganz gewiß gewußt hat, so muß ihr das Benehmen der gnädigen Frau bei Tische die Augen darüber geöffnet haben.“

„Aha! Und die Damen kamen darüber in einen Wortwechsel?“

Das Kammermädchen stutzte und zögerte ein wenig. Sie wußte nicht, ob der Begriff „Wortwechsel“ mit „Zank“ gleich zu stellen sei und ein Zank war nicht entstanden, so viel sie wußte und an der Thür erhorcht hatte. Dazu war aber der gnädigen Frau auch gar nicht Zeit geblieben, nach ihrer Meinung.

„Nein,“ sagte sie plötzlich entschieden. „Meine Damen zankten nie mit einander. Wenn sie nicht einer Meinung waren, so schwiegen sie still und ließen die Sache auf sich beruhen. So schien es mir auch gestern. Das Fräulein sah zum Fenster hin und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_473.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)