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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

die Mutter Eduard des Bekenners unverletzt hervorgegangen. Zuweilen wurde die Zahl der Schritte, welche mit dem Eisen in der Hand zurückgelegt werden mußten, im Voraus bestimmt, und eben so kam es vor, daß, um dem Unglücklichen das Leben so sauer als möglich zu machen, er nachher noch das Eisen in einen zwölf Schritt entfernten Trog werfen und, wenn er diesen fehlte, die Probe unerbittlich von Neuem beginnen mußte. Auch hier fehlt es den alten Geschichtsschreibern nicht an Beispielen eines glücklichen Erfolges. Der Bischof Poppo, welcher in Dänemark als Verkündiger des Christenthums aufgetreten, bekräftigte die Wahrheit seiner Lehre vor König Harald durch die Feuerprobe, und erreichte damit die Bekehrung des Heidenkönigs. Am komischsten liest es sich, wenn die alten Germanen mit echter deutscher Gründlichkeit und Vorsicht die Hand des Angeklagten nach überstandener Probe in einen Sack steckten, diesen zusiegelten und erst nach drei Tagen in grenzenloser Spannung wieder öffneten, um nachzusehen, ob sich eine verdammende Brandwunde an derselben wahrnehmen ließ, oder die Macht Odins das glühende Eisen in der Hand des Gerechten in ein grünendes Reis verwandelt hatte.

Aelter noch als diese Feuerproben sind die sogenannten Wasserurtheile. Sie wurden bald mit kaltem, bald mit siedendem Wasser vorgenommen. Der sogenannte Kesselfang, nach welchem ein Stein oder Ring mit entblößtem Arme aus einem mit kochendem Wasser angefüllten Kessel geholt werden mußte, ist in dem salischen Volksgesetz ausdrücklich vorgeschrieben. An manchen Orten befanden sich zu diesem Zwecke eigene Kessel am Eingänge der Kirche eingemauert. Bei der kalten Wasserprobe wurde der Angeklagte einfach mit gebundenen Armen und Beinen in einen Teich geworfen. Allein hier waren unsere ehrlichen Vorfahren mit sich selbst im Zwiespalt, ob das Untersinken oder das Obenschwimmen ein Beweis der Unschuld sein solle. Diese Wassertauche war neben dem Wägen der Hexen, welche nach dem Aberglauben ein ungewöhnlich geringes Gewicht haben sollten, die bei weitem gebräuchlichste Hexenprobe und als solche noch im vorigen Jahrhundert in Geltung.

Wesentlich unterschied sich von den bisher genannten Gottesurtheilen das sogenannte Kreuzurtheil. Hier mußen sich nämlich beide Theile, der Kläger und Beklagte, der Probe unterziehen. Auch war sie bei weitem die menschlichste. Beide Gegner mußten mit ausgebreiteten Armen unbeweglich an einem Kreuze stehen. Wer zuerst zu Boden sank, oder auch nur den Arm sinken ließ, hatte verloren. Während sie dastanden, wurde gebetet und Messe gelesen. So wird uns erzählt, daß, als einst in einem Teiche des Klosters Bischofsheim ein neugebornes Kind gefunden wurde, und der Verdacht sich auf die Nonnen des Klosters lenkte, zur Ermittlung der Schuldigen alle Nonnen am Kreuze stehen mußten. Aber noch merkwürdigere Beispiele zeigen, in welchem Ansehen im Mittelalter dieses Gottesurtheil stand. Unter der Regierung Carl’s des Großen geriethen die Bürger von Verona mit ihrem Bischof in Streit wegen des Wiederbaues der Stadtmauern. Nach langen Debatten einigte man sich dahin, daß die Kreuzesprobe den Streit entscheiden sollte, und jede Partei wählte als ihren Kämpfer einen Geistlichen. Sie standen unter großen Feierlichkeiten so lange, bis der Vertreter der Bürgerschaft zu Boden fiel. Noch mehr, Carl der Große verordnete sogar auf dem Reichstage zu Thionville, daß, wenn unter seinen Söhnen bei der Theilung des Reichs nach seinem Tode Grenzstreitigkeiten entstehen sollten, das Kreuzgericht entscheiden sollte.

Ebenso unschuldiger Natur war die Probe des geweihten Bissens und des Abendmahls. Ein Stück Brod oder Käse, später die geweihte Hostie, wurde dem Angeschuldigten in den Mund gelegt und man meinte, daß, wenn er schuldig sei, er an dem Bissen ersticken müsse. Daher noch jetzt die Betheueruugen: „es soll mir der Bissen im Halse stecken bleiben“ und „ich will das Abendmahl darauf nehmen.“

Fragt man aber, welcher Aberglaube die weiteste Verbreitung fast bei allen Völkern gefunden und noch im vergangenen Jahrhundert seinen Spuk getrieben, so ist es der Glaube, daß der Leichnam des Ermordeten bei der Berührung durch den Mörder frisch zu bluten, sich zu bewegen, oder Schaum am Munde zu zeigen anfange.

Auch hierin hatte man sonach ein sehr bequemes Mittel, sich eine weitere Untersuchung zu ersparen. Man führte den Verdächtigen vor die Bahre und veranlaßte ihn, die Leiche zu berühren. Je nach den Wahrnehmungen, die man hierauf an derselben machte, war er schuldig oder unschuldig. So fordert Krimhilde im Nibelungenlied die Degen, welche mit Siegfried auf der Jagd gewesen, auf, an die Bahre des Ermordeten zu treten, und als sich der trotzige Hagen naht, klagt ihn das strömende Blut Siegfrieds als Mörder an. Auch Shakespeare läßt in Richard III. Lady Anna, als sich Richard der Leiche Heinrichs naht, ausrufen:

Ihr Herrn, seht, seht! des todten Heinrichs Wunden
Oeffnen den starren Mund und bluten frisch.

Auf dieser Basis tiefen Aberglaubens ruhten noch manche nicht zu den Ordalien gehörige Sitten des Mittelalters, die zu erwähnen zu weit führen würde. Nur eines höchst originellen österreichischen Volksglaubens sei noch gedacht, daß nämlich eine reine Jungfrau daran zu erkennen sei, daß sie eine Kerze mit dem ersten Hauche aus- und mit dem zweiten wieder anblasen könne.

Wie übrigens bei diesen Gottesurtheilen schon in den frühesten Zeiten Betrug und Hinterlist unterlief, davon sind uns mehrere sehr ergötzliche Beispiele aufbewahrt.

Einst stritten sich, wie Gregor von Tours berichtet, ein katholischer und ein arianischer (ketzerischer) Priester um die Wahrheit ihrer gegenseitigen Glaubenslehren. Lange hatten sie hin und her disputirt, da rief endlich der Katholik, von seinem Eifer hingerissen:

„Was wollen wir uns länger mit Worten streiten? Die That mag lehren, wer von uns Recht hat. Wir wollen einen Ring in einen Kessel voll kochendes Wasser werfen und wer von uns denselben unverletzt herauszieht, soll nicht nur Recht behalten, sondern auch den Gegner zu seiner Lehre bekehren.“ Der Arianer ist es zufrieden und sie gehen mit dem Versprechen auseinander, am nächsten Morgen die Kesselprobe vorzunehmen. Ueber Nacht fängt den katholischen Priester an, seine Hitze zu gereuen, mit Grauen denkt er an die gefährliche Probe und besieht sich mit Wehmuth seine wohlgenährten Arme, welche er dem siedenden Wasser preisgeben soll. Endlich fällt er darauf, sich dieselben mit Oel und Salben einzureiben und glücklich über seine List schöpft er wieder neue Hoffnung. Der Morgen kommt heran, das Volk versammelt sich auf dem Marktplatze, ein großes Feuer wird angezündet, der Kessel darüber gesetzt und ein Ring hineingeworfen. Bald fängt das Wasser an zu brudeln und zu wallen und dem Armen schwindet bei diesem Anblick von neuem der Muth. In kläglichem Tone fordert er den Arianer auf, den Anfang zu machen, aber Letzterer weigert sich dessen entschieden und beruft sich darauf, daß Jener zuerst den Vorschlag zum Kesselfang gemacht. Das Volk fängt an ungeduldig zu werden und da der Gequälte keinen Ausweg mehr sieht, entblößt er zitternd seine Arme.

„Was sehe ich!“ schreit der Gegner, „Verrath! Er hat sich den Arm gesalbt, er hat Künste gebraucht, seine Probe gilt nichts.“

Indem kommt zum Glück von ungefähr ein anderer katholischer Geistlicher aus Ravenna hinzu, fragt, was es gebe, und hat kaum die Ursache des Streites erfahren, als er seinen Aermel zurückschlägt und die Rechte in den Kessel taucht. Der Kessel war aber so groß und der Ring so klein, daß es eine Stunde dauerte, ehe er denselben fand. Als er ihn endlich erwischt hatte und den Arm herauszog, war derselbe gänzlich unversehrt und der Priester behauptete sogar, daß er im Kesiel nur Kälte gefühlt habe. Durch diese Worte kühn gemacht, streckte auch der Arianer seinen Arm hinein, zog ihn aber mit einem lauten Schrei wieder heraus und mußte zu seinem Schrecken wahrnehmen, daß er sich den ganzen Arm verbrannt hatte.

Besser als jenem Geistlichen, der sich den Arm mit Oel eingerieben hatte, gelang die List einem Ehemanne, von welchem uns ein Dichter der damaligen Zeit erzählt. Dieser Mann war, wie das zu allen Zeiten vorgekommen sein soll, mit einem eifersüchtigen Weibe geplagt, welches Ursache zu haben glaubte, in seine eheliche Treue Zweifel zu setzen. Da er stets seine Unschuld betheuerte, so verlangte sie eines Tages, daß er sich von dem auf ihm lastenden Verdachte durch die Feuerprobe reinigen solle. Es hält schwer, mit einer Frau fertig zu werden, auch unser Held vermochte die seinige nicht eher zu beruhigen, als bis er sich ihrem Ansinnen fügte. Für unsere Leser frei übersetzt lauten nun die Verse des Dichters:

Das Eisen ward nunmehr geglüht
Und auf zwei Steine hingelegt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 662. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_662.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2022)