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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

nächsten Umwohner zwar nicht, sie konnten aber doch ahnen, daß sich innerhalb der Schloßmauern etwas Ungewöhnliches zugetragen haben müsse. Erst nach der Abreise der Gerichtspersonen und des Gerichtsarztes, der sofort die Verhaftung der jungen Haushälterin folgte, drang die Kunde des Geschehenen in die Umgegend. Die Section Ottwald’s hatte ergeben, daß der kranke junge Herr an den Folgen einer starken Vergiftung gestorben sei. Der vorhandene Ueberrest des Trankes im Glase, das ziemlich geleert auf dem Tische stand, enthielt Arsenik. Diese Entdeckung führte zu weiteren Nachforschungen. Man drang in Küche und Speisekammer und fand hier eine angebrochene Kruke Himbeergelée, das ebenfalls mit einer bedeutenden Dosis Gift versetzt war. Wie dasselbe in diese Kruke gekommen sein konnte, blieb völlig unbegreiflich. Niemand als Anna hatte sie unter Verschluß, das junge Mädchen hatte sogar den Saft selbst bereitet, und sie war erst angebrochen worden, als Ottwald kühlendes Getränk verlangte.

Die Fragen, welche man an das Mädchen richtete, brachten eine solche Verstörung in ihr hervor, daß es die verworrensten Antworten gab und sich in hohem Grade verdächtig machte. Zuletzt antwortete sie nur durch Thränen, und als man ihr ankündigte, daß sie unter solchen Umständen ins Gefängniß wandern müsse und einer peinlichen Untersuchung entgegengehe, ergriff sie ein Zittern, das mehr als einer der Anwesenden für ein Zeichen ihres Schuldbewußtseins hielt.

„Was hältst Du von diesem entsetzlichen Unglücke?“ sagte Cesar zu Cornelie, als die Verdächtige abgeführt worden war und die beiden Stiefgeschwister sich allein sahen. „Die Zerstörung dieser schönen Besitzung oder ein Unfall, der mich Monate lang unfähig zu jeglicher Beschäftigung gemacht hätte, würde mich nicht halb so schwer treffen. Armer, armer Ottwald!“

Cornelie wußte sich kaum zu fassen. Der Tod des Bruders, mehr noch die Ursache dieses Todes beraubten sie fast der Besinnung. Sie irrte wie eine Wahnsinnige durch die Zimmer des weitläufigen Schloßbaues und kehrte dann wieder zu der entseelten Hülle des geliebten Bruders zurück, auf dessen bleiche Züge sie so fest ihre Augen heftete, als könnten diese fragenden Blicke den Schleier lüften, welcher diese geheimnißvolle That verhüllte.

„O daß Licht in diese Nacht dränge!“ rief sie wiederholt aus. „Daß ich ermitteln könnte, ob nur ein unseliger Zufall oder eine frevelnde Hand dem Bruder Gift in den Labetrank träufelte!“

Ueber ihre etwaigen Vermuthungen äußerte sich Cornelie gegen Niemand, selbst Cesar’s Fragen beantwortete sie nur durch Blicke oder ausweichend. Daß Anna mit Absicht ihrem Bruder Gift gereicht habe, glaubte sie nicht. Sie kannte das Mädchen als eine gute Person, ja sie wußte sogar, daß sie Ottwald mehr als andern Männern gewogen war und dies mehr wie einmal deutlich hatte merken lassen.

Von den Umwohnenden ward durch die schnell sich verbreitende Schreckensnachricht von dem Tode des jüngeren Hornburg namentlich der Mühlenpachter Caspar tief ergriffen. Dieser in seinem Fache sehr tüchtige Mann fühlte sich von jeher hingezogen zu Ottwald, den er ebenso seiner Herzensgüte wie seiner gediegenen Kenntnisse wegen hochachtete. Aber auch ihn überraschte die Nachricht von Anna’s Verhaftung und von dem Verdachte, der auf dem jungen Mädchen ruhte.

Begreiflicherweise sprach Jedermann nur von dieser geheimnißvollen Geschichte und so kam sie denn auch dem schon erwähnten Knappen Caspar’s zu Ohren, der im Auftrage seines Herrn einige Tage lang im Gebirge gewesen war, um einen Holzkauf für denselben abzuschließen. Es war am Tage der feierlichen Bestattung Ottwald’s, die unter großem Volkszulaufe stattfand; denn während die Mehrzahl an der Ansicht festhielt, es sei ein unglücklicher Zufall Schuld an dem Tode des jungen Mannes, glaubten Einzelne an ein vorliegendes Verbrechen und nahmen keinen Anstand, diese Vermuthung auch offen auszusprechen.

Von seinem Herrn erfuhr der Knappe auch die Verhaftung Anna’s. Er wankte, als er diesen Namen hörte, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht. Caspar fragte erschrocken, was ihm fehle.

„Anna ist meine Braut,“ stammelte der erschrockene Knappe. „Sie ist unschuldig, ich weiß es – ich kann es beweisen!“

Caspar wußte nichts von dem Verhältnisse seines Gehülfen mit der hübschen Haushälterin des Schloßherrn, es überraschte ihn aber nicht, da beide junge Leute unter Umständen eine passende Partie machen konnten. Ihm war nur die mit fester Stimme hingeworfene Behauptung des Knappen von Wichtigkeit und diese griff er sofort auf.

„Du kannst es beweisen?“ erwiderte der Pachter, die Worte seines Gehülfen wiederholend. „Dann ist es Deine Pflicht, unverweilt Anzeige zu machen von dem, was Du weißt.“

„Das will ich auch, und ich werde noch mehr sagen, damit, wenn eine Teufelei dahinter steckt, sie mit Gottes Hülfe an’s Tageslicht gebracht wird. Ich war in jener Nacht im Schlosse und habe etwas gesehen, ich, was mich erschreckte.“

Caspar gedachte bei diesen Worten des wandelnden Lichtes, der plötzlichen Erleuchtung jenes Zimmers, wo Ottwald Hornburg krank lag, des ihm schon damals auffallenden Schattens und dessen Verschwinden, als das Licht sich wieder entfernte.

„Aus dem Schlosse also kamst Du in jener Nacht?“ fragte Caspar nachdenkend und den Knappen scharf fixirend. „Was hattest Du so spät im Schlosse zu thun?“

Der Gehülfe wollte mit der Sprache nicht recht heraus und begann eine sehr ungeschickte Lüge zu erzählen. Der Mühlenpachter ließ ihn aber nicht damit durchschlüpfen und trieb ihn mit wenigen Worten in die Enge.

„Die Wahrheit will ich von Dir wissen,“ redete er ihn streng an, „denn sie allein ist es, die Licht in dies schauerliche Dunkel zu bringen vermag. Einer schlechten Handlung halte ich Dich nicht für fähig, wenn Du auch eines dummen Streiches Dich zu schämen hast. Sprich also, was Dich so lange im Schlosse festhielt?“

Der Knappe gestand mit niedergeschlagenen Augen, daß Anna ihm in jener Nacht ein Stelldichein zugesagt und gewährt habe, weil sie in Folge der Krankheit des jungen Herrn, dessen Pflege der ältere Bruder Niemand überlassen wollte, ungestört zu bleiben hoffen durften.

Durch einige rasche Kreuz- und Querfragen erfuhr Caspar ferner, daß Anna dem Geliebten die Thür geöffnet, ihn in die Küche versteckt und daselbst so lange ohne Licht gelassen habe, bis der Schloßherr in sein eigenes Zimmer gegangen sei. Was inzwischen sich ereignet, wisse er nicht, denn er habe in lebhafter Unterhaltung mit Anna Alles vergessen und auf nichts geachtet. Ein plötzliches Poltern erst und das Knarren einer Thür habe ihn wieder für die Eindrücke der Außenwelt empfänglich gemacht. Gleich darauf hätte man vernehmbar gehen hören und ein blitzender Strahl, der sich an der Küchenwand abgespiegelt, habe erkennen lassen, daß Jemand mit Licht über den Corridor schreite. Er sei aufgesprungen, um sich nach diesem nächtlichen Wanderer umzusehen, denn er habe vermuthet, es möge der Kutscher des Herrn sein, der ihm mehrmals aufgepaßt und ihn wahrscheinlich mit Anna, die ihn nicht leiden könne, habe überraschen wollen. Seine Braut aber sei ihm zuvorgekommen und habe durch das Schlüsselloch gesehen, worauf sie ihm zitternd die Hand gereicht und ihn dringend gebeten, er solle sich doch um Gottes Willen ruhig verhalten. Diesem Wunsche seiner Verlobten sei er nun zwar nachgekommen, des Lauschens habe er sich aber doch nicht enthalten können. Erstaunt habe er darauf mit Anna Blicke gewechselt, die ihn durch Gesten wiederholt zum Schweigen aufgefordert.

Caspar schüttelte den Kopf zu dieser Aussage seines Gehülfen. Es wollte ihm nicht einleuchten, daß sie irgend etwas zur Erhellung des Dunkels beitragen könne, das über den Begebenheiten jener Nacht ruhte. Möglicherweise konnte die ganze Angelegenheit durch diese Aussagen des Knappen nur noch verwickelter werden, denn über die Zeit, wann wohl der erwähnte Lichtschimmer die Liebenden störte, wußte der Gehülfe wenigstens nichts Bestimmtes zu sagen.

Der Mühlenpachter überlegte im Stillen, was wohl zu thun sei. Er beobachtete den Knappen, der äußerst niedergeschlagen seine Arbeit that und dessen Gedanken offenbar bei der eingekerkerten Geliebten waren. Endlich beschloß Caspar, sich die Ehre einer Unterredung mit Cornelie Hornburg, der jüngeren Schwester des Verstorbenen, zu erbitten. Es konnte dies nichts Auffälliges haben, da beide Geschwister von jeher keine Geheimnisse vor einander hatten und Cornelie daher auch in die Geschäftsverhältnisse Ottwald’s viel besser eingeweiht war, als ihr älterer Stiefbruder Cesar.

Cornelie nahm den Besuch des Pachters gern an. Caspar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_682.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)