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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

ihr Auge hinüber nach der Bank der Zeugen; sie begegnete dem Blicke ihres Verlobten, und hohe Röthe übergoß einige Secunden lang ihre bleichen Züge. Ob sie auch ihren ehemaligen Herren und Fräulein Cornelie Hornburg bemerkt hatte, war zweifelhaft. Regungslos vor sich niederblickend, harrte sie der Dinge, die da kommen sollten.

Es trat eine lautlose Stille ein, als der Staatsanwalt sich erhob, um die Anklage vorzutragen. Er sprach langsam, deutlich und nachdrucksvoll. Man konnte es aber seinem Vortrage doch anmerken, daß er von der Schuld der Angeklagten nicht völlig überzeugt sei. Aus der Anklage ging nur hervor, daß ein schwerer Verdacht auf Anna ruhe, bei der Vergiftung Ottwald Hornburg’s die Hand mit im Spiele gehabt zu haben. Es lag kein Grund vor, der annehmen ließ, das junge Mädchen habe mit Vorbedacht dem verstorbenen Bruder ihres Herrn Gift in den Labetrunk gemischt. Thatsache aber blieb, daß man bei der ungemein sorgfältigen Durchforschung des Schlosses nur in jener Kruke Gift gefunden hatte, aus welcher Anna den kühlenden Trunk für den Kranken bereitete, wie sie selbst gestand. Auf welche Weise dieser Saft mit Gift vermischt worden war, erklärte sie, nicht zu wissen.

Nicht ganz klar war ein Punkt in der Anklage, welcher die Aufmerksamkeit des Präsidenten, der Geschworenen und aller Anwesenden in nicht geringem Grade in Anspruch nahm. Es schien nämlich, als habe eine Art Liebesverhältniß zwischen Anna und Ottwald Hornburg bestanden, was dem älteren Bruder unangenehm gewesen zu sein schien. Ob eigensüchtige Gründe dabei obgewaltet, blieb unermittelt. Die Voruntersuchung erwies nur eine ausgesprochene Neigung Anna’s zu dem Knappen, den sie mit offenen Armen aufnahm, und der, wie sich durch Zeugen erweisen ließ, auch in jener Nacht, welche wahrscheinlich die Todesnacht des Verstorbenen war, auf deren Zimmer zugebracht hatte.

Die Angeklagte wechselte die Farbe, so oft ihr Name genannt ward. Im Uebrigen verhielt sie sich völlig passiv. Sie saß mit niedergeschlagenen Augen fast regungslos da. Nur einige Male hob sie schüchtern den Kopf und streifte mit klarem Auge ihren ehemaligen Herrn, der mit größter Aufmerksamkeit dem Vortrage des Staatsanwalts folgte. Dieser Blick der Angeklagten schien eine eigenthümlich magnetische Wirkung zu haben; denn so vertieft und gefesselt auch Cesar Hornburg von dem interessanten Vortrage war, immer wandte er den Kopf Anna zu, so oft der Blick des jungen Mädchens ihn traf. Diese wiederholte Berührung durch Blicke, die entweder auf ein stilles Einverständniß zwischen Cesar und Anna hinzudeuten schienen, oder auf ein nur diesen Beiden bekanntes gemeinsames Geheimniß, entging dem aufmerksamen Präsidenten nicht. Auch sein Blick ward schärfer, forschender, und alsbald war Cesar Hornburg unter allen Anwesenden für ihn die interessanteste Persönlichkeit.

Als der Staatsanwalt seinen Vortrag schloß, entstand eine schnell vorübergehende Bewegung in der menschenerfüllten Gerichtshalle. Der Präsident richtete verschiedene Fragen an die Angeklagte, die von dieser bescheiden, mit mädchenhafter Scheu, aber allgemein verständlich beantwortet wurden. Auf die Frage, ob sie schuldig sei, schlug sie die hellen Augen groß auf, und antwortete mit einem festen „Nein!“

Bei weitem der größte Theil der Zuhörer wurde durch das würdige Benehmen Anna’s für dieselbe eingenommen. Vor einer englischen Jury würde man Wetten auf und gegen ihre Unschuld gemacht haben. Und in der That mußte die Ueberzeugung in jedem ruhigen Beobachter Platz greifen, daß in der Person der Angeklagten entweder eine völlig Unschuldige vor den Schranken des Gerichts erschienen sei, oder daß man es mit einer ungemein verschmitzten Verbrecherin zu thun habe.

Das nicht hinlänglich klare Liebesverhältniß der Angeklagten, bei dessen Erwähnung Anna sichtlich von innerer Unruhe, vielleicht auch von schwer lastendem Schuldbewußtsein gepeinigt ward, erkannte der Präsident sofort als einen wichtigen Incidenzpunkt. Hier – so schien es – mußte sich ein Anhalt für weitere Ermittelungen finden lassen, und jedenfalls besaß Anna Kenntnisse über noch unerklärte Ereignisse, in deren Besitz das Gericht kommen mußte, ehe es einen Urtheilsspruch fällen konnte.

Mit väterlich milder Stimme forderte der Präsident die Angeklagte auf, jede von ihm gestellte Frage ohne Umschweife und der Wahrheit gemäß zu beantworten. Sei sie unschuldig an dem Verbrechen, dessen man sie zeihe, so werde dadurch ihre Unschuld am ehesten offenbar werden.

Anna bejahte nur durch Blicke. Auf die ersten an sie gerichteten Fragen, die von keiner großen Wichtigkeit zu sein schienen, gab sie rasche Antworten. Man fühlte aus denselben heraus, daß sie ungesucht waren und gleichsam von selbst über ihre Lippen kamen. Erst bei der scharf betonten Frage: ob sie liebe? stockte Anna, ein leises Zittern ging durch ihren Körper, die bleichen schmalen Wangen rötheten sich und mit einem nur Wenigen verständlichen Lallen gab sie eine bejahende Antwort.

„Wen lieben Sie?“ fuhr der Präsident fort.

Wieder trat eine Pause lautloser Stille ein, dann nannte die Angeklagte den Namen des auf der Zeugenbank sitzenden Mühlknappen.

Bei dem Kreuzfeuer von Blicken, das bei dieser Antwort den jungen Mann traf, ward dieser verwirrt. Er saß da wie im Fegfeuer und wagte weder rechts noch links zu sehen.

„Fanden Sie Gegenliebe?“

Auch diese Frage wurde bejaht. Der Mühlknappe athmete frei auf und ein dankender Blick glitt hinüber nach der Angeklagten.

„Wurden Ihnen von anderer Seite Hindernisse in den Weg gelegt oder gab es Menschen, die Ihre gegenseitige Neigung nicht billigten?“

„Darauf kann ich eine bestimmte Antwort nicht geben,“ sagte Anna zögernd, doch fest.

„Ich muß aber darauf bestehen, denn gerade von dieser Antwort hängt sehr viel ab. Besinnen Sie sich.“

Anna schien einen schweren Kampf mit sich zu kämpfen. Während sie zögerte, erhob sich der Mühlknappe, sah seine Geliebte fest an und machte eine bittende Handbewegung. Aller Augen richteten sich einige Secunden lang auf den jungen Mann. Da legte die Angeklagte die Hände wie zum Gebet zusammen, neigte den Kopf ein wenig und sagte: „Möge Gott mir helfen, wenn ich Unrecht thue; ich muß ja die Wahrheit sagen. Herr Cesar Hornburg sah meinen Umgang mit dem Knappen nicht gern.“

Der Genannte zuckte zusammen, aber er blieb regungslos sitzen. Die Versammlung versuchte in den kalten Zügen des vornehmen Herrn die Enthüllung des Geheimnisses zu lesen, das immer undurchdringlicher sich gestalten zu wollen schien.

„Gaben Sie Herrn Hornburg Veranlassung zu solchem Wunsche?“

„Ich kann mich nicht erinnern.“

„Falls Ihr Gedächtniß Ihnen nicht treu ist, werde ich Herrn Hornburg um nähere Auskunft bitten müssen. Ich wiederhole meine Frage: Aus welchem Grunde sah Ihr Herr es ungern, daß Sie sich versprochen hatten?“

Die Angeklagte begann still zu weinen und bedeckte ihre Augen mit beiden Händen. Cesar Hornburg lächelte unmerklich, während der Knappe ihn trotzig und herausfordernd anblickte.

Der Präsident ließ Anna Zeit sich zu beruhigen. Er wechselte leise Worte mit dem Staatsanwalt. Nach einer längeren Pause, während welcher die Angeklagte ihre Thränen trocknete, fragte er, an welchem Tage und zu welcher Stunde sie ihren Geliebten zum letzten Male gesprochen habe.

Mit den Augen abermals Cesar Hornburg streifend, nannte Anna den Tag vor Ottwald’s Tode.

„Um welche Stunde?“ wiederholte der Präsident.

„Nachts zwischen zehn und zwölf.“

Ein banges Athmen, als bilde die ganze Versammlung nur einen einzigen lebenden Organismus, ging durch den Gerichtssaal. Cesar zog sein Taschentuch und trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

„Wo trafen Sie sich?“ forschte, die Stille unterbrechend, mit sonorer Stimme der Vorsitzende weiter.

Abermals zögerte Anna, abermals hob der Knappe bittend die Augen zu ihr auf.

„In meinem Zimmer am Ende des Corridor, welcher zum alten Schlosse führt.“

„Verließen Sie während Ihres Beisammenseins das Zimmer, wo Sie mit einander verkehrten?“

„Nein, erst als wir uns trennten.“

„Und wann geschah dies?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_694.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2021)