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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Gemüthsruhe auf sich beruhen, als handle es sich um einen neu angelegten Kegelschub.

Unter den hundertzehntausend Seelen der Hauptstadt aber gab es doch Einige, die von einem andern Genius belebt wurden, und diese gingen, um dies für Dresden noch nicht dagewesene Etablissement in Augenschein zu nehmen – und als sie zurückkehrten, floß ihr Mund über ob der geschauten Pracht und Herrlichkeit, und ihre Mittheilungen klangen wie ein Märchentraum aus Tausend und Einer Nacht.

Unter bewandten Umständen war es denn kein Wunder, wenn auch Einsender zu dem Wanderstabe griff und, da bekanntlich bei schlechtem Wetter in Dresden keine Droschke zu haben, tapfer mit Sturm und Regen kämpfte, um das angebliche Paradies zu erreichen.

Als er den prosaischen Ziegelschlag im Rücken und sich der Blick weitete, wie lagen doch Berg und Thal, Strom und Landschaft, Baum und Strauch im tiefen Winterschlafe – wie schaute Alles so erstorben, trostlos, ungastlich; wie riß der Sturm so rücksichtlos in den Falten des schützenden Ueberwurfs; wie peitschte unerbittlich der naßkalte Schnee in’s Angesicht – und fünfhundert Schritte weiter, welche Wandlung, welch überraschender Zauber! Der Wanderer war in den Wintergarten getreten. So eben noch kämpfend mit allen Chicanen des nordischen Himmels, umfing ihn plötzlich ein behaglich grüner, umfriedeter Frühlingsdom, dessen Stille nur durch das Geriesel der Quellen, durch das angenehme Rauschen der Springbrunnen und durch leisen Vogelgesang, der wie Frühlingstraum die kleine, grüne, stille Welt durchzog, unterbrochen wurde. – Hatte ihn eine gütige Fee von der eisumgürteten Elbe, aus dem winterrauhen Mitteldeutschland mit einem Male in einen Palmengarten am Ganges, in ein Frühlingsthal Afghanistans, in einen Urwald der neuen Welt versetzt? – Da standen sie und streckten aus dem grün-fröhlichen Moose Brasiliens, das wie ein immer frischer Teppich diese Räume durchzieht, ihre grünen Arme hoch empor, die Kinder fremder Himmel. Da rankten und umarmten sich in südlicher Gluth, Leidenschaft und Ueppigkeit die wildfremden Geschlechter ferner Zonen. Wer zählt ihre Namen, beschreibt ihre Formen? Diese Palmen in reicher Mannichfaltigkeit, in seltenen Species und auserlesenen alten Exemplaren mit ihren federartigen majestätischen Kronen; diese Bananen mit ihren himmelanstrebenden Riesenblättern; diese Arorideen in ihrer imposanten Entfaltung; diese glockenförmige Yucca; diese zahlreichen Arten der wasserfallähnlichen Dracäneen, der Pincenecticien, Begonien und Amaryllen; diese capriciösen Launen und Humoresken des großen Blumendichters, die Orchideen' –!

Und dieser ganze Reichthum einer tropischen Pflanzenwelt, von Meisterhand geordnet, geschmackvoll gruppirt, mit besonderer Liebe und Sorgfalt gepflegt, mit künstlichen Felsen versehen, wo die schönsten Farrenkräuter ihre grünen Hände ausstrecken, von künstlichen Quellen umrieselt, in beständiger Frische und vermittelst Wasserheizung in ununterbrochener angenehmer, warmer Atmosphäre erhalten, durch Glasdächer vor den barbarischen Launen des Nordhimmels geschützt, von sechs Fuß breiten, sauber gehaltenen Gängen durchschnitten, mit Ruhebänken und lauschigen Plätzchen versehen – eine liebe grüne Wildniß, ein Zauberpark, in welchem man sich unter ferne Himmel träumen kann – das ist das Warm- oder Palmenhaus, welches die erste Abtheilung des Dresdner Wintergartens bildet.

Wenden wir uns jetzt zur Linken und treten vermittelst einer Glasthüre, in die zweite Abtheilung. Der Thermometer sinkt um einige Grad, eine frischere Luft umweht uns, und eine weniger fremde, aber um so reizendere Flora begrüßt uns; obschon auch hier in manchen Geschlechtern und namentlich in den zahlreichern Arten der reizend gebauten Akazien, in den Agaven und Araucarien die Himmel Amerika’s und Neu-Hollands nicht zu verkennen sind. Die Rhododendren in ihren reichen Blüthenglocken leuchten hier in erlesenen Exemplaren in unvergleichlicher Schöne, während man auf den geschmackvoll decorirten Blumenetageren zur Rechten, Linken und im Hintergrund an kleinern Pflanzen und Blumen die Mannichfaltigkeit der Mutter Natur, ihre feine Spitzenarbeit an Blatt und Blüthe, so wie ihre Farbenpracht und Schöne nicht genug bewundern kann.

Doch treten wir jetzt in das wahre Blumenparadies des Dresdner Wintergartens, in die der zweiten Abtheilung gegenüber gelegene und ebenfalls durch eine Glasthür vom Palmenhaus getrennte dritte Abtheilung.

Hier leuchtet der Himmel der Camellien und Hyacinthen, der Rhododendren und Azaleen in seltener Vollendung, in reichster Pracht, in tausendfältiger Schöne. Wie goldne Sterne blinken die schönen Blumen Japans aus dunkelm Laubgrün. Kein Königsmantel kann prächtiger gestickt sein, als diese dunkelgrünen Laubwände. Es ist ein Blumenfeuerwerk, worin die Riesenbouquets hervorbrechender Hyacinthen die blühenden Girandolen bilden. Und welche Mannichfaltigkeit bekundet hier die Malerin und Bildnerin Natur! Vom tiefen Nachtdunkel bis zum reinsten Schneekleide, vom ernsten Nordlichtpurpur bis zur holdseligen Morgen- und Rosenröthe; von der stolz gebietenden, üppigen Königin bis zum einfachen, schüchtern-bescheidenen Blumenkinde, in tausendfältiger Abstufung und Schattirung – Alle finden hier ihre Vertreter.

Die etagerenartigen, wunderbar zartgearbeiteten Christbäumchen der Acuarien finden sich in dieser dritten Abtheilung in noch kostbarern Exemplaren vor. Dasselbe gilt von den zahlreichen Akazienarten südlicher Zonen. Noch reicher geschmückt als in der zweiten Abtheilung erheben sich die Blumenetageren in den von Camellien und Rhododendron umblühten Boskets; während sich die Erika’s und die Epacris in ihren zahlreichen Arten, wie feine Bijouterie und Perlenarbeit, in dem schönen, mit ungemeinem Geschmack geordneten Ganzen liebenswürdig gruppirt finden.

Die Krone dieses Blumentempels aber bildet unbestritten jene im Hintergrunde des großen Camellienganges aus Hunderten von Hyacinthen und Azaleen gewirkte, von Rhododendren umblühte und von Lorbeerbäumen – deren zwei über hundert Jahre zählen – umrahmte große kostbare Altardecke, die da leuchtet und duftet in wahrhaft bezaubernder Schöne, und auf welche die Göttin Flora lächelnd herniederschaut. – Fürwahr, wenn man Jemand träumend auf eine der hier befindlichen Ruhebänke niederlegen und durch eine sanfte Musik erwecken wollte, er müßte, die Augen aufschlagend und diese Blumenpracht erschauend, sich für gestorben halten und glauben, im Paradiese zu erwachen.

Wo aber solche Blumenpracht leuchtete, und zwar in einem Reichthume und einer Fülle, in einer Ordnung und Aufstellung, wie sie bisher in Dresden – ohne den unterschiedlichen geschmackvollen Blumenausstellungen zu nahe zu treten – in solchem Grade noch nicht dagewesen war, konnte es nicht fehlen, daß sich der Wintergarten alsbald des zahlreichsten Besuchs von Seiten der Bewohner Dresdens und Fremder zu erfreuen hatte. Von der königlichen Familie und den höchsten Gesellschaftskreisen herab bis zu dem einfachen Bürgersmanne fand dieses neuerstandene Blumeneden seine Freunde und Bewunderer; und während man sich einerseits der hier aufgestellten Pracht und Herrlichkeit erfreute, erstaunte man andererseits, daß diese blühende Schöpfung das Werk eines - Privatmannes, der viele Tausende nicht gescheut, um sie in’s Leben zu rufen.

Der Wintergarten entfaltet seine reichste Pracht und Schöne zur Zeit der Camellien-, Hyacinthen-, Rhododendron- und Azaleenblüthe, wo er durch die mit ihm in Verbindung stehenden funfzehn Gewächshauslinien, welche gleichsam die ungeheueren Reserven bilden, mehrere Monate lang in ununterbrochener Frische, Pracht und Herrlichkeit erhalten wird und ein Blumenparadies darbietet, wie solches selbst die reichste und schönste Rosenblüthe in unseren Sommergärten nicht zu geben vermag. Schon der Contrast - außen Winter, Sturm und Kälte – im Innern wohlthuende Wärme, freundliches Klima und rings nichts als Blumen in prachtvoller Entfaltung, übt einen Eindruck, wie solchen kein Blumengarten des Frühlings und Sommers zu gewähren im Stande ist.

Möge daher Niemand, der Dresden zur Blüthezeit seines Wintergartens besucht, diese paradiesischen Räume undurchwandert lassen.

Das aus Eisen und Glas aufgeführte Gebäude des Dresdner Wintergartens mißt in seiner Länge dreihundert englische Fuß und umfaßt einen Flächenraum von zwanzigtausend Quadratfuß. Es ward von seinem Besitzer, wie erwähnt, mit ungemeinem Kostenaufwande in unverhältnißmäßig kurzer Zeit gebaut und mit Tausenden und Abertausenden von Topfpflanzen geschmückt. Dieser Wintergarten, mehr ein Werk der Liebhaberei seines Besitzers, der mit seltener Liebe und Hingebung der Erziehung, Pflege und Cultur der Kinder Flora’s sich widmet, als des pecuniären Gewinnes, steht, wie schon oben erzählt, mit funfzehn Gewächshauslinien, sowie mit großen, zwanzig Morgen Landes umfassenden Park- und Gartenanlagen, wo ununterbrochen zwölf Kunstgärtner Beschäftigung finden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_067.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)