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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

im Café Mazza. Ich sah nur weiße Uniformen. Doch nein, da sehe ich einen Herrn in einem Civilanzuge, der die Augsburger Allgemeine Zeitung liest. Seiner Figur, seinem Haar und seinem mir halb zugewandten Profil nach scheint er wirklich ein Italiener zu sein. Neugierig gehe ich zu ihm heran. Er sieht auf, und ich erkenne den Grafen T., einen meiner Bekannten aus Venedig. Er hatte in Brescia gehört, daß ich nach Mailand gereist sei, und dachte mich im Officier-Kaffeehaus zu finden. Graf T. war halb ungarischer, halb italienischer Abkunft, und sein Herz schlug für Italien. Wir begrüßten uns, erfreut, uns sofort in Mailand wiederzufinden – der Graf war erst vor einer Stunde angekommen – und setzten uns draußen, vor der Thüre des Café’s unter dem Porticus nieder. Die Rauchdemonstration hatte noch nicht ihren Anfang genommen; wir zündeten uns die langen, schwarzen, italienischen Cigarren an, und schauten auf den Domplatz und auf den Corso Francesco, der heute von Spaziergängern und Equipagen wogte.

Es traten bald noch einige Officiere meiner Bekanntschaft hinzu, und einer derselben stellte den Oberlieutenant von G. vor, der bei einem deutschen Regiment in Lemberg stand und in Mailand auf Urlaub war. Auch er stammte von seiner Mutter her aus einer lombardischen Adelsfamilie. Er war ein eleganter, angenehmer junger Mann.

„Werden Sie lange in Mailand bleiben, Herr v. G.?“ fragte ich ihn.

„Lange?“ erwiderte er, mich etwas verwundert ansehend. „Noch in dieser Woche reise ich in meine Garnison zurück.“

„Warum denn so schnell?“ fragte ich wieder. „Gefällt es Ihnen in Mailand nicht oder ist Ihr Urlaub schon zu Ende?“

„Nein,“ sagte er. „Mein Urlaub dauert vier Wochen. „Aber was soll ich hier? Meine Cameraden habe ich gesehen und gesprochen. Meine Verwandten empfangen mich nicht. Keiner meiner Besuche ist erwidert worden, und wo ich war, hat man mich so kalt aufgenommen, daß ich mit Anstand nicht zum zweiten Male kommen kann. Man verzeiht mir nicht, daß ich, dessen Großmutter eine Italienerin war, in der österreichischen Armee diene. Ich sage Ihnen, das ist unerträglich. Ich reise noch in dieser Woche ab.“

Es war die Geschichte des Rittmeisters v. K., nur in einer neuen Auflage. Der junge Mann sah sehr verstimmt und verdrießlich aus. Er hatte wohl Recht, wenn es ihm in dem prächtigen Mailand nicht gefiel.

Wir schwiegen darüber still und plauderten von andern Dingen.

„Kennt einer der Herren den Herzog Litta?“ fragte ich.

Der Herzog Litta ist bekanntlich einer der reichsten und vornehmsten lombardischen Edelleute. Er betheiligte sich in der energischsten und umfassendsten Weise an dem Aufstande im Jahre 1848 und floh nach der Einnahme Mailands durch den Feldmarschall Radetzky nach Sardinien. Seine sämmtlichen Güter, Paläste und Schlösser wurden confiscirt und sequestrirt. Sein Palast in Mailand wurde in eine österreichische Caserne umgewandelt. Ganz derangirt in seinen finanziellen Verhältnissen, unterwarf er sich vor drei Jahren, wurde begnadigt, in seine sämmtlichen Güter und Besitzungen wieder eingesetzt und bewohnt jetzt seinen Palast in Mailand. In der ganzen deutschen Presse war damals viel von der Unterwerfung und Begnadigung des Herzogs die Rede. Sein Beispiel steht aber sehr vereinzelt da und beruht auf vielfachen persönlichen Gründen und Verhältnissen.

„Wollen Sie den Palazzo Litta sehen?“ fragte mich einer der Officiere, der mit dem Grafen T. sprach. „Es wohnt einer unserer Generale dort, mit dessen Adjutanten ich befreundet bin. Ich werde Sie nach Tische hinführen.“

Ich nahm das Anerbieten dankend an.

„Hat denn der Herzog Umgang mit der lombardischen Aristokratie?“ fragte ich.

„Umgang?“ erwiderte mir der Hauptmann verwundert. „Wie können Sie denken? Er steht ganz allein. Niemand geht mit ihm um. Niemand verzeiht ihm seine Unterwerfung. Und doch mußte er. Er war ganz derangirt. Auch ist er ein etwas beschränkter und schwacher Herr. Aber kommen Sie, meine Herren, wir wollen in die Giardini publici gehen. Heute ist dort Musik, und Sie können die schöne Welt von Mailand sehen. Es ist hier schrecklich langweilig.“

Wir standen sämmtlich auf und gingen den Corso Francesco und den Corso Orientale hinab nach den Giardini publici. Der Corso Francesco und der Corso Orientale sind die reichsten und prächtigsten Straßen von Mailand, die Mailänder Boulevards. Reiche Läden, Magazine, Kaffeehäuser, hohe Häuser mit Marmorbalkonen und glänzenden Spiegelscheiben bilden ihre beiden Seiten, ich kann ihren Anblick nur mit dem der Pariser Boulevards vergleichen. Obschon die eigentliche Saison für Mailand erst später beginnt und die meisten Adelsfamilien noch auf dem Lande waren, hatte der wunderbar schöne Novembertag sie dennoch mit einer Fluth von Equipagen und Spaziergängern bedeckt. Doch bemerkte ich unter den Tausenden, welche an uns vorübergingen oder vorüberfuhren, Niemanden, der mit einem Officier sprach oder ging, oder der auch nur grüßte. Auch die Soldaten gingen einzeln oder zu Paaren. Keiner ging mit einem Bürger oder einem Mädchen, kein einziger. Wir gingen plaudernd die lange prächtige Straße hinab, da fuhr eine glänzende Equipage vorüber. In dem Wagen saß eine ältere Dame mit einem jungen Mädchen von großer Schönheit. Es war mir, als wenn die Damen zu uns herübersahen. Der Lieutenant v. G. grüßte.

„Kennen Sie die Damen, Herr v. G.?“ fragte ich.

„Es ist meine Tante und meine Cousine,“ sagte er. „Ich habe wirklich nicht bemerkt, ob sie wieder gegrüßt haben. Ich machte bei ihnen meinen ersten Besuch. Sie haben mich nicht eingeladen, wiederzukommen. Was hilft mir das nun, daß ich eine so schöne Cousine in Mailand habe?“

Wir kamen in den öffentlichen Garten, in die Giardini publici. Er liegt am Ende des Corso Orientale, an der Porta Orientale, noch innerhalb der Stadt und bildet an heiteren Tagen einen Hauptspaziergang für die Mailänder Bürger. Auch heute war der Garten viel besucht. Seine schönen, langen Alleen wogten von Spaziergängern, Herren und Damen. In der Mitte der breiten Allee, welche den Garten von Westen nach Osten durchschneidet, war ein österreichisches Musikcorps aufgestellt und führte einige italienische Musikstücke in vortrefflicher Weise aus. Die Musikbanden der meisten österreichischen Regimenter sind vortrefflich eingeübt. Sie sind besser, als ich sie in irgend einer anderen europäischen Armee gefunden habe. Alles ging plaudernd, horchend und seine Bekannten grüßend oder ansprechend hin und her, oder hatte sich auf unabsehbare Reihen von Rohrstühlen, welche zu beiden Seiten der Allee aufgestellt waren, niedergelassen. Die ganze schöne Welt von Mailand ging an uns vorüber. Es war, wie in Paris im Tuileriengarten in der Allée des Feuillants. Schöne Frauen mit großen dunkeln Augen, mit prächtigem Haar, hohe und edle Gestalten schwebten zu Hunderten an uns vorüber. Wenn die Mailändischen Frauen auch nicht alle schön sind, wenn ihre Gesichtszüge auch nicht den antiken Ausdruck der Römerinnen haben, so haben sie jedenfalls schöne, prächtige Augen, reiches Haar, und ihre Gesichtszüge tragen einen nationalen Typus, an dem es den deutschen Frauen so sehr mangelt. Ihre Gesichter haben Ausdruck und Leben, ihre Augen verrathen Feuer und Leidenschaft. Uns sah keine dieser schönen Frauen an, keine grüßte uns, sie kamen und gingen zu Hunderten an uns vorüber, ohne daß ein Blick auf uns fiel.

„Was sagen Sie zu unsern Damen?“ fragte mich einer der Officiere. „Nicht wahr, wundervoll? Es ist ewig schade, daß wir mit ihnen nicht in Frieden leben. Aber sie sind für uns wie nicht da.“

„Ist es denn gar nicht möglich, hier in Mailand irgend wie Bekanntschaft anzuknüpfen?“ fragte ich.

„Ausnahmsweise, ja, mit einem Bürgermädchen,“ war die Antwort. „Die sind gerade nicht durchweg so consequent. Aber die Ausnahmen sind doch selten und dann darf es Niemand wissen. Oeffentlich würde keine Einzige wagen, sich mit uns zu zeigen.“

Es war auch hier im öffentlichen Garten, wie überall. Die Officiere und Soldaten gingen einzeln oder zusammen hin und her, oder saßen gruppenweise auf den Stühlen. Um jede Gruppe von Stühlen war es aber ganz leer. Erst in einiger Entfernung saßen oder standen Gruppen von Mailänder Bürgern, Frauen und Mädchen. Ich habe auch in dem ganzen großen Garten, in dessen Gängen und Alleen doch heute viele Tausende von Menschen versammelt waren, während zwei Stunden keinen einzigen Menschen gesehen, der einen schwarzen Oberrock trug und der mit einem Officier oder Soldaten sprach oder ging oder neben ihm saß. Ich und der Graf T. waren die einzigen – und unter unseren schwarzen Röcken schlugen auch italienische Herzen.

Es war drei Uhr. Die Musik war vorüber, die Spaziergänger hatten sich zerstreut oder waren nach Hause gegangen und der Garten war leer. Auch wir gingen den Corso Orientale und den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_071.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)