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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

berechnend, ob das Material zu einer stattlichen Perrücke reiche. Die im Laden aufgestellten Parfumerieen stammen sämmtlich aus seiner Vaterstadt Berlin, die zahlreichen Flaschen Eau de Cologne mit eingeschlossen. Altes Baumöl, versetzt mit irgend einem nicht genauer zu bestimmenden Wohlgeruch, wird als haarstärkendes Blüthenöl verkauft, gefärbtes Schweineschmalz stellt irgend ein fabelhaftes Thierfett vor, und parfümirter Essig muß sich zu allen möglichen Dingen hergeben. Der Handel mit Seife geht aber am stärksten, da in dieser Stadtgegend am Sonntage wirklich ein lebhaftes Bedürfniß vorhanden ist.

Diese Herren Friseure beschäftigen sich überwiegend mit der Praxis außer dem Hause. Sie setzen Vormittags alte eitle Mamsellen in Stand, befestigen täglich die Haartouren reicher Kahlköpfe, und brennen jungen Schauspielern und ähnlichen müßigen Garçons die Locken zur Mittagspromenade, während ihre Gehülfen und Lehrlinge den mitunter nicht unblutigen häuslichen Dienst versehen.

Zum Amt des Friseurs gehört einige Kenntniß der französischen Sprache, weshalb ihre Gehülfen auch auf der oberen Gallerie gefunden werden, wenn französische Schauspieler in Berlin anwesend sind. Das Aeußere dieser Herren zeichnet sich nicht durch eine kühne Zusammenstellung bunter Farben aus, die bei Barbiergehülfen Sonntags sehr beliebt ist, sondern nur durch die schwungvolle und zierliche Anordnung ihrer eigenen Haare. Auch erkennt man sie an den streng kritischen Blicken, mit welchen sie die Frisuren anderer Christenmenschen beobachten. Sie stehen darin ganz mit den Schneidern auf einer Stufe. Von allem Charakteristischen an einem Menschen sehen Beide nur, was in ihr Fach fällt. Als während der Pariser Industrieausstellung der Kaiser Napoleon von einer Parade nach den Tuilerien ritt, standen vor uns ein Friseur und ein deutscher Schneidermeister. Jener machte unseren Landsmann auf den wohlgepflegten Schnurrbart des Kaisers aufmerksam. Dieser aber rief, ohne den oberflächlichen Friseur zu beachten: „Sehen Sie lieber, wie gut ihm die Hosen sitzen!“ – So sprechen nur die Genies der Toilettenkunst. –




Der schwarze Georg von Serbien.

Sie haben zu Weihnachten den Sohn des schwarzen Georg, Alexander, abgesetzt und dafür ihren anderen modernen Helden, Milosch, den Zweiundachtzigjährigen, vor zwanzig Jahren Davongejagten, wieder als Retter auf den Thron gerufen. Europa, ohnehin schon in der größten politischen Verlegenheit und durch allerhand Kriegsgerüchte in seinem friedlichen Fleiße beunruhigt, ist dadurch mit einer Verlegenheit mehr beschenkt worden, da alle Großmächte es als eine ihrer heiligsten Pflichten betrachten, gewisse kleine, unsichere Throne Europa’s mit Fürsten zu versorgen und sich bei diesem Geschäfte bald zu zanken, bald zu vereinbaren.

Dazu gehört der Fürstenstuhl Serbiens, der blos drei Beine zu haben scheint, so daß immer eine Großmacht das vierte ersetzen zu müssen glaubte, um den Stuhl und den Fürsten darauf nicht fallen zu lassen.

Früher war’s ganz anders. Serbien, das paradiesische, von den stärksten Männern und den schönsten Mädchen bewohnte, singende, liederreiche, heldenmüthige Serbien über der Donau drüben, mit den üppigsten Feldern und Wäldern und malerischsten Berglandschaften, durch welche manch’ herrlicher Fluß und Strom der Donau zueilt, blühte einst vom siebenten Jhrhunderte an als großer, mächtiger, heroischer Staat. Im vierzehnten Jahrhundert nannte der serbische Kaiser Stephan Duschan ganz Serbien, außerdem Macedonien, Thessalien, Nordgriechenland und Bulgarien sein Land, über welches er Kunst und Wissenschaft, Industrie und Handel aussäete. Aber die Landestheile zerfielen unter späteren Kaisern, besonders durch deren Satrapen oder Statthalter. Die Türken fielen über ein Stück nach dem anderen her und behielten sie. Später (1718) wurden die besten Theile Serbiens Oesterreich zuerkannt, durch den Frieden von Belgrad (1739) aber wieder dem Sultan, an dessen Stelle wüste, fanatische, ruchlose Janitscharen nicht nur Serbien, sondern auch die ganze Türkei ausplünderten und bis auf’s Blut mißhandelten.

Die „Srbins“ oder Serben wurden von Creaturen der Janitscharen von ihrem Grund und Boden gejagt, wenn sie nicht mehr zahlen konnten. Türken wurden große Grundeigenthümer und besetzten alle Staats- und Verwaltungsämter, d. h. verschiedene privilegirte Stellen zum willkürlichsten Ausplündern, Gerechtigkeit und Gesetz waren ganz verschwunden. Kadis oder Richter gaben nie einem „Srbin“ Recht.

„Was der Pascha nicht nimmt, nimmt der Bey; was der Bey nicht nimmt, nimmt der Aga; was der Aga nicht nimmt, nimmt der Janitschar, und was der nicht nimmt, will auch der Teufel nicht mehr haben.“ Dieses Sprüchwort trat in Serbien an die Stelle herrlicher, volltöniger Volks- und Heldenlieder.

Die Serben sind in friedlicher, ackerbaulicher Häuslichkeit die schönsten, gastfreundlichsten, lustigsten Leute von der Welt, die alle Abende nach leichter Arbeit auf üppigem Boden, nachdem sie die Schweine gehütet u. s. w., zu singen und mit ihren wunderschönen Mädchen auf freien Plätzen zu tanzen lieben.

Aber ein Stück Landes nach dem andern wurde ihnen genommen, eine Heerde nach der andern weggetrieben. Lust und Lieder verstummten. Der unsichere oder verlorene Besitz hatte keinen Werth mehr. Dunkele, sehnige Männergestalten nahmen Aexte, schlugen ihre Pflüge in Stücke, umgürteten sich mit breiten, gestickten, festen Brustbinden, steckten Pistolen und breite Schlitzmesser hinein, schulterten lang- und schlankläufige Damascenerflinten und verließen schaarenweise Haus und Hof, ganze Dörfer, um in Wäldern als Karl Moor’s und der Rache gegen alle Türken, als Haiducken, zu leben. Das Gegengift gegen die Janitscharenwirthschaft schwoll als Haiduckenthum auf und erfüllte das schöne Serbien mit entsetzlichen Thaten der Rache, Grausamkeit, Räuberei, List und Verwilderung. Der Name Haiducke verbreitete sich als Schreckenswort über Europa.

Die Janitscharen überboten in Thaten der Rache die Haiducken und suchten ihre Opfer selbst in fremden Ländern auf. Kaiser Joseph II. und Katharina II. erklärten der Pforte Krieg. Als Grund war auch der mit angegeben, daß Janitscharen serbische Haiducken, die zum Theil als Freiwillige in der österreichischen Armee Sicherheit gefunden hatten, auf österreichischem Boden aufgesucht und abgeschlachtet hätten.

Unter diesen Haiducken der österreichischen Armee ragte eine hohe, riesige, schwarzglühäugige, elastische, breitschulterige Gestalt hervor, genannt Georg Petrowitsch, auch der schwarze Georg, Czerny Georg, hernach Kara[1] Djordje und der „Befreier Serbiens“, wie Milosch auf sein Grabesdenkmal malen ließ.

Der schwarze Georg ward kurz vor 1770 in Wischnjewzi bei Kragujewaz geboren. Sein Vater Petar war Bauer und Schweinezüchter. Vor den Räubereien türkischer Beamten und Janitscharen fliehend, hatte er sich tiefer in’s Gebirge, in das Dorf Topola, zurückgezogen. Hier hörte der junge Georg nur von Türkenhaß reden, von Thaten der Haiduckenrache, der er sich schon als Knabe angeschlossen haben soll. Nachdem er mehrere Türken abgethan, floh er (1788) vor deren Rache in das Oesterreichische. Die Janitscharen hatten ihm persönlich Rache geschworen. Er scheint sich gleich im Anfange als Genius der Rache hervorgethan zu haben. Rache! Immer Wiederholung desselben Wortes? Werden sie sich nicht an seinem Vater rächen, wenn sie ihn nicht finden? Der Vater soll mit fliehen. Aber der alte Mann weigert sich. Der Sohn bittet, wird eifrig, flammt auf aus seinen dunkel glühenden Augen in Wuth gegen die Schwäche des alten Mannes, in Liebe zu dem Vater, welchen er für scheußliche Martern der Janitscharenbanden, für einen schmachvollen Tod zurücklassen soll. Der Vater bleibt unerbittlich.

Wir wissen aus einer wundervoll dramatischen Schilderung des Livius, wie einst ein edler Römer seine jungfräuliche, schöne, einzige Tochter mitten auf dem politischen Markte des alten Rom vor den Augen seiner Mitbürger mit eigener Hand erstach, um sie vor Entehrung zu schützen.

In dem einsamen Wald- und Gebirgsdorfe Topola scheint Niemand gesehen zu haben, wie der schwarze Georg mit eigener

  1. „Kara“ heißt im Türkischen schwarz, wie crni im Serbischen. Aus Letzterem stammt der in Zeitungen gebräuchliche Name Czerny Georg.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_082.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2023)