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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

noch keineswegs die Gefahr eines Aufstandes allzufern lag; erbaut ferner zu dem Zwecke, nicht den Hochmeister und seinen fürstlichen Hofhalt, sondern nur des Hochmeisters Stellvertreter und eine Anzahl wehrhafter, aber einfach lebender Ritter zu beherbergen, ward bei der Hochburg mehr auf Festigkeit, als auf Bequemlichkeit der Einrichtung gesehen; ihre Architektur aber war demungeachtet eine schon von hoher Vollendung zeugende, wie noch jetzt sich deutlich ersehen läßt, wo doch durch den Materialismus einer gewinnsüchtigen Zeit das Hochschloß in ein plumpes Magazin verwandelt und im Inneren und Aeußeren vielfach verunstaltet worden ist.

Wir betreten den geräumigen Burghof, und vor uns liegt im Hintergrunde das imposante Gebäude. Dasselbe bildet ein längliches Viereck von 200 Fuß Länge und 168 Fuß Breite. Das 70 Fuß hohe Haus, ehemals ringsumher mit starken Zinnen und an jeder Ecke mit kleinen viereckigen Thürmchen verziert, erhob sich in vier bis unter das Dach kunstvoll gewölbten Stockwerken und umschließt einen Hof von 102 Fuß Länge und 86 Fuß Breite, in dessen Mitte sich ein tiefer Brunnen befindet. Das Erdgeschoß der Hochburg war früher zur Vertheidigung des Wallganges mit Schießlöchern versehen. Auf den inneren Seiten der Burg liefen ehemals durch zwei Geschosse übereinander kunstvoll gewölbte Kreuzgänge herum, auf welche die einzelnen Gemächer ihre Ausgänge hatten. Jetzt ist alle Pracht, die diesen Theil der Marienburg schmückte, längst dahin; wir beschreiben daher hier minder, was jetzt ist, als vielmehr, was einst war. Da ist es denn zuvörderst der große „Capitelsaal“, welcher unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Hier hielt der Landmeister mit seinen Rittern Rath, hier ward auch manches frohe Gelage abgehalten. Derselbe hat eine Länge von 69 und eine Breite von 31 Fuß und ist gegenwärtig in drei Getreide-Schüttböden von je 23 Fuß Länge getheilt. Die Gewölbe waren hier sehr schön, was noch heutigen Tages aus den Kragsteinen zu ersehen ist.

Ein anderer, noch merkwürdigerer und sehenswertherer Bestandteil dieses Theiles der Marienburg ist die Schloßkirche, welche sich der „Hochburg“ an ihrer Ostseite anschließt und im größten Theile ihrer Pracht erhalten worden ist. Treten wir in das „Schiff“ der Kirche, so haben wir den vortheilhaftesten Standpunkt zur Betrachtung ihres herrlichen Gewölbes. Von zehn hohen, reich mit Stuccatur-Verzierungen geschmückten Bogenfenstern erleuchtet, ist der innere Raum gefällig und heiter anzuschauen, nur der Hintergrund ist mehr in ernstes Halbdunkel gehüllt. Ueberall, wohin man blickt, verkündet Kunst und Zierlichkeit die alte Zeit mit ihrem eigenen Geiste. Und an die alte Zeit mahnt’s uns um so mehr, wenn wir erwägen, daß unter dem granitnen Estrich der Kirche die Todtengruft der Hochmeister, die sogenannte „St. Annen-Capelle“, sich befindet. Schon der Eingang derselben bereitet den Eintretenden zu ernster innerer Sammlung vor, wenn er hinsieht auf die bildlichen Darstellungen dieses düsteren, an Tod und Vergänglichkeit mahnenden Inhaltes und auf die sinnigen Blumen und Laubgewinde aus Stuck und Stein, die wie ein Trauerkranz den gewölbten Portaleingang umgeben.

Zwölf Hochmeister – von Dietrich von Altenburg, dem Begründer dieser Fürstengruft (starb 1341), bis Conrad von Erlichshausen (starb 1449) – schlummern hier den ewigen Schlaf. Aber nur drei von den zwölf Grabsteinen haben die Zerstörungen der Zeit und der Menschen überdauert. Der Zufall ist selten gerecht; hier ist er’s einmal gewesen. – Die drei Grabsteine, welche verschont geblieben, sind gerade diejenigen, welche die Gebeine des Gründers dieser Ruhestätte und die der beiden größten Hochmeister bedecken: Dietrich’s von Altenburg, des ritterlichen Heinrich Reuß von Plauen, und vor Allem des großen Winrich von Kniprode, unter dem der Deutschherren-Orden sein goldenes Zeitalter feierte.

In einer hohen Mauernische an der äußeren Ostseite der Kirche steht die 29 Fuß hohe kolossale Bildsäule der heiligen Jungfrau mit dem (8 Fuß hohen) Christuskinde im Arm, in der vorgestreckten Rechten ein vergoldetes Scepter haltend. Sie hat ein faltenreiches goldglänzendes Untergewand an, über diesem einen Purpurmantel und auf dem Haupte eine goldene Krone, von welcher ein weißer Nonnenschleier herabwallt. Das Bild in seinen weit über menschliche Größe hinausgehenden Dimensionen macht einen imponirenden, aber nicht den die Seele zur Andacht hinreißenden Eindruck, den der Anblick von Gemälden oder minder kolossalen Statuen der Himmelskönigin sonst in dem Beschauer hervorruft. Das ganze Bild ist aus Stuck geformt, doch überzogen mit Pasten von farbigem und unten vergoldetem Glase, welche in die frische Stuckmasse kunstvoll eingedrückt worden. Alles daran ist mithin Mosaik, ein Kunstwerk, auf dessen Vorbilder zwar dunkle Nachrichten hindeuten, das aber gegenwärtig in Europa schwerlich noch seines Gleichen hat. An dasselbe knüpfen sich manche Legenden; so namentlich auch die, daß zwei polnische Geschützmeister, die bei der Belagerung des Schlosses durch die Polen und Litthauer, im Jahre 1410, nach einander ihre „Donnerbüchsen“ unter frechem Spott auf das für ein Palladium geachtete Bild der Jungfrau[WS 1] gerichtet, durch ein Wunder ihr Augenlicht verloren, und (wie der Chronist hinzufügt) „blind blieben bis an ihren letzten Tag;“ was insofern eine etwas auffällige Aeußerung ist, als, wie er bemerkt, im zweiten Falle das Geschoß auf der Stelle platzte und seinen Meister, wie Alle, die es bedient, in Stücke zerriß. Dieser zweite Frevler ist also jedenfalls nicht lange blind gewesen.

Gehen wir nun zum zweiten Theile der Marienburg, zum Mittelschlosse, über. Dasselbe, der Wohnsitz des Hochmeisters, nachdem derselbe seine Residenz in das Ordensland verlegt, ward in der ersten Hälfte des 14. Säculums (genau läßt sich die Zeit nicht angeben) erbaut. Es umgibt mit drei Flügeln – einem nördlichen, östlichen und westlichen – einen weiten, fast viereckigen Platz, welcher im Süden offen und von einem Graben begrenzt ist. Von den drei Flügeln – von denen der westliche 306, der östliche 276, der nördliche aber nur 256 Fuß lang ist – betrachten wir diesen letzteren zuerst. Die Nordfaçade, die unser Bild hier zeigt, mit ihren langen Reihen hoher gothischer Fenster und mit stolzen Zinnen geschmückt, imponirt durch ihre Hoheit. An beiden Seiten steigen stattliche Giebel auf, mit gothischen Thürmchen, Bogenblenden und Stuccaturverzierung reich versehen. Davor steht links ein altersgrauer Wartthurm, rechts ein schlanker achteckiger Thurm, über die vielzinnige Schloßmauer sich erhebend. Ueber eine breite Brücke gelangt man in das zum Schloßhof führende Durchgangsthor, dessen Portal ebenfalls mit Zinnen und zwei gothischen Spitzthürmen verziert ist. Zwischen ihnen leuchtet, von der rothen Schloßwand herab, das hochmeisterliche Wappen: ein schwarzes Kreuz mit goldener Einfassung und schwarzem Adler innen, auf grauem Steinschilde. Im oberen Geschosse dieses Schloßflügels befand sich einst das Krankenhaus der Ordensritter (die „Herren-Firmarie“, also genannt zum Unterschied von der „Diener-Firmarie“, welche die kranken Knechte und Reisigen aufnahm, und auf der „Vorburg“ sich befand), sowie die Wohnung des Großcomthurs, eines der vornehmsten Ordensbeamten, aus zwei prachtvollen, von Säulen getragenen Sälen und mehreren anderen Gemächern bestehend. Gegenwärtig dient dieser Flügel des Schlosses zur Unterbringung verschiedener Dikasterien und zu Wohnungen der bei ihnen angestellten Beamten.

Unmittelbar an den nördlichen schließt sich der Ostflügel an. Einen guten Theil desselben nahmen ehemals die „Gastkammern“ ein, welche zur Beherbergung von Gästen, an denen es dem Orden nie fehlte, dienten. Jetzt dient dieser ganze Flügel zu einem Kornmagazin, und nichts ist von seiner ehemaligen Pracht geblieben.

So bleibt denn vom „Mittelschlosse“ nur noch der westliche Flügel, der sich in einer Länge von ca. 150 Schritten an der rechten Seite des Schloßhofes hinzieht, und in dem Obergeschosse seines Haupttheils die ehemalige hochmeisterliche Wohnung, kurzweg die „Residenz“ genannt, enthält, die jetzt in ihrer Herrlichkeit durch die patriotischen Bemühungen von Corporationen, fürstlichen und Privatpersonen wieder hergestellt ist. Dieser Haupttheil dieses Flügels, diese „Residenz“, erstreckt sich von Norden nach Süden in einer Breite von 110, und von Osten nach Westen in einer Länge von 170 Fuß. Auf der Hofseite hat dieses herrliche Gebäude nur eine Höhe von 36 Fuß und liegt hier mit zwei Geschossen 28 Fuß tief in der Erde; die äußere oder Nogat-Seite dagegen erhebt sich von dem Grunde des trockenen Grabens, der es umgibt, bis zu den Zinnen 76 Fuß hoch, und auf dieser Seite liegen die Kellergeschosse über der Erde. Die Seite 85 stehende Abbildung stellt die Marienburg auf dieser Seite dar.

Doch kehren wir zur „Residenz“ zurück. Durch das Gemach des Thorwart, in welches wir vom Schloßhofe schreiten, führt eine breite steinerne Treppe in das obere Prachtgeschoß. Wir gelangen zunächst in den sogenannten „obern Gang“, eine hohe Bogenflur mit mächtig emporstrebenden schlanken Säulen. In der Breite seiner äußeren Mauer geht ein runder Brunnen, aus Stein gemauert,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Junfrau
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_086.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)