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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

gut conservirt bis auf die Spuren einer schnell um sich greifenden Kahlköpfigkeit, ließ wahrscheinlich die Leiden und Freuden des eben beschlossenen Jahres an sich vorüberlaufen. Sie schienen überwiegend heiter und freudenvoll zu sein, die Gedanken, womit er den zurückgelegten Zeitraum recapitulirte, denn ein Lächeln lag auf seinen schmalen Lippen und Zufriedenheit leuchtete aus seinen Blicken. Bisweilen blitzte ein sarkastischer Strahl über das feine, blasse Gesicht, und es sah sich an, als ob er sich über irgend etwas freue, was er Böses angestiftet hatte.

Eine Viertelstunde mochte unter diesen Gedankenspielereien verflogen sein, als er draußen im Vorsaale eine Männerstimme fragen hörte:

„Mein Onkel schon auf?“

„Aha, mon cher Cécil,“ murmelte der Regierungsrath aufstehend, und wieder flog das Spottlächeln über seine Züge, blieb aber dieses Mal in den Mundwinkeln hangen. „Der kommt mir sehr gelegen – kann seiner douche nicht entgehen, die ich ihm seit gestern Abend zugedacht habe.“

Er wendete sich kriegslustig gegen die Thür, welche sich in diesem Momente öffnete, um einen jungen Mann einzulassen, der ein richtiges Abbild des Regierungsrathes war und somit als Stammverwandter sich ankündigte.

Bon jour, mon cher Cécil, bon, jour!“ rief er dem Neffen entgegen. „Ausgeschlafen und restaurirt? Hast Dich tapfer auf dem Schlachtfelde des langweiligen Cotillons gezeigt und die Orden ritterlich verdient, die Dir von der Schönheit und dem Liebreize in Person demüthig geweiht wurden. Hoffentlich trägst Du den Ballast der Cotillonsgeschenke heute dicht auf dem Herzen? Nicht?“

Der junge Mann lachte zu dem Spotte seines Onkels und verneinte die letzte Frage. Aber sein Lachen erschien gezwungen und das Nachdenken, das auf seiner Stirn lag, widersprach dem Ausdrucke der äußeren Heiterkeit.

„Es würde den knabenhaften Ansichten eines achtzehnjährigen Jünglings entsprechen, wollte ich mich dergleichen schuldig machen,“ antwortete er, „und ich bin zehn Jahre älter und um zwanzig Jahre vernünftiger, als ein Achtzehnjähriger, Onkel Fabian.“

Der Oheim verbeugte sich mit spöttischem Respecte und fuhr mit malitiöser Feierlichkeit fort:

„Auch die Bundesschleife der schönen Helena, deren Paris Du warst, solltest Du der Vergessenheit preiszugeben entschlossen sein?“

„Nein!“ rief Cécil erglühend, griff in seine Brusttasche und hob ein kleines rosarothes Schleifchen hoch empor. „Ich denke, dies Bändchen soll mir heute zu einem haltbaren Bunde für’s ganze Leben verhelfen!“

„Das wäre übereilt, mon cher Cécil! „Drum prüfe, wer sich ewig bindet,“ singt ein gewisser Schiller, der die „Glocke“ gedichtet haben soll, „der Wahn ist kurz, die Reue lang.““

„Ich habe drei Monate Zeit gehabt, mich zu prüfen,“ erklärte Cécil entschlossen, dem Spotte seines Onkels Trotz bietend, mit jener schönen feierlichen Demuth, die das Resultat echter Liebe zu sein pflegt. „Vielleicht bin ich nicht würdig, Helenens Gatte zu werden, aber ich will dies Glück zu verdienen suchen.“

Der Regierungsrath lachte.

„Immer die Sprache übertriebener Liebe vor der Verlobung, mon cher Cécil. Aber curios, gleich nach, der Verlobung steigt man wieder sachte auf die erste Stufe zum Throne schöner Selbstverehrung, erreicht dicht vor der Hochzeit die letzte Stufe und setzt sich acht Tage nach der Trauung, wupp! auf den Platz, der einem nach rein subjectivem Ermessen ganz gehörig ist.“

„Deinen Erfahrungen alle Ehrerbietung, Onkel Fabian,“ fiel Cécil ein, „allein ich fühle keinen Ueberfluß an Selbstverehrung, muß im Gegentheil behaupten, durch meinen Mangel an Selbstvertrauen und an Selbstständigkeit oftmals unglückliche Minuten verlebt zu haben. Jetzt steht mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele –“

„Daher willst Du eilen, Helenens Hand und Herz zu erobern?“ unterbrach der Regierungsrath den jungen Mann, mit ausgeprägter Malice fragend. „Wahrhaftig, der beste Weg zum Glücke, wahrhaftig!“

„Wie soll ich das verstehen, Onkel? Was weißt Du von Helene? Ich halte Helene für ein vortreffliches Mädchen.“

„O ja, o ja!“ bekräftigte der Onkel mit Spottgebehrden.

„Helene ist schön –“

„O ja, o ja!“

„Sie ist liebenswürdig, mild, anmuthig –“

„O ja. o ja!“

„Ihre sprechenden schönen Augen verrathen eine reine Seele –“

„O ja, o ja!“

„Ihr liebliches Lächeln ein gutes Herz, ein gefühlvolles Herz und ein sanftes Gemüth!“

„Und wie tanzt sie?“ fragte Onkel Fabian, sarkastisch die Lobrede auf das Mädchen fortsetzend. „Wie Terpsichore selbst! Und welch’ eine Tournüre, welch’ ein Anstand, welch’ ein Grazie, welch’ eine Weiblichkeit! In jedem Athemzuge von ihr liegt eine Tugend, in jedem Worte, das sie hören läßt, eine Erhabenheit, und in der Art, wie sie den Bissen zum Munde führt, den sie zur Erhaltung ihres Lebens verschluckt, eine Genialität. Ja, so ist es immer, wenn man siedet in Liebe und glüht in Anbetung, mon cher Cécil!“

„Ich gebe gern zu, daß für einen gereiften Mann das Wallen eines jugendlich fühlenden Herzens etwas Komisches haben kann, Onkel Fabian,“ sagte der junge Mann gemessen und griff nach seinem Hute, „aber der Spott in Deinen Worten und Mienen ist eine unverdiente Kritik, da ich Dir meines Wissens noch keine Gelegenheit gegeben habe, mich zu der Classe der unvernünftigen Liebhaber zu zählen. Noch weniger aber begreife ich, womit Helene von Kursen Deinen Spott verdient. Helene ist der allgemeinen Anerkennung zufolge ein vortreffliches, geistig begabtes und sehr reizendes Mädchen.“

„Das bestreite ich keineswegs, mon cher Cécil,“ lachte der Regierungsrath, „und ich pflichte Dir sogar bei, daß sie Deiner anbetenden Liebe vollkommen würdig ist, aber so gern ich mich auch für dieses Urbild aller Vollkommenheit enthusiasmiren möchte, ich werde immer durch den Gedanken an eine Scene verhindert, wo ich sie belauschte, wie sie den Brezelkorb ihrer Tante um eine Brezel leichter machte, jedoch mit Kunstfertigkeit die Ordnung in demselben wieder herstellte, dann eine Torte um ein Stückchen betrog, allein ganz kunstvoll die geeignete Rundung wieder hervorbrachte. Und wie sie dann die geraubten Süßigkeiten in ihren „lieblich lächelnden Mund“ stopfte, um während des hastigen Kauens „ihre sprechenden schönen Augen“ begehrlich nach weiteren Eroberungen auszusenden. Mir wurde bange – die Kaffeegesellschaft der guten Tante Starkloff fing an, mich zu dauern, deshalb trat ich vor, begrüßte sie und fragte: Schmeckt’s, mein Fräulein?“

Ein schmerzlicher Widerwille hatte sich während dieser Erzählung über die Gesichtszüge Cécil’s gebreitet. Er zwang sich aber zu einem Lächeln und wollte, die geflissentliche Verhöhnung unbeantwortet lassend, den Onkel mit einigen Höflichkeitsfloskeln verlassen. Doch dieser hielt ihn durch die Bande des Respectes mit der Beharrlichkeit eines Mephisto fest und trieb seine Quälereien durch die speciellsten Schilderungen des verwirrten und verzweiflungsvollen Zustandes, worin die Dame verfallen war, bis auf die höchste Spitze.

Was der arme junge Liebhaber unter dieser Tortur litt, ist leicht zu begreifen. Man denke sich nur die Situation dieses liebeentflammten Herzens, welches das Bild seiner Erwählten wie eine Gottheit in sich trug und man denke sich diesen Wassersturz einer demüthigenden Wirklichkeit auf eine glühende, im höchsten Schmucke der Idealität prangende Phantasie! Wer kann es ihm verargen, daß er still resignirend sein Atlasschleifchen tiefer in die Brusttasche schob, daß er, die Treppe endlich hinabeilend, Entschlüsse voll barbarischer Härte faßte und nicht, wie er sich vorgenommen hatte, auf den Flügeln der Liebe die Straße hinab zu dem Hause der Stillgeliebten eilte, sondern zur Eisenbahn ging und ein Billet löste, um eine verwandte Familie zu besuchen.

Der Regierungsrath, der von der Einladung dieser Familie Kenntniß hatte, mochte diese muthvolle Entschließung ahnen. Er blickte seinem Neffen nach, rieb sich schadenfroh die Hände und murmelte mit dem Ausdrucke des höchsten Behagens:

„Gut so, mon cher Cécil! Gut so! Der Wassertropfen in die glühenden Visionen Deines Herzens wird Deine Vernunft befruchten und Dich befähigen, Deine Entschlüsse reiflich zu erwägen. Man muß kein Mitleid mit solchen Liebesphantastereien haben, und ich gebe mich der beruhigenden Ueberzeugung hin, daß die brennenden Gefühle für Fräulein Helene auf einige Tage gedämpft sind, und nur Rauch aufsteigen lassen. Stürmische Herzen müssen in Wasser gebadet werden, und es ist doch wirklich ein ganz absonderlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_134.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)