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verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Ah, ah, der arme Graf wird noch schlafen,“ sagte er dann. „Es war schon spät, und nach so einem verliebten Abenteuer bedarf man der Ruhe; die Gemüthsbewegungen greifen an, ich darf ihn noch nicht wecken. – Meine Gemahlin!“ rief er darauf sehr leise. –

Die Wohnung des Barons am Gensd’armenmarkte zu Berlin war so eingerichtet, daß zunächst an dem Wohnzimmer, in welchem für diese Nacht der Graf Schimmel auf dem Sopha schlief, das Schlafgemach der Baronin, und neben diesem, durch eine Thür damit verbunden, sein Schlafzimmer lag. Die Thür stand offen. Durch die offene Thür rief er seiner Gemahlin leise zu. Sie antwortete ihm eben so leise:

„Mein theurer Baron?“

„Es ist so still, hast Du nicht gehört, ob der Graf schon aufgestanden ist?“

„Ich habe noch keine Bewegung gehört.“

„Er schläft also noch?“

„Er muß noch schlafen.“

„Meine Gemahlin, welche Zeit haben wir? Du weißt, meine Uhr hat mir der freche Dieb gestohlen, der sich für den Polizeihauptmann ausgab. Wärst Du so gütig, nach der Deinigen zu sehen?“

Er erhielt erst nach einer Weile Antwort, noch immer leise:

„Ich weiß nicht, mein theurer Freund, wie das ist. Ich finde meine Uhr nicht!“

„Du hattest sie doch noch vergangene Nacht?“

„Allerdings; ich legte sie erst ab, als ich mich zu Bette begab. Ich legte sie auf den Stuhl hier vor meinem Bette.“

„Und sie ist nicht mehr da?“

„Ich finde sie nicht.“

„Ich finde das sonderbar.“

„Und – was ist denn das?“

„Was, Verehrteste?“

„Auch meine Ringe, mein Collier und meine Broschen sind fort. Ich hatte Alles gestern Abend hier vor mein Bette gelegt.“

„Ich finde das sehr sonderbar.“

„Mein lieber Freund“ – die Baronin sprach das noch leiser – „ich komme da auf einen eigenthümlichen Gedanken.“

„Auf welchen, Theure?“

„Wenn der da drinnen doch kein – doch kein –?“

„Doch kein Graf wäre, wolltest Du sagen?“ sagte wieder noch leiser der Baron.

„Das wollte ich sagen, mein Freund. Wenn er doch ein Dieb wäre!“

„Aber ich bitte Dich, Verehrteste, man kann doch einen Graf von einem Diebe unterscheiden!“

„Sein Abenteuer vergangene Nacht! Sein Eindringen in dieses Haus –“

„Es war ein Liebesabenteuer.“

„Und wie ordinair sah er aus! Wie war er gekleidet!“

„So muß man zu Liebesabenteuern gehen, ich weiß das.“

„Du weißt nichts!“ rief zornig und lauter die Baronin.

„O, o, Theure! Aber horch, da schlägt eine Uhr.“

Eine Uhr auf den Thürmen des Gensd’armenmarktes schlug. Sie schlug neun Uhr.

„Himmel, meine Gemahlin, hast Du gehört?“

„Schon neun Uhr, lieber Freund.“

„Und der Graf rührt sich noch immer nicht?“

„Noch immer höre ich nichts.“

„Ob ich mich einmal stark räuspere?“

„Wäre es nicht besser, wenn Du aufständest und nachsähest? Du brauchst ja blos Deinen Schlafrock anzuziehen.“

„Ah, Verehrteste, Du vergißt, daß die Spitzbuben mit meinem Schlafrocke durchgegangen sind.“

„Diese Berliner Diebe nehmen einem Alles.“

„Ja, sie sind sehr frech, liebe Gemahlin, und ein Glück bleibt es immer, daß sie so dumm sind. Sonst, zumal bei dieser dummen Polizei –“

„Horch, es regt sich etwas.“

„Wo?“

„Vorn im Zimmer.“

„In dem der Graf schläft?“

„Ich höre die Thür aufgehen.“

„Die Thür, Theure?“

„Gewiß.“

„Wer könnte das sein? Ich hatte sie von innen abgeschlossen. Sollte der Graf schon aufgestanden sein?“

„Hülfe, mein Gemahl! Hülfe!“ rief auf einmal laut die Baronin.

„Was gibt es?“

„Ein Kerl, eine Mannsperson tritt in mein Schlafzimmer.“

„Befiehl ihm, zurückzugehen.“

„Aber komm Du zu meiner Hülfe.“

„Ah, der Schreck hat mich gelähmt.“

So mußte es in der That sein, denn er kroch tiefer unter die Decke seines Bettes, und dann rührte er sich nicht mehr. Aber er sollte dort nicht lange unbeweglich bleiben.

Die Thür, die aus dem Wohnzimmer in das Schlafgemach der Baronin führte, hatte sich wirklich plötzlich geöffnet und ein Mensch war darin erschienen. Und dieser, sobald er vor dem Hülfegeschrei der Baronin zu Worte kommen konnte, sagte sehr höflich:

„Gnädige Frau, ich habe Sie und Ihren Herrn Gemahl dringend zu sprechen. Dürfte ich Sie bitten, daß Sie Beide schnell aufständen? Ich warte unterdeß hier im Zimmer.“

Er trat in das Wohnzimmer zurück und machte die Thür zu. Aber der Baron hatte die Stimme erkannt.

„Meine Theure, das war der Dieb vom Bahnhofe, der sich für den Polizeihauptmann ausgab. Er wird uns den Rest unserer Sachen stehlen.“

Er sprang auf, rannte nackt, wie er war, an das Fenster seines Schlafgemachs und riß es auf.

„Diebe! Mörder! Zu Hülfe!“ rief er hinaus.

Die Thür des Wohnzimmers öffnete sich.

„Mörder, Mörder!“ rief der Baron lauter.

„Aber zum Teufel, mein Herr,“ sagte der Mann, der sich für einen Polizeihauptmann ausgegeben hatte, „schreien Sie nicht den ganzen Gensd’armenmarkt zusammen. Es kommt doch Niemand zu Ihnen. Kleiden Sie sich nur rasch an.“

Die Thür verschloß sich wieder. Zu dem armen Baron kam wirklich Niemand. Er kleidete sich zitternd und bebend an. Die Frau Baronin that desgleichen.

„Mein theurer Baron, was ist das Alles?“

„Meine Liebe, welch’ eine Polizei in diesem Berlin! Ich rufe, daß man es in Hinterpommern bis zu drei Dörfern gehört hätte, und Niemand kommt uns zu Hülfe. Der Mensch leert unterdeß alle Zimmer aus. Und dann wird er uns zuletzt noch hier überfallen!“

„Und selbst unsere Domestiken kommen nicht zu uns, lieber Baron.“

„Wie sollten sie es können, Verehrteste? Sie werden gefangen sein, wie wir.“

„Sollte denn das ganze Haus in den Händen der Räuber sein?“

„Muß man es nicht fürchten?“

„Mitten in Berlin?“

„Es ist Alles möglich.“

Die Thür öffnete sich wieder.

„Ah, ah, endlich,“ rief der Baron. „Joachim, mein Joachim, lebst Du noch? Wo kommst Du her?“

„Ew. Gnaden, dieses Berlin ist ein schreckliches Nest. Wären wir doch wieder in Goddentov!“

„Aber, Joachim, wie siehst Du aus? Du trägst ja die Kleidung des Grafen Schimmel, nicht Deine Livree.“

Joachim erschien wirklich in dem Rocke des Grafen Schimmel, aber in dem abgetragenen, mit dem dieser Graf in der Nacht zu dem Baron gekommen war. Der arme Joachim mußte weinen.

„Ach, Ew. Gnaden, was muß man hier in Berlin Alles erleben! Als ich heute Morgen aufwache, ist meine Livree fort und dieser alte schmierige Rock liegt an seiner Stelle vor meinem Bette. Und nicht blos mein Zeug war fort, auch meine Uhr und mein bischen Geld. Die verdammten Spitzbuben!“

„Hattest Du denn Deine Stube nicht verschlossen, Joachim?“

„Wer konnte an so etwas denken, Ew. Gnaden?“

„Aber ich begreife nicht, diesen Rock trug doch heute Nacht der Graf Schimmel.“

„Einen solchen Rock, Ew. Gnaden? Das mag ein schöner Graf gewesen sein.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1859, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_156.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2023)