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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

sobald ich bemerkte, daß ihre Gegenwart irgend einen zwingenden Einfluß auf seine freien Entschließungen ausüben wollte. Hiervon konnte aber erst bei der wirklichen Aufnahme des letzten Willens die Rede sein. Zudem war es mir, als wenn die fernere Anwesenheit der Frau dazu beitragen müsse, Licht in ein Dunkel zu bringen, das ich auf einmal mit größerem Rechte, als bisher, glaubte ahnen zu dürfen.

„Der Pater Theodorus,“ hatte ich gesagt. Ich hatte keine Antwort erhalten. „Sie schienen einverstanden zu sein,“ sagte ich absichtlich.

Die alte Frau hatte rasch einen Entschluß gefaßt.

„Ich werde nach ihm schicken.“

Sie verließ das Zimmer durch eine Thür, die auch aus diesem in die Vorhalle des Hauses führte. Nach einer halben Minute war sie wieder da und auf ihrem Platze. Sie mußte sich sehr beeilt haben. Ich hatte unterdeß fortgefahren.

„Wir können mittlerweile weiter verhandeln.“

Der Kranke nickte mit dem Kopfe.

„Sie haben über den Inhalt Ihres Testamentes schon einen Entschluß gefaßt?“

„Ja.“

„In welcher Weise wollen Sie testiren?“

„Mein einziger Erbe soll mein Sohn sein.“

„Sein Name?“

„Er heißt Louis François, wie ich.“

„Er ist Ihr einziges Kind?“

„Er ist mein einziges Kind.“

„Sie sind auch nicht mehr verheirathet?“

„Ich bin Wittwer.“

„Sie haben keine Nebenbestimmungen?“

„Ich will noch ein Vermächtniß aussetzen. Madame Langlet, meine Anverwandte, soll, so lange sie lebt, freie Wohnung und Bewirthschaftung und Benutzung dieses Hauses und der dazu gehörigen Gebäude, Gärten und anderen Räume behalten; außerdem soll mein Sohn ihr eine lebenslängliche Rente von dreihundert Thalern auszahlen.“

„Weitere Bestimmungen hätten Sie nicht?“

Der Kranke lag still und schien nachzusinnen. Die alte Frau am Bette machte eine unruhige Bewegung; es kam mir vor, als wenn sie dem Kranken ihre Anwesenheit bemerklich machen wolle; der alte Mann achtete jedoch nicht darauf. Sie räusperte sich geräuschvoll. Er schien leise zusammenzufahren. Noch einen Augenblick sann er unschlüssig nach. Dann sagte er:

„Ich setze meinen Sohn nur unter einer Bedingung zum Erben ein.“

Er hielt inne. Er hatte langsamer gesprochen, als vorher, aber nicht minder mit vollem Bewußtsein; schon seine Unentschlossenheit, bevor er sprach, mußte dies bestätigen. Ob er nicht unter einem moralischen Zwange der anwesenden Frau sprach, war eine andere Frage; nach seinen ferneren Worten war es beinahe anzunehmen.

„Nennen Sie die Bedingung,“ forderte ich ihn auf.

„Mein Sohn soll die Tochter der Frau Langlet heirathen.“

„Das ist Ihre Bedingung?“

„Ja.“

„Der Name der Dame, die Ihr Sohn heirathen soll.“

„Adrienne Langlet.“

Die Blödsinnige sollte der junge Mann heirathen! Dem Secretair flog das Papier aus der Hand, das er gerade falten wollte, um das Protokoll darauf zu schreiben.

Mir fiel unwillkürlich unsere hübsche, muthige, entschlossene Reisegefährtin Marianne ein, der von der Blödsinnigen der Eingang in das Haus verwehrt war, die, wie die Blödsinnige meinte, zu einem Andern als dem Kranken gewollt hatte. Zu wem hatte sie gewollt? Zu wem hatte Jene sie nicht lassen wollen? Das Gesicht der alten Frau glaubte ich, trotz der Dunkelheit, in der sie stand, zufrieden lächeln zu sehen.

Der Kranke hatte völlig klar, ruhig und bestimmt gesprochen. Ich hatte noch ein paar Fragen über den Gegenstand an ihn zu richten.

„Wenn Ihr Sohn die Bedingung nicht erfüllen will – haben Sie besondere Bestimmungen für den Fall zu treffen?“

„Er soll alsdann auf den Pflichttheil eingesetzt werden.“

„Und wie soll es mit Ihrem übrigen Nachlasse werden?“

„Die Frau Langlet wird dann Erbin meines gesammten übrigen Nachlasses.“

Auch das sprach er bestimmt, fest. Aber ich glaubte doch, eine leise Unruhe an ihm wahrzunehmen, als er es gesagt hatte. Das Gesicht der Alten glänzte triumphirend. Sie war so häßlich, und sah jetzt wieder so boshaft aus.

„Noch ist der Tag nicht zu Ende,“ mußte ich bei mir denken, auch nicht – ich will es nicht leugnen – ohne einige Bosheit.– Ich war mit meinen Fragen zu Ende.

Nach dem gewöhnlichen formellen Gange konnte ich den Inhalt der Bestimmungen des Testators nicht zu Protokoll nehmen, bevor die Anerkennung seiner Person erfolgt war. Ich durfte aber auch ausnahmsweise diese nachfolgen lassen. Es war mir indeß um so mehr an Beobachtung jener gewöhnlichen Form gelegen, als mir so eben die Unruhe des Kranken aufgefallen war, und als das allgemeine Gerücht seiner Geistesstörung mir noch immer die Pflicht auferlegte, auch in anderer Weise seinen geistigen Zustand noch festzustellen zu suchen. Dies that ich jetzt. Die Frau Langlet ließ ich vor der Hand noch absichtlich da, um zugleich mich zu überzeugen, in welchem Grade er wirklich, auch hinsichtlich seiner letztwilligen Entschließungen, unter dem Einflüsse der Frau stehe. Ich konnte dann später mit um so mehr Hoffnung auf Erfolg seinen wahren freien Willen ermitteln.

Ich knüpfte an allgemeine Beziehungen und Lebensverhältnisse des Kranken an, ohne weitere Nebenabsicht. Wie bald sollte das, was ich erfuhr, mich in furchtbarer Weise die Absicht meines Fragens völlig vergessen lassen!

„In welchem Jahre sind Sie hierher gekommen?“ fragte ich ihn.

„Im Jahre 1809,“ antwortete er, „gleich, als die französische Gerichtsverfassung hier eingeführt wurde.“

„Und Sie verwalteten das Amt eines Friedensrichters bis zur preußischen Zeit?“

„Bis die preußische Gerichtsverfassung eingeführt wurde.“

„Sie bekommen Pension?“

„Nein, ich habe darauf verzichtet.“

„Ein seltener Fall; Sie waren freilich schon damals in glücklicher Vermögenslage.“

„Ich war es.“

„War nicht im Jahre 1813 ein Gefecht in dieser Gegend?“

Ich hatte auch diese Frage ohne alle Nebenabsicht gethan. Gleichwohl war es, als ob auf einmal ein leichtes Zittern das Gesicht des Kranken durchzuckte. Ich war noch so arglos, daß mir auch das nicht einmal auffiel.

„Ja,“ antwortete der Kranke.

„Bald nach der Schlacht von Leipzig?“

„Bald nachher.“

„Zwischen Franzosen und Kosaken?“

„Ja.“

„Es sollen nur wenige Franzosen mit dem Leben davon gekommen sein?“

„So hieß es.“

„Wie war deren Schicksal? Anderswo ist leider manchmal das Volk über sie hergefallen, selbst verrätherisch, räuberisch.“

Die ungeheure Veränderung, die auf einmal, in kaum einer halben Minute, mit dem alten Manne vorgegangen war, mußte mir um so mehr auffallen, je weniger ich bei meinen nach dieser Seite arglosen Fragen darauf vorbereitet war. In sein blasses Gesicht war eine fliegende Röthe getreten; der Mund stand ihm offen, die Augen starrten mich mit unruhig leuchtendem Lichte an. Ich mußte unwillkürlich einen Blick auf die Frau Langlet werfen. Ihre Gesichtszüge konnte ich nicht unterscheiden; sie hatte sich tiefer in den Schatten des Secretairs gestellt. Aber sie hatte den Kopf vorgebeugt, den Fuß aufgehoben, als wenn sie in großer, nicht mehr zurückhaltender Unruhe vortreten, den Kranken in Schutz nehmen, sich ihm, der nicht nach ihr hinsah, mindestens bemerklich machen müsse.

Was war das?

Der Secretair hatte unterwegs – wie er sagte, nach einem Gerüchte – auf ein Verbrechen hingedeutet, das in jener Franzosenzeit verübt sein, und durch welches der alte Lohmann seinen plötzlichen Reichthum erlangt haben solle. Ich hatte an seine glückliche Vermögenslage absichtslos erinnert, aber plötzlich eine Frage nach jener kriegerischen Zeit angeknüpft. Auf einmal diese Unruhe, diese Verwirrung, des Kranken sowohl, wie der alten Frau. Ja, schien in dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_227.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2022)