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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Das aber war bis heute nicht geschehen, und die Leute meinten, man wisse schon, warum.

Vor etlichen Tagen waren des Neureiters Dirnen zu Berg gefahren[1] und der Alte hatte ihnen und dem Stotzen[2] dringend an’s Herz gelegt, auch heuer fleißig überall hinzuhüten, wohin es sonst und eh’ geschehen. Er sah wohl ein, daß es über kurz zu einem gewaltsamen Streite mit den Jägern kommen werde, in welchem er aber nicht nachzugeben dachte, möge es gehen, wie es wolle. Nie hatte er seine Pflicht als Unterthan verletzt, nie Jemandem das Mindeste weggestritten; aber um sein eigen Recht zu schützen, setzte er lieber den ganzen Hof daran.

„Gibt’s für uns gemeine Leut’ kein Recht mehr,“ sprach er öfter, „dann helfen wir uns selbst! Sollen’s probiren, mich um die Straf’ zu pfänden, dann geht kein Jägerknecht mehr über meinen Grund und Boden mit gesunden Füßen, so wahr ich der Neureiter bin!“

So was schien ihm auch jetzt durch den Sinn zu gehen, denn er murmelte unwillig vor sich hin. Dann stieg er die Leiter hinan, die von der Stube in die ober ihr befindliche Kammer führte, hob an der Decke die Klappthüre empor, lehnte sie um, und bald kam er mit einer weitbauchigen, buntbemalten Flasche und einem Stück Geselchten wieder herab, nahm den vorigen Platz ein und schenkte vom wasserhellen Getränk in ein kleines Gläschen, das er auf einen Zug leerte, und dann trank er noch eins und wieder eins, und sein verwittertes Gesicht verzog er, als ob ihn was bisse.

Das war zwanzigjähriges Kirschwasser, das nur sehr selten auf den Tisch kam, nur dann nämlich, wenn er viel Freude oder viel Zorn hatte, um sich gut Gemüth zu machen. So lange sein Eheweib am Leben gewesen, saß sie bei solchen Anlässen bei ihm im Kriegsrathe; aber nie hatte sie ihre Stelle mißbraucht und nach manchem „ich hätte halt gemeint, so könnt’ es“ – oder „wie wär’s denn“ – „wär’s nit möglich“ u. s. w. sich allemal in des Mannes Willen ergeben, indem sie zu sagen pflegte: „Du bist ein Mannets[3] und verstehst also Alles besser!“ Die alte Burgei[4] war ein Weib nach den Worten der Schrift, sie war dem Manne unterthan.

„Wenn die Burgl das wüßt’,“ murmelte er, „sie würde sich im Grab’ umkehren!“

Er war mit seinem Unmuthe allein im Hause, denn der Stephl und das ganze Gesind’ waren Gehnacht[5] gegangen, bis auf die Senndirnen; die Einsamkeit, die er sonst liebte, schien ihn heut’ zu drücken, und schon dachte er, ob er nicht zu einem Nachbar Heimgarten[6] gehen solle, da klopft’ es am Fenster, und als der Neureiter aufblickte, stund in der anbrechenden Dämmerung der Jäger Franz draußen, welcher den Bauer aufforderte, die Thüre zu öffnen, da er ihm was zu sagen habe. In der Brust des Angeredeten erhob sich beim Anblick des verhaßten Jägers aller Groll, den der neue forstämtliche Auftrag in ihm erregt hatte, und deshalb rief er, ohne das Fenster zu öffnen oder sich nur vom Sitz’ zu erheben:

„Geh’ zu, Franzl, unsere Freundschaft ist nit so groß, daß ich Deinen Blitzkopf gern’ säh’. Bei Euch sind die Großen, wie die Kleinen, die Herren, wie die Knecht’, ’s Leut’ drücken ist Eure größte Kunst. Drum, Franzl, geh’ mir aus’m G’sicht, so lang’ ’s gut ist; und bin ich Dir für einen Rath gut genug, so laß Du ’s Pfänden auf meiner Alm bleiben. Oder thu’, was D’ magst, das Andere thu’ dann schon ich selb.“

Ueber diese Rede lachte der Jägerbursche laut auf, und dann sagte er spöttisch: „Neureiter, ich hab’ Dir einen Braten von Deiner Geis mitgebracht, die ich erschossen hab’; laß Dir’s gut schmecken, ich denk’, Du kriegst schon noch öfter so’n Braten von mir!“

Unter diesen Worten fuhr der Jäger mit dem braunen Schwänzlein einer Ziege am Fenster hin und her, als ob er’s fegen wollte, und dann eilte er davon, was er nur konnte.

Der Neureiter aber ward plötzlich elastisch, er sprang vom Tische auf, schlug mit der Faust auf denselben und im Nu rannte er aus dem Hause. Der Jäger hatte es vorgezogen, das Weite zu suchen, was auch sein Glück war. Denn die Erbitterung des Alten hätte für ihn schlimme Folgen gehabt; was Franz vom Geis-Erschießen erzählt hatte, kam ihm gar nicht unglaublich vor. Das braune Schwänzlein hatte Franz in der Eile auf dem Fenstersimse liegen gelassen. Der Alte tobte vor Wuth; es war ihm mehr der Frevel und Uebermuth des Jägers zu Gemüth gegangen, als der Verlust der Ziege selbst. In seiner Aufregung aber mochte er sich vor keinem Menschen sehen lassen, darum ging er in die Stube zurück und trank ein Gläschen Kirschwasser nach dem andern so lange, bis er in einen den Sturm beschwichtigenden Dusel verfiel.

Im Wirthshause „zum lieben Lamm“ ging’s diesen Abend ungemein lebhaft zu. Seit dem Fasching hatten die Grünsteiner keine Tanzmusik mehr gehabt; heut’ wollten sie das Versäumte hereinbringen. Schon am hellen Mittag sah man tanzlustige Schaaren aus allen Winkeln, aus allen Thälern und von allen Höhen Grünstein zuströmen. Die Durstigsten und Muthwilligsten der Burschen hatten sich schon Morgens eingefunden, um beim kräftigen Klange der Dorfmusik Lieder und Schnaderhüpfle zu singen und recht lustiger Dinge zu sein.

Nach dem mittäglichen Gebetläuten wurde der starkgedielte Tanzboden eröffnet, und sobald die Töne durch die Lücken der breternen Salonwände zu quieken begannen, trippelten auch die ersten Dirnen an die Stätte der ersehnten Freude. Allmählich füllten sich die schwülen, staubigen Räume, und bald kreisten die Paare im bunten Wirbel durcheinander.

Neureiter’s Stephl hatte gegen sechs Uhr Abends den väterlichen Hof verlassen. Heute schien er noch schöner aufgeputzt, als sonst, und manche Dirne, an der er vorbeischritt, ward unwillkürlich roth, wenn er sie grüßte, und das that er immer.

Heute hoffte er, Kuni[7] zu treffen, die Schwester des Jagdgehülfen Franz. Seit einem halben Jahre war sie aus ihrer Heimath, einer fernen Gebirgsgegend, gekommen und in des Försters Dienst getreten. Die Kuni, ja, war freilich ein Wundermädl, wie in der Gegend kein anderes war. Gewachsen, wie ein Lärchbaum, groß und schlank, blond, blauäugig, voll Frische, Humor und Verstand; ihre reichen Haarzöpfe konnte Keine so flott um die Stirn winden, und die Tracht der Gegend mit dem spitzen Hütlein und Schnürmieder stund ihr wunderlieb an. Sie zählte 22 Sommer. Wäre Kuni nicht in des Försters Haus und nicht des Jägers Franz Schwester gewesen, so hätt’ sie den Stephl noch verrückter gemacht; aber im Grund’ war die Kundl[8] doch gar zu liebesam, als daß er sie hätte fahren lassen sollen. Konnte sie denn dafür, daß der Franz ihr Bruder war, und war sie denn an den Försterdienst angehängt? Gewiß durfte er, meinte der Bub’, nur eine Sylbe fallen lassen, und sie verließ das Försterhaus sogleich; andererseits aber schmeichelte es seiner Eitelkeit, daß die Kuni nicht im Dienste von gemeinen Leuten, sondern in Herrendienst stund. Der Förster selbst und seine Knechte, wie man die Gehülfen schlechtweg nannte, waren dem Stephl, wie den meisten Bauern, herzlich zuwider und der Franz schon gar sehr, wir wissen’s schon, wegen der noch nicht bezahlten Weidestraf’; denn der Franz hatte das Vieh auf der Alm gepfändet. Wilderer war Stephl keiner, er hatte also keinen Jäger zu scheuen, trat ihnen keck und mit gutem Gewissen unter die Augen und, wie er keinen fürchtete, so ästimirte er auch keinen und nannte sie nur die grünen Hungerleider.

Die Kuni wollt’ er heut’ treffen; sie hatt’ es ihm am vorigen Sonntag, wo er hinter dem Friedhofe mit ihr geredet hatte, versprochen, daß sie bis um sieben Uhr Abends zum lieben Lamm käme. Denn der Stephl ging nicht zu ihr in des Försters Haus. Schon war’s bald acht Uhr, die Schatten stiegen zu Berg; Stephl hatte das Wirthshaus und den Garten hinter demselben schon zehn Mal durchforscht, war auch im Dorf’ auf- und abgegangen bis in die Nähe des Forsthauses, aber er sah das Mädel mit keinem Sterbensblick’. Zuvor war er so fröhlich gewesen und nun wurde er von Secund’ zu Secund’ wehleidiger und es wurde ihm, als ob er weinen möcht’. Ohne die Kundl mocht’ er nicht tanzen, und die Kundl ließ ihn im Stich. Das Försterhaus ist gleich, etwa funfzig Schritt, vor dem Dorfe, und noch ein kleines Bischen weiter draußen ist ein kleiner Buchenhain. Auf einem Umwege ging der Stephl dorthin, denn von dort sah er ungesehen auf die Thüre des Hauses und konnte gleich beim Mädl sein, wenn es herauskam. Die Dämmerung gab der Nacht die schwesterliche Hand, nur einzelne Vöglein flatterten durch das dichte Laub und zwitscherten sich eine gute Nacht zu, die Sterne zogen auf die Wache, vom Hagmair her drang das Gejauchze der fröhlichen Schaar. Dem Stephl wurde aber gar übel zu Muthe.

„Was das sein muß?“ frug er sich, und wenn er sich Dutzend

  1. Mit dem Vieh auf die Alme gezogen.
  2. Hirtenbube.
  3. Ein Mann.
  4. Walburga.
  5. Die erste Tanzmusik nach Ostern.
  6. Auf Besuch.
  7. Kunigunde.
  8. Dasselbe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_254.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)