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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Die Zeit war unterdessen so weit vorgeschritten, das an ein zweites Treiben nicht gedacht werden konnte, und der Jagdtroß, den Gebieter an der Spitze, stieg rüstig hinab in’s Thal. Der Weg, der auf Befehl des Herzogs gewählt wurde, war zwar näher als der, den wir emporgestiegen, aber von einer solchen Beschaffenheit, daß selbst eine Gemse den Kopf dazu geschüttelt haben würde. Dennoch ging’s lustig darauf fort, denn die Schauerlichkeit dieses Steges bestand nicht etwa in großer Gefährlichkeit, sondern in einem wahrhaft boshaft ungeregelten Naturzustand. Der baumlange „Jackel“, ein Treiber, hatte ihn dem Herzoge mit ziemlich verlockenden Farben geschildert, und seine Strafe war die, daß sich der Jagdherr in humoristischster Weise des Gebirgssohnes Ansichten über die Frage: „Weg oder nicht Weg“ zergliederte. So wurden die Drangsale unter Lachen überwunden, und als man unten angekommen war, ließ das die Jagdgesellschaft in dem schon früher näher bezeichneten Saale des Schlosses vereinigende Mahl, das durch heitere und geistvolle Gespräche mannichfaltig gewürzt und durch die Frau Herzogin anmuthsvoll belebt ward, jede ausgestandene Mühseligkeit bald vergessen.

Das Wetter hatte sich unterdessen geändert und durch die hohen Bogenfenster sah man dichte Schneeflocken lustig herabwirbeln, als wäre es im vollsten Winter. Manche Besorgniß für die kommenden Pürschgange auf das Gemswild knüpften sich an diesen Schnee, denn da er ganz respectabel fiel, so lag es nicht außerhalb der Möglichkeit, daß er zu lange liegen bleiben oder gar das Zeichen zum Einwintern sein werde, obgleich es erst Anfang October war. Obwohl die Gemsen sich während des Schneefalles mehr herabziehen, so steigen sie doch sofort wieder in die höchsten Regionen, wenn das Wetter hell und klar wird; die Sonne nämlich macht dann zuerst die am höchsten liegenden Grasfleckchen frei, indem der thauende Schnee wie von einem Dache massenweise herabrutscht, und so bieten solche schneefreie Matten dem Wilde Aeßung. In diesen Regionen und unter diesen Umständen aber pürschen zu gehen, würde fast unmöglich sein.

Des anderen Morgens lag im Thale eine Achtel-Elle Schnee, Es war ein wunderbarer Anblick, auf dem Goldgrunde der noch in üppigster Fülle prangenden Laube der Buchen den ungewohnten Schmuck liegen zu sehen. Noch breitete sich über die ganze Natur eine Schneeatmosphäre aus, diese wurde jedoch bald von der siegreichen Sonne durchlichtet, die nun plötzlich die schneebedeckten Gipfel der Gebirge mit einem zauberischen Schimmer übergoß. Und als die Sonne nun höher und höher stieg, so daß das Licht tiefer und tiefer in das Thal herabdrang, von Felsen zu Klippe sprang und dann den ersten schneebedeckten Wipfel der alten himmelanstrebenden Tannen hellleuchtend überstrahlte und so weiter die winterlich bekleideten Buchen durchwob, daß die blendenden Strahlen im bunten Laube und Schnee wie Gold und Edelgestein erglänzten: da sehnte sich das Herz hinauf in die Alpen, solche Pracht in ihrem ganzen Umfange zu überschauen. Die Sehnsucht sollte nicht unbefriedigt bleiben; es war Jagd angesetzt. Nicht lange ließ der Herr auf sich warten und den Jagdzug nahm der stille Wald auf, durch den sich der Pfad nach oben wand. Da standen die riesigen Baumrecken und vereinigten ihr mächtiges Gezweig, um die herrliche Decke gemeinsam zu bilden und zu tragen, Ein magisches Dämmerlicht und unendliche Ruhe herrschten in diesem hohen Gottesdome. Lautlos glitt der Schritt über den flaumbedeckten Moosboden dahin und selbst die Unterhaltung hörte eine Zeit lang auf, weil Jeder sich unwillkürlich in seine Betrachtungen versenkte. Erst als man wieder durch die Lücken des Waldes die sonnenumgossenen Bergeshäupter erschaute, machte der feierlichen Stimmung, die sich Aller bemächtigt hatte, die frohe Lust die Herrschaft streitig, und freudigen Herzens verfolgte Jeder sein Ziel. So erreichten wir den Ort, wo das Treiben auf Gemsen stattfinden sollte. Ehe noch alle Schützen ihren Stand eingenommen hatten, entdeckte das scharfe und geübte Auge des Gebieters eine Gemse an einem Laatschendickicht, in das sie hineinzog, Auch hörte man deutlich das eigenthümliche Pfeifen, den Warnungsruf derer, die das Auge nicht finden konnte, die aber längst ihren Feind, den Menschen, gewahr geworden waren, An solche heranzupürschen würde natürlich vergebliche Mühe gewesen sein, da es aber ein Treiben galt, lag es nahe, daß sie auf den Wechseln, die hier sehr gezwungen waren, mit zu Schuß kommen mußten. Ich meinerseits bekam an einem Laatschengebüsch, vor mir Wände mit Schluchten, in denen die Gemsen gern wechseln sollten, meinen Stand. Rechts von mir stand Mstr. B,. links der Prinz von L., und von da ab in einem höher gelegenen Kar der Herzog mit Graf E., und ganz oben Freund Gerstäcker.

Den Gebirgssack unter die Füße nehmend, schützte ich diese vor Schnee und Kälte; im Uebrigen war es, da ich in der Sonne stand, so warm, daß ich mit größtem Wohlbehagen abwarten konnte, was da kommen werde, – aber nicht kam, wenigstens bei mir nicht – nämlich die Gemsen. Fast schneeblind von der weißen, sonnenbeschienenen Umgebung, stand ich so unbeweglich, daß ein Grenzpfahl mich Bruder genannt haben würde, wenn er mich so hätte sehen können, Von großem Vortheil waren mir hier die an demselben Morgen erst aufgetriebenen, für drei Gulden käuflich an mich gebrachten, funkelnagelneuen Sonntagsschuhe meiner Frau Wirthin, die sie mir mit wehmuthsvollem Blicke überantwortet hatte, ahnend, welch rücksichtsloser Behandlung sie bei mir anheimfallen würden. Da meine Füße diese hornartigen, eisenbeschlagenen Geschöpfe in Form kleiner Kähne nicht auszufüllen im Stande waren, so hatte ich die Lücken mit einigen Händen voll Heu ausgestopft, und gerade dieses erhöhte wesentlich die Behaglichkeit auf meinem Stande. Damit der Schnee nicht oben in die Schuhe hineinfallen konnte, hatte mir Gerstäcker freundlichst ein Paar von einer dort gebräuchlichen Art kurzer Ueberstrümpfe, die über den Rand der Schuhe zurückgeschlagen werden, geborgt und mit Hülfe dieser und meiner Beinkleider, die ich tricotartig in erstere hineingesteckt, hatte ich mich gleichsam zu einem Tyroler umgewandelt, der freilich nicht allen ästhetischen Anforderungen entsprach und eigentlich mehr der Kreuzung eines sächsisch-erzgebirgischen Buttermannes mit einem Jäger glich. Praktisch aber war die Aushülfe für die Verhältnisse, und das war das Beste.

So gab ich mich bei aller Aufmerksamkeit auch hier meinen Naturbeobachtungen hin.

Die warme Sonne schien hell aus südlich tiefblauem Himmel auf die winterlich geschmückte Erde herab und löste den auf den alten Tannen lastenden Schnee in Tausende von schimmernden Tropfen auf, die zitternd an den grünen Zweigen hingen und, von neu sich bildenden herabgedrängt, wie ein immerwährender Edelsteinregen niederfielen, Das war, da die Sonne hinter den Bäumen stand, ein farbig glänzendes Spiel von reizender Schönheit. Durch die Brechungen der Strahlen in diesen Wasserkrystallen erschienen die Bäume wie von Heiligenscheinen umleuchtet. Dazu klang dumpf dröhnend, wenn Schneemassen von Fels oder Baum herabglitten, die dann oft in beträchtliche Tiefe fielen und deshalb, obgleich sie nur klein waren, ein so bedeutendes Geräusch verursachte. Man wurde nicht müde, so Wundervolles zu genießen. Zwei Stunden mochten dahin sein, da war es wiederum ein scheinbar ganz ferner Schuß, der alle meine Aufmerksamkeit auf das Treiben lenkte, Das Echo, das donnerähnlich rollend, dann knatternd und scharf und zuletzt wieder dumpf in den Bergen verhallend, dem kaum hörbaren Schuß folgte, gab mir Gewißheit, daß bereits Gemsen die Schützenlinie passirt waren, Mehrere Schüsse fielen nun hintereinander, denen jedesmal die Echo’s in den verschiedensten Brechungen antworteten. Mit Spannung beobachtete ich mein vor mir liegendes Terrain, in der Hoffnung, doch auch vielleicht einmal Anlauf zu haben, was sich leider bis auf die Erscheinung eines im Kleide der Unschuld hinhüpfenden Hasen, nämlich eines weißen, nicht verwirklichte. Diese Hülle der Reinheit möchte bei uns zu Hause im Herbst auf grauem Sturzacker sehr praktisch für den Jäger leuchten, hier aber auf dem Schnee war sie für Lampe ein Vortheil, denn – nun, ich will nur es gestehen, daß ich auf Hasemann zwar schoß, aber – fehlte.

Nicht lange darauf kamen die Treiber an den Wänden heruntergeklettert, so daß ich sie, wenn Gemsen Jupen trügen, für dergleichen gehalten haben würde, an so scheinbar völlig ungangbaren Orten krochen sie herum. Davon könnten unsere Treiber etwas lernen, die, wenn sie nur ein halbwegs unangenehm werdendes Dickicht zu durchkriechen haben, jeden irgend vielleicht günstig durchlaufenden Graben oder sonstige Lücken benutzen, um Gänsemarsch zu gehen, und erst kurz vor der Schützenlinie wieder Front machen, um geregelt herauszukommen.

Das Treiben war zu Ende, und beim Zusammenkommen der Schützen ergab sich’s, daß Graf E. zwei Gemsen und Gerstäcker eine geschossen hatte, daß aber die eine des Grafen angeschossen weiter gegangen war und von einem der Jäger verfolgt wurde. Rasch ging’s nun zu einer der Sennhütten, wo die hohe Frau mit Gefolge den Jagdherrn erwartete. Bald folgten Jäger und Treiber nach und brachten in ihren Gebirgssäcken die erlegten Gemsen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_260.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2023)