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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

„Wenn Ihr nichts dagegen habt,“ meinte Tolmer, indem er seinem Beispiele folgte und seine Doppelflinte ebenfalls abnahm und neben die des Burschen stellte, „so ruhe ich mich hier bei Euch erst ein wenig aus. Kann man für Geld und gute Worte einen Becher Thee und ein Stück Damper bekommen?“

„Für Geld nicht, für gute Worte ja,“ sagte der Buschrähndscher, der den Gast aber noch immer aufmerksam betrachtete. „Ihr seid ein Seemann, wie?“

„Ein Stück von einem,“ lachte Tolmer.

„Irgend wo ausgekniffen, he?“

„Mit französischem Urlaub, ja; von einem Handels-Schooner, der hier anlegte. Hol’ der Teufel das Wergzupfen an Bord! Findet sich denn wohl einmal Gelegenheit, von hier nach dem festen Lande hinüberzukommen?“

„Möglich,“ sagte der Buschrähndscher, „habe mich noch verwünscht wenig darum gekümmert.“

„Damper ist fertig,“ brummte jetzt Einer der Anderen, der das Kochgeschäft besorgte. Der, mit dem Tolmer bis jetzt gesprochen, wandte sich wieder zu ihm und sagte:

„Setzt Euch zum Feuer nieder und eßt mit, was wir haben.“

„Dank’ Euch,“ meinte Tolmer, „werde mir das nicht zwei Mal sagen lassen. Wetter noch eins, ich habe den Rheumatismus in den Rücken gekriegt, und gräßliche Schmerzen; vielleicht daß es die Hitze wieder herauszieht. Mit Euerer Erlaubniß,“ und mit den Worten kauerte er sich ohne Weiteres beim Feuer nieder, aber so, daß er demselben den Rücken zudrehte und die bei Seite gestellten Gewehre dabei im Auge behielt. Es war ihm aber auch nicht entgangen, daß der Schwarze, der etwas abseits vom Feuer saß, ein paar Mal schon aufmerksam auf irgend ein Geräusch wurde und den Kopf dann jedes Mal horchend emporhob. Glücklicher Weise nahm aber das gerade fertig gewordene Abendbrod die Aufmerksamkeit der Buschrähndscher für den Augenblick in Anspruch, und Alle setzten sich zum Feuer, den Wortführer ausgenommen, der zu dem Gewehre seines Gastes ging, es ohne viele Umstände in die Höhe nahm und genau betrachtete.

„Hm, ein hübsches Stück,“ sagte er dabei, „wie seid Ihr dazu gekommen, Mate, wenn Euch die Frage nicht etwa genirt? Matrosen führen sonst nicht so leicht solche Flinten.“

„Ich habe es einmal billig von einem Franzosen gekauft,“ sagte Tolmer gleichgültig, „weiß aber jetzt nicht recht, was ich damit anfangen soll, denn ich bin kein besonderer Schütze. Wenn ich das halbwegs dafür wiederbekomme, was es mich gekostet hat, schlag’ ich’s los.“

„Und wie viel war das?“

„Dreißig Schilling, ein Spottgeld für die Flinte, aber Geld kann man hier im Busche eher gebrauchen, wie ein Gewehr.“

„Für den Preis nehm’ ich’s Euch ab,“ sagte der Buschrähndscher schnell, „das ist ein Handel.“

„Meinetwegen.“

„Und Ihr nehmt Noten dagegen von den Squattern in der Nachbarschaft?“

„Noten? – was ist das?“

„Nun, Anweisungen, so gut, wie baar Geld. Jeder nimmt sie Euch ab.“ Er blinzte dabei seinen Cameraden hinter dem Rücken des Fremden zu, und diese lachten still und höhnisch vor sich hin. Tolmer that aber, als ob er es nicht bemerke, sondern sagte treuherzig:

„Wenn sie so gut wie baar Geld sind, war’ ich ein Narr, wenn ich was dawider hätte. Gott sei Dank, jetzt brauch’ ich doch das alte Schießeisen nicht mehr mit herumzuschleppen. Heute im Busch hatt’ ich zwei oder drei Mal gar nicht so übel Lust, es in das erste beste Wasserloch zu werfen.“

„Das wäre Schade drum gewesen,“ meinte der Buschrähndscher, indem er die Flinte zu den übrigen lehnte und sich jetzt selber mit zum Feuer setzte. Er war vortrefflicher Laune. – „Wißt Ihr wohl, Mate,“ fuhr er nach einer Weile fort, indem er sich ein großes Stück Damper und Schaffleisch auf die Kniee nahm, „daß mir Euer Gesicht verdammt bekannt vorkommt, und ich habe mir schon die ganze Zeit den Kopf zerbrochen, wo ich Euch einmal gesehen haben könnte?“

„Hier noch nicht,“ sagte Tolmer, ruhig von dem Damper zulangend und sich dem Feuer zukehrend. Dieses brannte jetzt ziemlich düster und der Hut, den er trug, beschattete sein Gesicht ebenfalls. „Drüben am Lande könnt’s aber gewesen sein; freilich auch nicht in den letzten Jahren. Früher war ich oft drüben.“

„Das wäre möglich!“ nickte Jener. „Habt Ihr Euere Passage nach Australien bezahlt?“

„Werde nicht so dumm sein,“ lachte der vermeintliche Matrose. „Wo sich’s die Regierung so viel kosten läßt, tüchtige Ansiedler herüber zu bekommen, soll man ihr nicht in’s Handwerk pfuschen.“

„Gescheidter Gedanke, Mate, verdammt gescheidter Gedanke,“ schmunzelte der Buschrähndscher; „aber was zum Henker hat denn die Schwarzhaut da zu horchen? – na, was gibt’s, Schneeball?“

Tolmer’s Herz schlug, daß es ihm die Brust zu zersprengen drohte. Er wußte, daß seine Leute jetzt dicht am Lager waren, und jedenfalls hatte der schwarze Bursche mit seinen viel schärferen Sinnen etwas von ihnen gehört oder gesehen.

Me, make a light, flourbag,“[1] sagte der Eingeborene in seinem englisch sein sollenden Dialekte.

Tolmer stand langsam auf und trat zum Feuer, um es ein wenig zusammenzustoßen. Er stand jetzt nur zwei Schritte von den Gewehren.

„So? – Du hast was Weißes gesehen?“ sagte der Buschrähndscher, mit den Augen der Richtung folgend, nach der der Arm des Schwarzen deutete.

„Ich werde einmal hinschießen,“ sagte jetzt Tolmer, und mit den Worten drehte er sich um, griff sein Gewehr auf und spannte zugleich geräuschlos die Hähne.

„Bah, mach’ keinen Unsinn, Mate,“ sagte aber der Buschrähndscher, der keine Ahnung hatte, daß ihnen hier Gefahr drohen könne. „Wer weiß, was der Bursche gesehen hat.“

„Vielleicht war’s ein Opossum,“ meinte Tolmer.

„Möglich,“ sagte der Andere, „setzt Euer Gewehr hin.“

„Habt Ihr schon gehört, wie man ein Opossum lockt?“ frug Tolmer jetzt. – Er war todtenbleich geworden, denn er wußte, daß der nächste Augenblick der entscheidende sein mußte.

„Ein Opossum? – Was zum Donnerwetter hat denn nur der schwarze Bursche? Etwas muß im Winde sein,“ und unwillkürlich machte er einen Schritt den Gewehren zu, während der Eingeborene seine Lanze aufgriff und scheu und vorsichtig vom Feuer zurückglitt.

„Ich will’s Euch zeigen, Mate,“ sagte Tolmer, und in dem Moment gellte ein schriller Pfiff durch den Wald.

„Verrath!“ schrie der Buschrähndscher und sprang nach den Gewehren.

„Wer sich bewegt, ist eine Leiche!“ rief Tolmer mit Donnerstimme, die eigene Waffe an den Backen reißend, und von allen Seiten sprangen die Seinen auch schon herbei, während die Buschrähndscher, förmlich überrumpelt, im ersten Schrecken nicht wußten, ob sie fliehen oder sich vertheidigen sollten.

Tolmer, so viel wie möglich unnöthiges Blutvergießen zu vermeiden, schoß nicht, und nur als der Anführer der Schaar an ihm vorbeifuhr, um seine Waffe aufzugreifen, hielt er ihm sein Bein vor und der Buschrähndscher stürzte wie im Fluge nach vorn, alle vier Gewehre mit sich zu Boden reißend. Im nächsten Augenblicke saß ihm aber schon Borris auf dem Nacken, und während diesen der Matrose unterstützte, den wüthend um sich Schlagenden zu binden und unschädlich zu machen, fanden sich die anderen drei von Bewaffneten umstellt und jede Flucht abgeschnitten. – Was auch hätten sie im Busche ohne Gewehre anfangen wollen?

Der Schwarze war gleich bei dem ersten Anprall der Polizei – vielleicht auch schon vorher – spurlos im Busche verschwunden.

Zehn Minuten später staken die Buschrähndscher in Handschellen. Es war aber zu gewagt, sie in dunkler Nacht durch den Busch zu transportiren, wo doch Einer oder der Andere Gelegenheit gefunden hätte, zu entkommen. Tolmer beschloß also, die Nacht dort mit ausgestellten Wachen im Lager zu bleiben und die Gefangenen erst am nächsten Morgen hinüber zum Schooner zu transportiren.

„Jetzt weiß ich auch, Mate, wo ich Euer blutiges Gesicht schon einmal gesehen habe,“ zischte der alte Buschrähndscher durch die zusammengebissenen Zähne, als er eine Stunde später neben seinen Cameraden und unter einer Aufsicht, die jeder Flucht spottete, am Feuer lag.

„Denk’s auch, Tomlins,“ lachte Tolmer, „ich hatte aber gleich vom Anfange an ein besseres Gedächtniß. Weil ich jetzt keinen Bart trage, seid Ihr irr geworden.“

  1. Make a light, mach ein Licht, für: sehen; flourbag, Mehlsack – Alles was weiß ist, in dem wunderlich gebrochenen und verstümmelten Englisch, das die Eingeborenen von den weißen Arbeitern lernen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_290.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)