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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Müller wird wohl die Beköstigung übernehmen; ich will an Stroh, Kartoffeln und dergleichen hinschaffen lassen, was ihm fehlt.“

„Ist denn das Herrenhaus nicht bewohnt?“

„O ja, aber nur von einer Dame, die sich nicht sehen läßt, und ihrem Dienstmädchen.“

„So will ich denn gleich selbst dorthin gehen und mir den Ort ansehen. Finde ich aber keine genügende Räumlichkeit für meine Leute, so müssen sie einstweilen hier bleiben.“

Ohne auf das undeutliche Murmeln seines unfreundlichen Wirthes zu achten, traf Schellenberg die vorerst nöthigen Anstalten zur Verpflegung seiner Mannschaft und fragte dann Marx nach dem Wege zum Waldhofe. Nach erhaltenem Bescheid ließ er seine Leute unter Winrich’s Aufsicht zurück und trat seinen Weg an, wenig erbaut von der mürrischen und zurückstoßenden Weise seines Wirthes. Aber die Schönheit der Natur nahm ihn bald in Anspruch. Die Thalweitung des Wolfsgrundes verengerte sich, der Bach rauschte über verworrenes Gestein, rechts eine steile Felswand bespülend, links kaum dem Pfade zwischen sich und dem jähen Bergabhange Raum lassend. Plötzlich verbreiterte sich das Thal wieder und eine Landschaft von hohem Reiz lag vor dem einsamen Wanderer. Aus einem Seitenthälchen kam ein zweiter Bach hervor, auf der Landzunge vor der Vereinigung beider Gewässer lagen die Gebäude des Waldhofes, theils in Ruinen gesunken, theils noch erhalten; dahinter füllten saftige Wiesen die Thalsohle aus, indem eine Kette von Erlen und Weiden den gewundenen Lauf des nun verstärkten Baches bezeichnete; prachtvolle Laubwälder, von einzelnen Nadelgehölzen unterbrochen, bedeckten die Berge, bis diese, sich voreinander schiebend, die Aussicht schlossen. Das trümmerhafte Aussehen des Waldhofes stimmte vortrefflich zum großartigen Charakter der Gegend und vermehrte den Eindruck sanfter Schwermuth, der über dem Ganzen ausgebreitet war und der jetzt Schellenberg’s Gemüth wie mit schmerzlich-süßen Schauern überfiel. „So mag das Heimweh sein,“ flüsterte er, „wie mir jetzt zu Muthe ist, oder die Sehnsucht nach Liebe.“

Ganz in der Nähe betrachtet, verlor freilich die elegische Romantik des Waldhofs manches von ihrem Reiz, indem die mit gänzlichem Verfall kämpfenden Reste der Gebäude doch einen niederschlagenden Eindruck machten. Das Ganze mochte ehemals stattlich genug gewesen sein, aber die Ringmauer war jetzt fast überall umgestürzt, der Graben hatte sich mit Trümmern gefüllt, das Eingangsthor war zusammengesunken. Vom Schloßgebäude stand nur noch ein Seitenflügel unversehrt; die verschlossene Eingangsthüre und die mit Gardinen sowie mit blühenden Gewächsen versehenen Fenster des Erdgeschosses deuteten Bewohntsein an. Der übrige Theil des Schosses war einer Feuersbrunst erlegen, wie sich an dem geschwärzten Gemäuer und den halbverkohlten Balken erkennen ließ, doch fanden sich im entgegengesetzten Flügel einige ziemlich erhaltene Räume, die im Nothfall bewohnbar sein oder gemacht werden konnten. Die ehemaligen Nebengebäude waren völlig verödet, nur eine Mühle, ganz seitwärts am Bach gelegen, ließ sich als den Menschen zur Wohnstätte und zu industrieller Benutzung dienend erkennen. Einige Reihen hochstämmiger Linden und Ulmen beschatteten den Hofraum, und das flüsternde Gesäusel ihrer Zweige unterbrach allein die tiefe Stille.

Schellenberg betrat diese Stätte der Verödung und des Schweigens mit ernsten Gefühlen. Also in diesen verfallenen Resten eines ehemals prunkenden Schlosses hausete eine menschenscheue alte Dame, wahrscheinlich der letzte Zweig eines absterbenden Geschlechtes, keine Blüthen und Früchte mehr treibend, von Schutt und Moder umgeben, von den Menschen vergessen! Es war Schellenberg zu Muthe, als müßte er sich der Einsamen und Verlassenen nähern, ihr irgend einen Dienst leisten, auf ihren freudelosen Pfad eine Blume menschlicher Theilnahme werfen. Wer weiß, wie lange kein wohlwollendes Wort in dieses der Außenwelt verschlossene Ohr erklungen, kein gefühlvoller Blick auf dieses sorgendurchfurchte Gesicht gefallen war!

Es trieben sich einige Kinder mit einem Hündchen bei der Mühle umher, aber Kinder und Hund flüchteten beim Anblick des Fremden. Schellenberg folgte den einmal in ihm angeregten Empfindungen, als er nicht auf die Mühle, sondern auf den bewohnten Theil des Herrenhauses zuschritt und an die verschlossene Thüre pochte. Es wurde von einer jungen weiblichen Person geöffnet, muthmaßlich der Dienerin, von der Marx gesprochen hatte, denn die Kleidung war für eine Bäuerin zu fein, für eine Vornehme zu einfach. Sie fragte schon während des Oeffnens: „Seid Ihr schon wieder aus der Stadt zurück, Niklas?“ Aber sie trat nicht wenig erschrocken zurück, als sie den jungen Officier vor sich sah. Schellenberg’s Auge ruhte mit Wohlgefallen auf der tiefen Purpurröthe, die sich über Gesicht und Nacken des allerliebsten Mädchens ergoß; er trat rasch ein, denn es schwebte ihm lebhaft die Ahnung vor, daß ihm sonst die Thüre vor der Nase zugeschlagen würde.

„Nein, schönes Kind,“ begann er, „kann ich die Herrin sprechen?“

„Zu wem wollen Sie?“ fragte sie verwundert.

„Zu der Dame, welcher diese Besitzung gehört. Können Sie mich nicht bei ihr melden?“

Nach einigem Besinnen und Zögern antwortete sie: „Die Dame ist nicht zu sprechen.“

„Das thut mir leid, denn ich habe etwas Nothwendiges mit ihr zu verhandeln, und ich wünsche um Alles nicht, ihr lästig zu fallen, möchte daher gern vorher die Sache mit ihr besprechen.“

„Kann ich es nicht bestellen?“

„Warum nicht? Die Sache ist in Kürze folgende. Ich bin mit einem starken Commando von Soldaten hierher geschickt, um den Steuerbeamten Beistand gegen die Schmuggelei zu leisten, und glaubte mit zwölf meiner Leute Unterkommen im Wolfsgrund zu finden, der Besitzer aber weigert sich, uns Alle aufzunehmen, und es fragt sich nun, ob etwa fünf Soldaten hier auf dem Waldhof bleiben können. Der Müller übernimmt vielleicht gegen entsprechende Vergütung die Verpflegung, und im Wolfsgrund ist man bereit, das etwa Fehlende hierher zu schaffen.“

Das Mädchen versank in überlegendes Nachdenken und beachtete dabei nicht, mit welcher Theilnahme die Blicke des Officiers auf ihm ruhten. Aber es war auch eine Lust, die holde Erscheinung zu betrachten; die zarte Gestalt entwickelte alle Formen in vollendetem Ebenmaße; um die hohe Stirn legten sich reiche Flechten eines glänzend braunen Haares; die langen Wimpern beschatteten tiefblaue Augen; der volle Mund besaß jenes wunderbare Schwellen, welches der jugendlichen Heiterkeit eben so verwandt scheint, als dem Gewohntsein an Schmerz, welches ungewiß läßt, ob zunächst ein fröhliches oder trauriges Wort über seine Lippen gehen wird; die Hände, obwohl sie mit der Arbeit vertraut genug schienen, zeigten sich dennoch fein und weiß. Um der Schwankenden mehr Zuversicht zu geben, fuhr der junge Mann fort:

„Ich würde die Leute unter den Befehl eines bewährten Unterofficiers stellen und für ihr tadelfreies Betragen einstehen. Ich bin so weit davon entfernt, der alten Dame auch nur die allergeringste Unannehmlichkeit zu bereiten, daß ich vielmehr jede Gelegenheit benutzen werde, mich ihr gefällig zu bezeigen, ja daß es mir eine recht innige Freude machen würde, wenn ich ihr einen Dienst erzeigen könnte.“

Ein eigenthümlicher Ausdruck überflog die Züge des Mädchens, die Lippen schlossen sich fester, um ein leichtes Lächeln nicht herauszulassen, die Wimpern senkten sich rasch, um den kleinen Muthwillen zu verdecken, der aus den Augen hervorleuchten wollte. Dann sagte sie, ohne aufzublicken:

„Woher rührt denn die Theilnahme, die Sie für die Dame gefaßt zu haben scheinen?“

Mit treuherziger Offenheit erwiderte er: „Man braucht nur die tiefe Abgeschiedenheit dieses Aufenthaltes, den verfallenen Zustand dieser Wohnung zu beachten, um vollständig zu begreifen, daß allein die härtesten Schläge des Lebens, die schmerzvollsten Empfindungen des Gemüths ein weibliches Wesen dazu bestimmen konnten, hier eine Zuflucht zu suchen.“

Mit einiger Verwirrung fragte sie: „Finden Sie denn wirklich diesen Aufenthalt so entsetzlich?“

Der Officier rief lebhaft: „Die Gegend ist voll von romantischer Schönheit, man möchte sich nie einen reizenderen Aufenthalt wünschen, aber – man müßte ihn theilen mit einem geliebten Wesen! Wird sonst nicht das Herz in dieser schwermüthigen Einsamkeit sich verzehren an ungestillter Sehnsucht?“

Unter andern Umständen hätte sich Schellenberg wohl mit einiger Beschämung bei solchen Ergüssen gegen ein Mädchen dieser Art ertappt, aber in der gehobenen Stimmung des Augenblicks halte er das überzeugende Gefühl, verstanden zu werden, und er wurde wirklich verstanden. Das Mädchen erhob seine sinnigen Augen voll zu dem belebten Gesicht des Jünglings, dann senkte es rasch seinen Blick und sagte weich:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_323.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)