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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

hier sind die Schlachtfelder von Lodi, Arcole, Caldiero und Marengo, hier erwarben sich ihre Vorgänger einst einen Ruhm, der die Welt erfüllte und in der Folge beinahe zur Weltherrschaft führte – warum sollte es gegenwärtig nicht dasselbe leisten, gegenwärtig, wo der harte Feldzug in der Krim die Führer und Soldaten geschult hat? Und wie freudlos war jene Campagne, wie freudlos jede in Afrika gegen eine solche unter Italiens ewig lächelndem Himmel!

Mit mehr Ernst und weniger chimärischen Hoffnungen blickte ein Theil der Officiere auf die bestehenden Verhältnisse; dieser wußte recht gut, daß die Armee noch nicht marschbereit sei, daß es namentlich an Last- und Zugthieren, sowie an Reiterei und Artillerie fehlte. Ein Tagesbefehl sagte den Truppen, daß ihre Vorfahren einst unter noch trüberen Verhältnissen die Alpen überschritten hätten, forderte Jeden auf, seine Schuldigkeit zu thun, und ordnete die Details des Marsches an. Wind und Wetter waren gegen das Unternehmen, noch hemmte der Schnee die Passagen auf den Höhen, und an den Hängen rieselte das Wasser herab und ließ die Lache aus ihren Ufern treten. Jeder Soldat weiß, wie schlecht es sich marschirt, wenn der Boden naß und aufgeweicht ist; kommt nun noch Wind, Regen und Schneegestöber hinzu, so muß dies mit der wechselnden Gebirgsluft nicht nur einen großen Nachtheil auf den Marsch ausüben, weil es Verzögerungen veranlaßt, sondern auch auf die Gesundheit der Leute selbst. Das Corps des General Niel war es, dem die Aufgabe ward, diesen Weg zurückzulegen; ursprünglich sollte auch das Corps des Marschalls Canrobert dieselbe Straße gehen, doch ward dies in Folge der Schwierigkeit und Langsamkeit, mit welcher sie passirt werden mußte, über den Mont Genèvre dirigirt, während fast die ganze Artillerie beider Corps nach Marseille geschickt wurde, um von dort nach Italien eingeschifft zu werden.

Die, wie wir bereits sagten, von Napoleon I. angelegte Straße steigt von Aiguebelle bis St. Jean de Maurienne in südlicher Richtung langsam aufwärts, in gleicher Weise wendet sie sich östlich bis Madone, wo sie, steiler werdend, sich erst nördlich und nordöstlich um den Mont Cenis windet, und dann noch steiler in südöstlicher Richtung nach Susa abfällt. Hieraus ergibt sich, daß es leichter ist, den Mont Cenis in der Richtung von Frankreich nach Piemont, als umgekehrt zu passiren, und daß man diesen Weg wohl zu einem Vormarsch benutzen kann, wenn der Feind das Debouché nicht in seiner Gewalt hat, kaum aber als Rückzugslinie, wenn man gedrängt wird. Auch als Etappenstraße hat diese Straße wenig Werth, da sie zu schwierig zu passiren ist, und sie wurde jetzt von den Franzosen wohl nur eingeschlagen, um gleichzeitig mit mehreren Colonnen in Piemont erscheinen und sich mit Leichtigkeit auf Turin oder die Dora-Baltea-Linie werfen zu können, je nachdem die Bewegungen des Feindes das Eine oder Andere nöthig gemacht hätten. Das ist nicht nöthig gewesen, der strömende Regen hielt auch die Oesterreicher in ihren Bewegungen auf und ließ den Franzosen Zeit, bis Alessandria und wohl selbst über dieses hinaus vorzurücken und das sardinische Heer zu unterstützen, das jetzt kaum mehr als solches existirt, sondern divisionsweise den französischen vier Armeecorps beigegeben ist.

Die Straße über den Mont Cenis liegt an ihrem höchsten Punkte 7080 Fuß über dem Meeresspiegel, geht wie andere große Gebirgsstraßen im Zickzack aufwärts und ist für Infanterie und Lastthiere überall passirbar, wenn nicht der Schnee hemmend eintritt, der nur wenige Sommermonate zu schmelzen pflegt. So auch jetzt, der Schnee lag hoch, und Tausende von Arbeitern mußten Tage lang beschäftigt werden, um ihn in so weit zu beseitigen, daß die Truppen nicht aufgehalten wurden. Hatte der sündfluthartige Regen der letzten Wochen schon die Zugänge fast unwegsam gemacht, so spottete der fast täglich sich erneuernde Schneefall aller Anstrengungen der zahllosen Arbeiter, den Paß schneefrei zu machen. Kein Wunder, daß die Militairhospitäler in Susa und Umgegend voller Kranken lagen. Viele fanden dort ihren Tod, diejenigen, welche dem peinigenden Durst bei der Erhitzung und Anstrengung durch den Marsch nicht widerstehen konnten und von dem Schnee- und Eiswasser tranken, sind in den meisten Fällen ein Opfer ihrer Unvorsichtigkeit geworben. Trotz alledem wurde der Uebergang von circa 45,000 Mann mit solcher Energie bewerkstelligt, daß die Soldaten sogar des Nachts keine Ruhe hatten, und die Regimenter von den Arbeitern der Tunnels mit Fackeln begleitet wurden, um nur rasch vorwärts zu kommen. Der große Verlust an Menschen und Vieh hat indeß den Obergeneral neuerer Zeit doch veranlaßt, Artillerie und Reiterei zur See zu befördern.




Warten.
Von Moritz Hartmann.

Der alte Herr Viebahn[1][WS 1] erzählt:

„Ich kann es nicht leugnen, ich war ein verzogenes Muttersöhnlein; doch war ich dabei, als es hieß: „Franzosen zum Land hinaus!“ Und ein stattlicher Jäger war ich, das läßt sich auch nicht leugnen, obwohl man es heute, beim Anblick meines wirklich commercienräthlichen Bäuchleins, auch nicht glauben sollte. Es war an einem Nachmittage nach dem Kaffee, nachdem der französische Oberst, unser Tischgenosse, hinausgegangen war, daß mein Vater zu der Mutter sagte, und zwar mit einer Stimme, die sehr resolut klingen sollte, in der That aber ein wenig zitterte:

„Nun, Alte, unser Eduard wird nun auch fort müssen!“

„Wohin denn?“ fragte meine Mutter und that, als ob sie nicht verstände, während ihr abgewandtes Gesicht verrieth, daß sie wohl verstand.

„Nun, meine Alte, Du verstehst mich wohl,“ und legte die Hand auf ihre Schulter. „Eduard weiß, was ich meine,“ fügte er hinzu.

Ich nickte mit dem Kopfe; die Mutter sah mich mit einem unaussprechlichen Blicke an, dann zog sie einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete eine Kommode, und indem sie auf eine reiche Ausstattung von Hemden, Taschentüchern, Nachtleibchen und andere Wäsche zeigte, sagte sie: „Ihr seht wohl, daß ich längst daran gedacht habe, und daß Alles vorbereitet ist!“

„Gute Mutter,“ lächelte mein Vater, „Deine Vorsorge ist zu reichlich ausgefallen; bewahre das Alles für seine Heirath; er kann nur so viel mitnehmen, als in einen Tornister geht.“

Meine gute Mutter blieb schweigend vor der geöffneten Lade stehen und sah die Wäsche an, ohne ein Wort zu sagen, ohne nur einen Seufzer auszustoßen.

Mein Vater wandte sich zu mir: „Jetzt, Eduard, sei vorsichtig – geh zum Dr. Schrader – der wird Dir sagen, was Du zu thun hast.“

Die alte Margareth, unsere Hausmagd, die mich auf den Knieen geschaukelt, ein treues Hausmöbel, das zur Familie gehörte und vor der meine Mutter kein Geheimniß hatte, trat in die Stube, und da sie die Lade offen und den ernsten Ausdruck auf unsern Gesichtern sah, lächelte sie einverständlich und murmelte ein „Endlich, endlich!“ zwischen den Zähnen.

„Hast Du denn gar kein Herz, Margareth?“ fragte meine Mutter vorwurfsvoll.

„Ob ich ein Herz hab’, Frau Viebahn, das wissen Sie wohl, und ob ich den Eduard lieb hab’, das wissen Sie auch; aber was nützt das Alles, die Franzosen müssen fort!“ rief Margareth und streckte den Arm so energisch und unabhängig in die Luft, wie sie es in Gegenwart ihrer Herrschaft vielleicht in ihrem Leben nicht gethan.

Am Abend schlich ich mich zu Dr. Schrader, einem Gelehrten, der seit einigen Wochen die Flora unseres Gebirges studirte und vor der Stadt in einem kleinen Häuschen wohnte. Aber die besten Deutschen unserer Stadt wußten, daß er ein Abgesandter des Tugendbundes, daß das kleine Häuschen ein Werbebureau sei. Wir waren westphälisch, und die größte Vorsicht that noth. Dr. Schrader, der von Allem vortrefflich unterrichtet war, sagte mir, ich müsse von allen Freiwilligen der Letzte sein, der die Stadt verlasse, damit der französische Oberst, der in unserm Hause wohnte, auf das Verschwinden der jungen Leute nicht aufmerksam werde. Das that meinem Ehrgefühl sehr wehe, daß ich von allen Patrioten, die zur Vertheidigung des Vaterlandes auszogen, der Letzte sein sollte. Die

  1. Unsere Braunschweiger Leser werden in Herrn Viebahn den Erzähler wohl ohne Namensänderung erkennen.
    D. Redact.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Die Mutmassung der Autorenschaft Eduard Viewegs wurde im Heft 26 zurück gezogen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 333. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_333.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2023)