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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

gegenwärtigen Rückzüge kamen die Oesterreicher oft in die Lage, Flüsse auf Pirago’schen Kriegsbrücken zu überschreiten, wie wir sie eben schilderten, und immer bewährten sich diese als höchst praktisch. In diesem Heere hat man dem für Kriegsoperationen so wichtigen Brückenbau die größte Aufmerksamkeit zugewendet, ebenso was die Zahl, als was die Construction der Brücken betrifft, denn es hat 36 bespannte Brückentrains nach jenem so vorzüglichen Systeme zur Verfügung.

Aus dem Gesagten mag hervorgehen, wie schwierig es ist, erstens dem Feinde den wahren Uebergangspunkt zu verbergen und alle Vorbereitungen so zu treffen, daß man die Brücke möglichst rasch schlagen kann; zweitens den Uebergang zu erzwingen wenn der Feind nur irgend wachsam und auf seiner Hut ist und Widerstand leistet; drittens aber auch die große Unwahrscheinlichkeit des Gelingens, wenn der Feind während des Baues selbst die Brücke angreifen und beschießen kann.

Wir erwähnten, daß gleichzeitig mit dem Brückenbau auch eine Verschanzung am gegenüberliegenden Ufer zum Schutze der Brücke angelegt werden müsse; gewinnt diese eine größere Ausdehnung, so nennt man sie Brückenkopf. Von seiner tapferen Vertheidigung hängt bei einem Flußübergange unendlich viel ab, und die Schlacht von Magenta hätte wohl einen andern, als den so betrübenden Ausgang genommen, hätten die Oesterreicher nicht den Tag vorher den Brückenkopf daselbst als „unhaltbar“ aufgegeben.

Vortrefflich verstanden es die Oesterreicher, den Feind über ihren wahren Uebergangspunkt zu täuschen; das zeigt ihr Uebergang über den Po, den Tessin und die Sesia und die fortwährenden Allarmirungen, um den Feind unsicher zu machen. Ihre Kriegsbrücken sind, wie wir sagten, gut, dauerhaft und leicht zu handhaben; das zeigt die Raschheit, mit welcher sie dieselben schlugen. Nebenbei sind sie auch sehr sicher; das beweist, daß bei deren Benutzung auch nicht ein Unfall von einiger Bedeutung vorkam.

Oesterreich hat aber auch in seinen Truppen ganz vorzügliche Elemente, um derartige Unternehmen auszuführen: einmal sind es die Jäger und Husaren, die in beinahe unübertroffener Weise den leichten Dienst versehen und jenen Vorhang bilden, hinter welchen der Feind nicht blicken kann, um zu sehen, was vorgeht, anderntheils sind die Pontoniere aus den Küstenländern und von den Ufern der Donau kräftige, starke, sehr gut in ihrem Dienste geübte Soldaten, welche mit dem Wasser vertraut sind, denn sonst wäre es kaum möglich gewesen, obengenannte Flüsse, welche durch den schmelzenden Schnee der Alpen und die fortwährenden Regengüsse angeschwollen waren, mit solcher Sicherheit zu überbrücken und die Brücken zu erhalten. Denn abgesehen von der vermehrten Strömung, kommt der Fall nur zu leicht vor, daß Schiffbrücken durch ein rasches Sinken oder bedeutendes Steigen des Wassers sehr gefährdet, ja gesprengt werden.




Die schwarz-roth-goldene Fahne in London.

Wenn auch kein heiliger, gießt sich doch ein freudiger Geist zu Pfingsten über die Menschen aus. Die Schützenfeste, die Würfelbuden, neue Kleider, lachende Wiesen, grüne Bäume, blauer, warmer Himmel, gewöhnlich mit einem Donnerwetter dazwischen fahrend, Pfingstbiere, neue Liebe, reifende Hochzeiten – alle diese alten Gerechtigkeiten der Pfingstwoche werden sich wohl auch diesmal gegen Kriegsbereitschaft und Mobilmachung im lieben Deutschland geltend gemacht und heitere Genüsse und Erinnerungen auf den dunkeln Grund der Gegenwart gedruckt haben.

Wir Deutschen in London feierten auch ein recht heiteres und echt deutsches Pfingstfest mit deutschen Musikanten, weithin leuchtender, flatternder schwarz-roth-goldner Fahne, deutschen Reden, Gesängen und Tänzen auf grünem Rasen unter lichtgrünen Eichen, mit deutschen Würsten, Schwarzbroden, Schwänken, Bier, Kuchen, Kaffee, Frauen und Kindern und der weithin unter die Engländer schmetternden, noch immer nicht beantworteten Frage: „Was ist des Deutschen Vaterland?“

Und in welch’ einem großartigen Rahmen! Auch London hat seinen Pfingstmontag, wo die Zahl der zu Fuß und zu Pferd, zu Wasser und zu Lande Ausfliegenden nach Hunderttausenden berechnet und zur Million wird, wenn man nur ein Drittel als von dem allgemeinen Ausfliegefieber getrieben annimmt. Zehn riesige Eisenbahnhöfe (zum Theil doppelte und dreifache für verschiedene Richtungen und Compagnieen) und mehr als hundert noch in das Bereich Londons fallende Stationen füllen sich an diesem Pfingstmontage fortwährend mit drängenden, schwitzenden Schaaren von Menschen, Proviantkörben, Flaschen, Fahnen, Pfeifen, Trompeten und donnern fast ununterbrochen in viertelmeilenlangen Zügen davon über Häuser und Straßen, durch Tunnels und Tiefen, über Höhen und Thäler, durch Vorstädte, Wälder und Wiesen, sich unten und oben in den verworrensten Schienennetzen kreuzend, aneinander verbeisausend und sich mit vollster Lungenkraft, mit Mützen und Hüten, Tüchern und Fahnen gegenseitig in aller Eile zutelegraphirend, daß man kreuzfidel sei heute und dem vorbeisausenden Zuge ein Gleiches wünsche.

So zerstreuen sie sich mit der Zeit über einen achtzig- bis hundertmeiligen Umkreis von London und lagern sich zwischen Blumen und Wiesen, schilfig-seiden säuselnden Weizenfeldern, unter den üppigen Baumkronen der Wälder und Parks und leeren ihre Proviantkörbe und unglaubliche Massen von zinnernen Bierkrügen und tanzen, jagen, necken und spielen den ganzen Weg in derber, herzhafter Weise. Hier werden Kokosnüsse von Stangen geworfen, dort mit Kindern und Damen Spazierritte auf überall bereitstehenden Mietheseln unternommen. Ueberall, überall in der Nähe und Ferne fröhliche, bunte Menschengruppen, verschönt durch Freude, geröthet durch Schwelgen in frischer Luft und aus allen möglichen Flaschen, wie durch den grünen Wiederschein des saftigsten englischen Grün’s, das stets grüner ist, als jedes andere Laub und Gras in Europa.

Was die Eisenbahnen nicht leisten konnten, versuchen unten auf der Themse Hunderte von Dampfschiffen, die, stets zum Sinken überladen, bunt, musicirend, flaggend, wimpelnd und jauchzend hin- und herschießen, weit hinauf in idyllische, weit hinunter in meeresbenachbarte Gegenden. Aber auch die Dampfschiffe reichen nicht hin. Unzählige Privat-Omnibusse, alle Arten von Wagen und Karren müssen sich überfüllen lassen und zwischen Wagenburgen sich jubelnd hinausdrängen. Auch die vielen Canäle, die London mit der Umgegend nach verschiedenen Richtungen verbinden, bedecken sich mit langen, menschenüberladenen Kähnen, die von Pferden in langen, jauchzenden Reihen hinaus in Luft und Lust, in Jauchzen und Jubel gezogen werden.

In einem solchen Rahmen mit Tausenden von Genrebildern des englischen Volkslebens bewegte sich auch der schwarz-roth-goldene Zug deutscher Männer, Frauen und Kinder aus allen Gegenden der Heimath und den verschiedensten Ständen mit klingendem, schmetterndem Spiel nach einem östlichen Eisenbahnhofe Londons. Die Führer und Vorsteher trugen breite, schwarz-roth-goldene Schärpen, die Ehrengäste freiflatternde schwarz-roth-goldene Bänder vor der Brust. Die Eisenbahn führte sie hinaus in einen eichenreichen Theil des beinahe zwölf Meilen langen Epping-Forstes im Osten von London, genannt Snaresbrook. Sie zogen von der Station in die vorher ausgesuchte Waldesstelle, wo sich schon Proviantwagen mit Bier, Brod, Kuchen, deutschen Würsten und Schinken eingefunden hatten. Diese weisen Vorsichtsmaßregeln und die ganze Formation des Festes war von dem Verein „Bund deutscher Männer“ ausgegangen.

Nachdem sie mit Musik und der deutschen Fahne den Ort des Festes erreicht, bildeten sie einen Kreis und weihten den Tag durch entsprechende Reden und deutschen vierstimmigen Männergesang, der manche liebe Erinnerung an die Gymnasien- und Studentenzeit der Heimath schmerzlich wohlig wachrief und liebe Freunde, die längst dahingegangen, rothwangig und hoffnungsvoll – aber freilich nur im Geiste – in unsere Mitte zauberte.

Nach dieser Eröffnung zerstreute man sich zwischen Thälern und Höhen und gruppirte sich zu kleinen Lagern und Kränzchen, um zu frühstücken, Natur, Luft, Licht und Sonne zu genießen, liebe Freunde und Freundinnen und sich selbst zu amüsiren. Mit der Zeit kam’s zu Spielen und Tänzen auf grünen, sonnigen Plätzen, doch erst, als drei Uhr Nachmittags die erwarteten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_390.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2023)