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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Madame de Grand’ Maison sich zu einer feierlichen Begrüßung erhoben, ohne von ihren Sesseln fortzutreten. Es wurde mit wohlgefälligem Lächeln aufgenommen, wenn ich zuerst im Allgemeinen eine tiefe Verbeugung machte und dann besonders vor Jedem von Beiden mich verneigte. Hatte ich das Manöver einmal besonders gut ausgeführt, so reichte Madame mir die äußersten Spitzen ihrer Hand zum Kusse, und der Gemahl nahm bald im Laufe des Gesprächs die Gelegenheit wahr, mit tiefem Seufzer diese Worte auszusprechen: „Ja, ja, mein Herr, in dem Lande jenseit des Rheins findet man noch hin und wieder Leute von guter Erziehung; in Frankreich hat das die Revolution vernichtet.“

Mr. de Grand’ Maison war geradezu die personificirte französische Geschichte. Ein werthvoller Beitrag zur Beurtheilung der sittlichen Zustände in Frankreich war es, wenn er auf alle die von ihm geleisteten Eide bei Constituirung irgend einer neuen Regierungsform zu sprechen kam. Davon ein ander Mal. Er wußte den ernstesten Dingen jenen flüchtig scherzhaften Anstrich zu geben, der selbst uns tiefer fühlenden Deutschen unwiderstehlich anzieht. Wir verstehen es nicht so gut, wie unsere Nachbarn im Westen, Alles auf die leichte Schulter zu nehmen, in Worten wenigstens; in der Praxis aber machen wir – die Hand auf’s Herz – es nicht viel besser. – Eines Abends kam Mr. de Grand’ Maison auf einzelne von ihm persönlich durchlebte Ereignisse der Revolutionszeit zu reden, unter andern auf die Zerstörung der Königsgräber und Entfernung der königlichen Leichen aus der Kathedrale zu St. Denis. Er erzählte dann etwa so:

„Zur Zeit des Ausbruchs der Revolution war ich 19 Jahre alt, und hatte eine einzige Schwester von 16 Jahren; mein Vater war Wittwer. Bei dem Ueberhandnehmen des gräßlichen Revolutionstreibens mochte der Aufenthalt in Paris nicht mehr ganz passend für uns gehalten werden, um so mehr als wir den größten Theil des Tages mit zwei Dienstboten in einem großen Hause allein gelassen wurden. Unser Vater schickte uns deshalb nach St. Denis, wo mein Onkel Maire war. Einen Tag nach unserer Ankunft daselbst traf der Befehl ein, daß die Leichen der Könige aus der Kathedrale daselbst entfernt werden sollten, wie daß Alles, was in den Königsgräbern an die frühere königliche Würde und Größe erinnere, zerstört werden müßte. Bei der Ausführung dieser Maßregel mußte mein Onkel natürlich schon wegen seiner amtlichen Stellung zugegen sein. Er kam meinem lebendigsten Wunsche entgegen, indem er mir vorschlug, ihn nach der Kathedrale zu begleiten.

Ich kann Ihnen keine Beschreibung von dem Gefühle geben, das sich meiner beim Eintritte in diese geheiligten Räume bemächtigte, die – vergessen Sie das nicht – zu damaliger Zeit nicht leicht zugänglich waren. So viel Mühe man sich auch gegeben hat, diese von der Kirche aus in die Augen fallenden Räume in einer würdigen Weise wieder herzustellen, Alles zu sammeln, was der Zerstörungswuth jener unglücklichen Zeit entgangen ist, so fehlt dennoch Allem jener Duft vergangener Jahrhunderte, der solchen Räumen eigenthümlich ist, wenn sie namentlich selten betreten werden. Man sieht dem Ganzen heute eben an, daß es etwas Wiederhergestelltes, Neues ist, dem nicht eine lange Vergangenheit den Stempel der Geschichte aufgeprägt hat.

Als wir vor der Kathedrale ankamen,“ erzählte Mr. de Grand’ Maison weiter, „war auf dem Platze bereits eine trunkene, heulende Volksmenge versammelt. Mein Onkel ward mit dem verschiedenartigsten Geschrei begrüßt. Einige Karren verdächtigen Ansehens mit mehr als einer Blutspur standen am Eingange der Kirche; ein Haufen roher Gesellen, die Flasche unter sich kreisen lassend, bereitete sich dadurch und durch die brutalsten Redensarten zum Werke der Zerstörung vor. So roh sie auch waren, so war ihr Anführer doch der Roheste von Allen. Von niedrigem Stande entsprossen, mochte er dies wohl für den geeignetsten Weg halten, sich in die Höhe zu bringen. Er ist später als Capitain ehrenvoll auf dem Schlachtfelde von Eylau gefallen, und ich mag deshalb seinen Namen nicht nennen; seine Familie existirt noch in Paris.

Kein Geistlicher in seinem heiligen Kleide war vorhanden, der den Eindringenden gewehrt hätte. Mein Onkel öffnete die Thüren zu den Königsgräbern und gab den Abgesandten Gewalt, zu thun, was die schreckliche Ordre gebot. Trunken, halb nackt und mit rohem Freudengeschrei stürzten sich diese Gesellen auf die Gräber, zerbrachen, zertrümmerten, zerrissen Alles, und mit gierigem Auge ward geforscht, ob nicht irgend ein Schmuck, ein geldwerther Gegenstand zu finden sei. Die Cadaver wurden aus den Gräbern herausgerissen und, nachdem diese größtentheils zerbrochen waren, unter dem Brüllen der laut aufjauchzenden Menge vor der Kathedrale auf einen Haufen geworfen. Einige stürzten sich mit solcher Wuth auf die Leichname, daß sie im buchstäblichsten Sinne des Wortes zerrissen wurden. Später wurde Alles auf Karren geladen und unter Begleitung der Commissaire fortgeschafft. – Eins der ersten Gräber, das geöffnet wurde, war das Heinrich’s IV.

Obgleich mein Onkel äußerlich die republikanischen Ideen adoptirt hatte, so konnte er seine royalistischen Ideen doch nie ganz verbergen; er rettete später durch freiwilliges Exil mit genauer Noth sein Leben und starb im Auslande. Bei dieser Gelegenheit konnte er sich auch des Ausrufs nicht enthalten: „Bürger, seht, das war der größte Freund des Volkes unter Allen!“ – Der Name Heinrich’s übte doch auch auf diese Gesellen instinctmäßig einen gewissen Eindruck aus. Trotz der bis zur gröbsten Unsittlichkeit getriebenen Galanterieen des Königs und der nur zu oft bewiesenen Charakterlosigkeit namentlich in Religionssachen, ist er noch heute der populärste Königsname in Frankreich. Seine bekannte Aeußerung über das Huhn im Topfe eines jeden seiner Unterthanen verschafft ihm noch in diesen Tagen den Ruf eines Vaters seines Volkes.

Bei der Eröffnung des Sarges bot sich ein eigenthümliches, wahrhaft rührendes Bild den Augen der Anwesenden dar, was auch auf diese Menschen nicht ohne Einfluß blieb. Des königlichen Leichnams ganze Gestalt war wunderbar erhalten, das Gesicht etwas zur linken Schulter gewandt; der lange Bart dieses in den Standbildern auf dem Pont neuf, am Hôtel de Ville und an anderen Stellen in geschichtlicher Treue auf uns gekommenen echt bourbonischen Kopfes war zum Erstaunen Aller, selbst was die Form betraf, in einem Zustande, als wenn der König eben erst eingeschlafen wäre. Lautlos sahen Alle auf den Sarg, und ohne daß sich auch nur eine Hand zur Zerstörung des Körpers gerührt hätte, wurde er in einer Seitencapelle offen gegen die Wand hingestellt. Das Werk der Vernichtung ward dann vollendet. Endlich war man auch genöthigt, den Leichnam Heinrich’s IV. aus dem Sarge zu nehmen und zu den anderen zu bringen. Ehe man ihn indeß auf den Karren schleppte, verlangten verschiedene der Anwesenden Haare aus dem Barte des Königs. Es ward dabei etwas ungestüm und roh verfahren, indeß gelang es auch meinem Onkel, sich in den Besitz eines Büschels der Barthaare des Königs zu setzen.“ –

War der Erzähler zu diesem Punkte seiner Mittheilung gekommen, so erhob sich Madame de Grand’ Maison mit der ihr eigenthümlichen Würde, öffnete einen Wandschrank und holte aus einer scharfe Wohlgerüche ausströmenden Schublade ein kleines, sehr reich mit Goldlilien gesticktes Taschenbuch hervor, in dem wieder in weißer Seide und mit blauen Lilien besät, in Seidenpapier die heilige Reliquie aufbewahrt war.

Mr. de Grand’ Maison hielt diesen Theil seiner übrigens bedeutenden Erbschaft von seinem Onkel für das Kostbarste, was er ihm hätte vermachen können.

Ich kann nicht leugnen, daß der öftere Anblick dieser wenigen Haare auch auf mich stets einen eigenthümlichen Eindruck gemacht hat, so daß ich es der Mühe werth hielt, diese kleine Mittheilung durch die „Gartenlaube“ auch weiteren Kreisen zugänglich zu machen. – Selbstverständlich erhob ich mich bei dem Schlusse der Erzählung, und während Madame de Grand’ Maison, ohne aufzublicken, mir ihr „bon soir, Monsieur“ zuflüsterte, erhob sich hoch aufrichtend der Gemahl und bot mir, gleichsam eine lebendige Hoffnung damit aussprechend, mit lauter Stimme seinen Abschiedsgruß.




Die Gebrüder Schlagintweit. Im Jahre 1854 am 20. Septbr. verließen die rühmlichst bekannten Gebrüder Hermann und Adolf Schlagintweit in Begleitung ihres jüngeren Bruders Robert S. auf dem Dampfer „Indus“ Southampton, und traten so ihre vielbesprochene wissenschaftliche Mission nach den Territorien der englisch-ostindischen Compagnie an. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Indien kehrten der Aeltere, Dr. Hermann, und der Jüngste, Dr. Robert S., mit reichen wissenschaftlichen Schätzen an Manuscripten, Zeichnungen und naturhistorischen Sammlungen nach Europa zurück, während Dr. Adolf S. in Indien zurück blieb, um seine Forschungen noch über einige Theile von Tibet und Turkestan auszudehnen. Lange Zeit blieb jegliche Nachricht über den kühnen und unternehmenden Gelehrten aus, als im vergangenen Jahre die beunruhigendsten Gerüchte über ihn nach Europa gelangten.

Die englische und die russische Regierung ließen darauf von ihren asiatischen Beamten Nachforschungen über das Schicksal Adolf S.’s anstellen. Die eingeschickten Berichte aber wurden demnächst mit der größten Zuvorkommenheit den Brüdern Hermann und Robert S. zugestellt. Eine Zusammenstellung dieser Berichte haben die gedachten Herren nun veröffentlicht; wir entnehmen denselben Folgendes:

„Die Nachrichten aus Indien und Rußland von europäischen Officieren und Beamten der angrenzenden Districte, nach Aussage von Eingebornen gesammelt, stimmen leider darin zu genau überein, daß Adolf S. zu Kashgar in Turkestan (Central-Asien) im August 1857 getödtet wurde und als Opfer seines wissenschaftlichen Berufes fiel.

Er war als Europäer erkannt worden, nachdem er verkleidet über den Karakorum und Küenlüen, vor uns noch nie durchreist, auf einer etwas westlichern Route, als die unsrige, weit nach Central-Asien vorgedrungen war.

Die nächste Veranlassung und die Art seines Todes sind allerdings in den verschiedenen Berichten nicht in übereinstimmender Weise angegeben; doch geht aus Allem hervor, daß der politische Zustand dieser Länder und der Umstand, daß Adolf bei aller Vorsicht als Beamter der indischen Regierung erkannt wurde, wesentlich zu seinem traurigen Ende beitrugen. Selbst bei der lebhaften Theilnahme, die England stets für das Schicksal wissenschaftlicher Reisender gezeigt hat, wird es wohl kaum gelingen, daß dasselbe, wie in früheren ähnlichen Fällen so energisch geschah, die Mörder unseres Bruders zur Rechenschaft zieht.

Nach den Aussagen Einiger war es der Umstand, daß er sich gefangener Bhot-Rajputen, britischer Unterthanen aus Bisser im Himalaya, annahm, und zu vermitteln suchte, daß sie nicht getödtet oder als Sclaven verkauft wurden. Nach anderen Angaben war die unmittelbare Ursache die, daß er als Europäer erkannt wurde und durch die Hand fanatischer Mussulmans fiel.“

So schied wieder einer jener braven und edlen Vorkämpfer für Verbreitung wahrer Wissenschaft und Träger der Civilisation – als solcher ist jeder wissenschaftliche Reisende zu betrachten.

Alle, welche den liebenswürdigen und vom edelsten Wissensdurst beseelten, leider durch fanatische Hand gefallenen jungen Gelehrten kannten oder ihm näher standen, betrauern in ihm einen der würdigsten Jünger seines großen Meisters und Freundes, Alexander von Humboldt.


Mit dem 1. Juli begann ein neues Quartal der bei Ernst Keil in Leipzig erscheinenden Zeitschrift:

„Aus der Fremde.“ Wochenschrift für Natur- und Menschenkunde der außereuropäischen Welt,

redigirt von A. Diezmann.

Wöchentlich ein Bogen mit und ohne Illustrationen. Vierteljährlich 16 Rgr.

Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_420.jpg&oldid=- (Version vom 28.7.2023)