Seite:Die Gartenlaube (1859) 447.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

zum Halsschmuck für die in den Pagoden aufgestellten Götzenbilder eines Brama, Wischnu, Schiwa, Buddha etc. Auch sehr viel bernsteinerne Pfeifenspitzen gehen nach dem Orient, da nur aus diesen die Moslemim rauchen dürfen, indem der Koran die Berührung der Lippen der Gläubigen mit Theilen todter Thiere (wie Horn, Schildpatt) untersagt.

Neben diesen Hauptartikeln verfertigt man aus den größeren Bernsteinstücken noch Kreuze, Herzchen, Dosen, Becher, Ringe, Flöten, Thiergruppen zu Nipptischaufsätzen, ganze Schachspiele etc. Bernsteindreher gewöhnlicher Art treiben ihr Gewerbe mehr handwerksmäßig, nach Art der gewöhnlichen Drechsler, mit einfachen, mangelhaften Werkzeugen; Kunstdrechsler und Bildschnitzer dagegen, die mit Feile, Meißel und Grabstichel umzugehen wissen, liefern die zierlichsten Waaren, die oft zu hohen Preisen verkauft werden und nicht selten den Kunstcabineten zum Schmuck gereichen.

Bei dem hohen Werthe, den der Bernstein noch gegenwärtig hat und früher noch im erhöhteren Maße besaß, lenkte er schon frühzeitig die Augen der jeweiligen Landesherrschaft auf sich. Der Deutschherrenorden erklärte bald, nachdem er seine Herrschaft bis zur samländischen Küste ausgebreitet hatte, also im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, den Bernstein für ein „Regal“ und sein unbefugtes Ansammeln mit der Todesstrafe. Die Oberaufsicht und Verwaltung dieses Regals übertrug die aus dem 14. Säculum stammende „Bernstein-Ordnung“ dem Ordensmarschall in Königsberg, und aller gefundene Bernstein mußte an die von ihm bestellten Schaffner („Ordensschäffer“) abgeliefert werden. Der Orden trieb den Alleinhandel mit dem Bernstein und versandte diesen, da er anfänglich auf seinem eigenen Gebiete aus Argwohn keine Bernsteindreher duldete, roh an seine Comptoire in Lübeck und Brügge. Sein Monopol erlitt einen bedeutenden Stoß, als im Thorner Frieden von 1466 ganz Westpreußen der Herrschaft des Ordens verloren ging, und wohl ein Drittheil der Bernsteinküste, nämlich die frische Nehrung, dem neuentstandenen Freistaate Danzig zufiel.

Diese strebsame, schon damals handelsmächtige Republik, in der man rücksichtlich des Bernsteinregals liberaleren Anschauungen huldigte, machte dem Alleinhandel des Ordens mit Bernstein bald eine um so erfolgreichere Concurrenz, als man in Danzig auch mit Geschick und umfassenden Mitteln an die Verarbeitung des gewonnenen Bernsteins ging; was denn den ersten weltlichen Herzog in Preußen, Albrecht von Brandenburg, welcher (1525) den hochmeisterlichen Mantel mit dem fürstlichen Hermelin vertauschte, veranlaßte, auch in seinem Gebiete die Verarbeitung des Bernsteins zu gestatten. Auch erlaubte er (was schon etwas früher im Danziger Gebiete gestattet worden) das Nachgraben nach Bernstein; und so kamen denn hier um 1558 die ersten Bernsteingräbereien auf. Doch mußten dieselben eine gewisse Steuer an den Herzog entrichten, und das Sammeln des Strandbernsteins blieb nach wie vor durch strenge Strafen geschütztes Regal der Krone. Zusätze zur Bernsteinverordnung verboten im Jahre 1582 Jedem, ohne Ausnahme des Standes, ohne Paß an die Küste zu kommen; Galgen wurden längs des Strandes errichtet, und die beim verbotenen Auflesen an’s Land geworfener Bernsteinstücke Ertappten daran ohne Weiteres aufgeknüpft, vom vermutheten Bernsteindieben und Hehler aber durch Peitsche und Folter Geständnisse erpreßt.

Der „große Kurfürst“, Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1640–1688), welcher anfänglich eine mildere Praxis beobachten zu wollen schien und ziemlich viel für das Aufkommen des Bernsteindrechslergewerbes in seinem preußischen Herzogthume that, verordnete später, daß alle confirmirten Strandbewohner und diejenigen, welche ihres Gewerbes halber die Küste besuchten, schwören sollten, keinen Bernstein entwenden zu wollen. Alle über achtzehn Jahre alten Personen beiderlei Geschlechts mußten diesen Eid leisten. Die Strafen wurden festgestellt: für Entwendung eines Pfundes Bernstein auf neunzig Gulden (preußisch) Buße oder entsprechende Freiheitsentziehung; bei zwei Pfund der doppelte Strafgeld- oder Haftbetrag; bei drei Pfund 270 Gulden Buße, Staupenschlag und zehnjährige Verweisung aus dem Küstenbezirk; bei vier Pfund gleiche Geldbuße, aber neben dem Staupenschlag auch Pranger und außerdem lebenslängliche Landesverweisung; bei fünf und mehr der Strang und doppelter Ersatz des Genommenen. Bei „besonders erheblichen“ (d. h. 25 Pfund und mehr betragenden) Diebstählen konnte unter Umständen sogar auf das Rad erkannt werden! Das bloße unbefugte Betreten des Strandes kostete 12 bis 18 Gulden, und zog im Wiederholungsfalle ein- bis dreijährige Verweisung aus dem Küstenbezirk nach sich.

So barbarische Gesetze und der unnatürliche Zwang, welchem die Strandbewoher unterworfen waren, konnten nur demoralisierend auf diese wirken. Sie reizten, nach dem alten Erfahrungssatze: „Nitimur in vetitum!“ zu heimlicher Entwendung und riefen eine rohe, tiefwurzelnde Erbitterung hervor, der so mancher Strandwächter zum Opfer fiel. Die zahlreichen Galgen auf den Höhen der Seeberge und wiederholte Ableistung des „Strandeides“ vermochten dem verbrecherischen Gelüste nur wenig Einhalt zu thun. Bernsteinentwendung galt den auf niedriger Kulturstufe stehenden Küstenbewohnern nicht als Unrecht. Ihr Raisonnement lautete: „Das wilde Wasser wirft den Stein aus; er ist ein Strandsegen, darum gehört er uns Strandleuten, und ihn behalten, ist kein Diebstahl.“

Mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Strafen ein wenig gemildert; auf den Strang sollte fortan nur erkannt werden, wenn mehr als eine Vierteltonne entwendet, und wenn dabei „der Dieb gemeinen Standes war.“ Dagegen wurden die Strandvisitationen genauer regulirt. Alle drei Jahre sollten sie von der Danziger Grenze an bis hinter Memel abgehalten werden; die Strandinsassen mit Söhnen und Knechten mußten dabei erscheinen, den Strandeid leisten, ihre Käscher inspiciren lassen, und bei etwaigem Zuwachs des Vermögens sich genau darüber ausweisen, ob derselbe nicht etwa von dem Verkauf heimlich aufgelesener Bernsteinstücke herrühre.

1762, nach dem Aufhören der russischen Occupation Ostpreußens, wurden die Strafen menschlicher. Auf den Tod und Landesverweisung sollte nicht mehr, auf Staupenschlag nur noch dann erkannt werden, wenn der Dieb sich bei seiner Ergreifung an der Person des Strandreiters vergriffen hatte; immer aber warteten noch Gefängniß bei Wasser und Brod, und in schwereren Fällen langjähriges Zuchthaus mit „Willkomm“ und „Abschied“ des überführten Bernsteindiebes; des Fremden aber, der sich ohne Legitimationskarte an den Strand wagte, wartete der „spanische Mantel“ (eine Art Zwangsstuhl) und Gefängniß. Dabei ward noch der Strandeid durch einen Zusatz geschärft, welcher Kinder zur Denunciation ihrer Eltern verpflichtete!! Dieser traurige, widernatürliche Zustand dauerte bis in die neueste Zeit; denn obwohl 1807, bei der Verpachtung des Bernsteinregals an einige Kaufleute, die gehässigen Visitationen und die Verpflichtung der Strandbauern zum Schöpfen und Transportiren des Bernsteins aufhörten, blieb doch der Verkehr am Strande noch immer unter rigoröser Ueberwachung. Erst das Jahr 1837 brachte eine Umkehr der bisherigen Verhältnisse, indem den Strandbewohnern selbst die Nutzung des Bernsteinregals in Pacht gegeben wurde. Damit hörte denn auch für das Publicum die bisher noch immer bestandene Beschränkung in dem Betreten und Benutzen des Strandes auf, und erst von dieser Zeit her datirt der zahlreiche Besuch von Kranz, Neukuhren und den anderen Seebädern an der samländischen Küste. Der Staat zieht jetzt allerdings weniger Gewinn aus seinem Bernsteinregale, aber dieses pecuniäre Minus wird reichlich aufgewogen nicht nur durch die sittliche Hebung der Küstenbevölkerung, sondern auch selbst pecuniär durch manche Einnahmen, die ihm durch die gestiegene Frequenz der Strandbäder erwächst.

Zum Schluß des Artikels sei noch eines Versuches gedacht, den vor ein paar Jahren der Professor Göppert in Breslau gemacht, Bernstein künstlich herzustellen. Er hielt Fichtenharz nebst Fichtenzweigen drei Monate lang in warmem Wasser von 65–80 Grad. Das Harz roch dann nicht mehr terpentinartig, sondern angenehm balsamisch, wodurch es also dem Bernstein schon näher kam; aber es löste sich noch in Spiritus auf, was der Bernstein nicht thut. Ein anderes Harz, Venetianischer Terpentin, mit Zweigen des Lärchenbaumes ein volles Jahr hindurch fortwährend unter warmem Wasser gehalten, verlor auch die Auflösbarkeit zum Theil, kam also dem Bernstein noch näher; eine Wahrnehmung, welche die Physiker wohl zu noch weiteren Experimenten und Herstellungsversuchen führen wird.

G. J.     



Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_447.jpg&oldid=- (Version vom 6.8.2023)