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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Verletzung durch die Kugeln zu den Unmöglichkeiten zu zählen ist. Häuserhohe Schichten von Brennholz sind zu langen, dichten Mauern hinter ihnen und zu ihren beiden Seiten aufgethürmt. Außerdem darf bis zu einer bestimmten Entfernung in jener Gegend Niemand den See befahren. Ein Unglück kann in solcher Weise nur in den Schießständen geschehen oder einen unvorsichtigen Zeiger treffen. Es haben sich auch, so viel bekannt geworden, nur zwei Unglücksfälle ereignet: ein Schütze hat sich beim Schießen einen Finger verletzt, und ein Zeiger hat durch einen abgesprungenen Splitter ein Auge verloren.

Bei den Scheiben und dem Schießen muß ich noch verweilen. Ueber dreißigtausend Schützen haben geschossen, zehn Tage lang, von Morgens acht Uhr bis des Abends acht Uhr. Sie waren nicht Alle die ganze Zeit über und zu gleicher Zeit da. Aber zehntausend schossen täglich gewiß. Wie viel ist da geschossen! An einem Tage, am 7. Juli, waren über vierundsiebzigtausend Schüsse gethan, und am 11., also am vorletzten Tage der Festes, als die Meisten schon fort waren, noch über einundsechzigtausend.

Die Scheiben sind von verschiedener Art, ebenso auch die Stutzen, mit denen geschossen wird. Die Schweizer haben „Feld-“ und „Standstutzen“. Der Feldstutzen ist das militairische Gewehr des schweizerischen Scharfschützen, mit dem er in das Feld rückt. Der Standstutzen ist schwerer. Mit beiden wird aus freier Hand geschossen. Nach den Stutzen zunächst sind auch die Scheiben verschieden. Die Feldscheiben stehen etwas über 1000 Fuß entfernt (ich meine 1008), die Standscheiben 580 Fuß. Außerdem werden im Stand, wie im Feld, „Stich-“ und „Kehrscheiben“ unterschieden. Die Kehrscheiben werden mit fortlaufenden Buchstaben des Alphabets bezeichnet; die Stichscheiben haben jede ihren besonderen Namen; im Stand: Vaterland, Industrie, Titlis, Pilatus, Rigi, Gotthard, Jungfrau, Splügen; im Feld: Säntis, Glärnisch. In jede Stichscheibe darf jeder Schütze wahrend des ganzen Festes nur einen Schuß thun, blos in die Scheibe Vaterland zwei. Nach den Kehrscheiben kann Jeder so viel schießen, wie er will und – bezahlt!

Der Name Kehrscheibe rührt daher: Damit bei dem großen Andrange der Schützen zu ihnen das Schießen keine Unterbrechung erleide, war früher die Scheibe eine doppelte, so daß sie nach jedem Schusse rasch umgedreht wurde. Jetzt hat man andere Vorrichtungen. Jeder Schuß muß bezahlt werden; für die Kehrscheiben kostet der Schuß dreißig Centimes; für die Stichscheiben ist er theurer. Man kann eine Marke für alle neun (zulässige) Schüsse in die Stichscheiben nehmen, d. h. „einen Doppel lösen.“ Außerdem kauft man „Stich-“ oder „Kehrmarken“.

Die Gewinne sind vielfach verschieden. Für die verschiedenen Stichscheiben sind die reichsten Gaben bestimmt, theils schon von den Gebern, theils vom Comité. Den besten Preis hat die Scheibe Vaterland. Er war diesmal 2500 Franken baar in einer großen, schönen silbernen Schale. Die Schweizer in Paris hatten sie für die Scheibe Vaterland geschenkt. Der geringste Gewinn besteht in fünf Franken. Gewinnen kann immer nur der, wer das Centrum trifft. Dieses ist dreifach verschieden. In den Standstichscheiben hat es 10 Zoll, in den Standkehrscheiben 2½ Zoll, in den Feldkehrscheiben sechs Zoll im Durchmesser. Die Feldstichscheiben haben Numnmerneintheilungen. Verschieden ist auch wieder die Art des Gewinnens. Den ersten Preis einer jeden Stichscheibe gewinnt nur, wer den besten Schuß in die Scheibe gethan hat. Für die Kehrscheiben ist Höhe und Werth des Preises vielfach verschieden: die Geldprämie von fünf Franken erhält schon, wer (und so oft er) sechs Mal das Centrum getroffen hat, dazu einen silbernen Schützenbecher oder eine Uhr (nach seiner Wahl), wer fünfundzwanzig Mal, und wieder hundert Franken, wer fünfzig Mal dasselbe getroffen hat. Eine besondere Prämie ist wieder bestimmt für die meisten Treffer des Tages, für den ersten und den letzten Treffer des Tages, für die meisten Treffer während des ganzen Festes. Ich glaube, es sind noch mehr Unterscheidungen.

Die gewonnenen Tagesprämien kann jeder Gewinner sofort realisiren. Die anderen Preise werden erst zu Ende des Festes und zwar öffentlich vertheilt.

Ich führe Sie, mein Freund, jetzt zu dem Gabentempel zurück, und zwar zu den Gaben selbst.

Der ganze hübsche Tempel hat keine Wände, sondern nur Fenster; durch diese sieht man alle jene reichen Preise und Prämien für die gewinnenden Schützen aufgehäuft, Alles Gaben aus allen Theilen der Schweiz, von Regierungen, Gemeinden und Privaten, aus allen Theilen der Erde, wo Schweizer des patriotischen Festes gedacht haben, – und wo ihrer sind, da haben sie seiner gedacht.

Die Gaben bestehen in Geld und in allerlei Werthsachen. Sehr schöne neue schweizerische Fünffrankenthaler hat die Eidgenossenschaft expreß dazu prägen lassen. Anstatt der Helvetia steht ein Schütze darauf. Unter den Werthsachen, die sehr viele kostbare, selbst Kunstgegenstände zählen, zeichnen sich besonders zwei aus, die denn auch vom Anfang bis zum Ende des Festes fortwährend die allgemeine Bewunderung auf sich zogen. Die Bewunderer konnten nicht einig darüber werden, welcher von den beiden herrlichen Gaben in Werth, Glanz und Geschmack sie den Preis zuerkennen sollten; ich weiß es auch nicht. Eines muß ich indeß zuerst nennen, und da sei es denn die Gabe Ihrer Landsleute, mein lieber Keil.

Drei Leipziger, die Herren Gebrüder Felix, S. G. Schletter, Gontard Nachfolger, hatten ein großes, prachtvoll gearbeitetes Trinkhorn von massivem Silber übersandt. Es war der zweite Preis der ersten Scheibe „Vaterland“. Der erste Preis waren die oben schon genannten 2500 Franken in silberner Schale von den Schweizern in Paris.

Die Leipziger Geber hatten das schöne Geschenk mit folgendem, sie hoch ehrenden Schreiben begleitet:

„Leipzig, am 24. Juni 1859.     

„Das eidgenössische Freischießen wird dieses Jahr im Canton Zürich abgehalten.

„Seit langen Zeiten in regem geschäftlichen Verkehr mit demselben, und dadurch mit der Bevölkerung dieser durch Handel und Industrie so hervorragenden Gegend vielfach befreundet, haben wir in ihr den Stamm des gesammten Schweizervolkes achten und lieben gelernt; so daß wir nur einem Drang aufrichtiger Gefühle folgen, wenn wir unsere Theilnahme an diesem nationalen Feste bethätigen.

„Wir überreichen Ihnen daher beifolgende Festgabe, deren Verwendung wir dem geehrten Comité überlassen. Möge dieselbe freundlich aufgenommen werden und zur Verherrlichung des schönen Festes beitragen, wo freie Männer, aus allen Theilen des schönen Schweizerlandes herbeigeeilt, sich brüderlich die Hände reichen und in der Ausbildung ihrer Geschicklichkeit und Kraft die Gewähr ihrer Unabhängigkeit finden.

„Möge Ihr Fest ein heiteres und glückliches sein und, wie dasselbe Einigkeit und Tüchtigkeit in Ihrem Lande nährt, auch Raum lassen für unsere Glückwünsche aus der Ferne. Mit herzlichem Gruße“ u.s. w.

Die Bremer Schützen hatten als Ehrengabe zwölf Römer, gleichfalls von massivem Silber und inwendig vergoldet, mitgebracht. Das war eine wundervoll zierliche, schöne, kostbare Arbeit. Weintrinker oder Nichttrinker, Keiner konnte den Blick von den zwölf feinen Rheinweinbechern abwenden. Wie muß das edle Gewächs in dem Golde golden funkeln!

Und doch war diese Gabe der Bremer ihre geringste. Sie hatten auch von dem edlen Weine aus ihrem Rathskeller selbst mitgebracht. Der wurde freilich schon während des Festes vertrunken. Der Präsident Dubs weihete die Rednerbühne mit dem ersten Trunke von diesem 1684er Rüdesheimer ein, und als er es gethan hatte, konnte er sagen, er habe einen Trunk gethan, der unter Brüdern seine sechstausend Franken Werth sei.

Die zwölf Römer der Bremer waren der erste Preis des Feldkehrs.

Was sonst noch an kostbaren und geschmackvollen Gaben da war, beschreibe ich Ihnen nicht; ich würde kein Ende finden. Lassen Sie mich dagegen erwähnen, daß namentlich viele Hunderte von silbernen Pokalen und Bechern und goldenen und silbernen Taschenuhren da waren.

Und nun, mein Freund, begleiten Sie mich auf dem Wege zu dem Platze, den ich Ihnen mit seiner Festhalle, seinen Schießständen und Scheiben, seinem Gabentempel und seinen Gaben, freilich nothdürftig genug, beschrieben habe. Ich führe Sie dann auch mitten in sein buntes, oft wirres und oft wunderbares, aber stets frisches, freies und fröhliches Leben hinein.

Wir gehen über den schönen, breiten Limmatquai, um die Stadt Zürich zu verlassen. Wir haben rechts vor uns den See. Viele Hunderte von buntbedeckten und buntbeflaggten Gondeln fahren auf ihm auf und nieder; Gesang tönt aus mancher von ihnen über die tiefblaue klare Spiegelfläche zu uns herüber. Links gehen wir an buntbeflaggten, grüngeschmückten Häusern vorüber. Kein einziges Haus in ganz Zürich hat während der Festtage auch nur ein Fähnlein oder einen Zweig seines Schmuckes abgelegt; manches erneuerte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 474. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_474.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2023)