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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

spenden, nicht für eine glorreiche Anerkennung?“ fragte das junge Mädchen freundlich zu ihm aufsehend.

„Ja wohl! Ja wohl!“ spottete der Doctor gutmüthig. „Ich empfinde hinlängliche Ehrfurcht vor Deinem guten Willen, die Augen eines verlassenen Vaters zuzudrücken. Aber Elfi – im Stillen halte ich diesen guten Willen für eine verstellte Sympathie. Du hast Felix lieb!“

Elisabeth neigte ihren Kopf ein klein wenig, um ihre Bewegung zu verbergen.

„Das wäre kein Grund zu meinem Entschlusse,“ flüsterte sie. „Ich wünsche meinem Leben eine Bedeutung durch die Uebernahme einer Verpflichtung zu geben, und ich halte die gegenseitige Anziehung zwischen mir und dem guten alten Herrn für einen Fingerzeig, mich in ein Verhältniß zu verflechten, dem zwar der sonnige Farbenschmelz des Glückes fehlen wird, das aber immerhin einen Reiz in sich schließt, welcher mich hinlänglich beschäftigen wird. Das Diakonissenthum ist ja überdies Mode,“ fügte sie lächelnd hinzu.

„Du hast Felix lieb!“ antwortete der Doctor mit derselben Ruhe und Bestimmtheit, wie vorhin.

„Schon Jahre lang,“ erklärte sie nun mit wehmüthiger Verlegenheit.

„Sonderbares Mädchenherz! Er und Du – so heterogen in jeder Beziehung!“

„Glaub’ das nicht! Wir haben viel Gleiches, sprechen es aber mit verschiedener Zunge aus.“

„Du selbstständig, fest und ruhig wie Eis –“

Elisabeth unterbrach ihn: „Unter dem Eise wogt das Wasser so schnell und sprudelnd, wie im wärmsten Sommertage.“

„Er ein Chamäleon, ohne Halt, aufrauschend und dahin lebend, jedem Eindrucke preisgegeben!“

„Weit gefehlt! Felix ist so selbstständig, daß er sein eigener König ist. Er hat mich lieb, das weiß ich, aber –“

„Nun? Du stockst? Weshalb sollte er seine Neigung nicht offenbaren?“’

Elisabeth schlug ihre Augen tief nieder, als sie antwortete: „Ich bin ihm zu vestalisch – er will erobert sein! Dazu aber kann ich mich nicht entschließen!“

Der Doctor schwieg betroffen still. Er wunderte sich selbst über seine Unbefangenheit, womit er neben diesen beiden Leuten gelebt, ohne Argwohn zu fassen, da doch eigentlich die Sache so nahe lag.

Elisabeth schien eine Wiederanknüpfung des Gespräches nicht zu wünschen, denn sie sagte schnell, wie sich besinnend: „Frau von Dahlhorst sprach vorhin einen Augenblick bei mir vor. Sie wünscht ein Krankheitsattest für ihren Gemahl. – Matthias – ich habe ihr versprochen, daß Du dies Attest ausstellen würdest,“ fügte sie mit bittendem Tone hinzu.

„Herr von Dahlhorst befindet sich aber doch bester?“ fragte der Doctor aus seinem Sinnen auffahrend.

„So viel ich weiß, ja! Die junge Frau fürchtete, daß Du anstehen möchtest, das Attest zu geben, weil ihr Mann weit wohler sei, und sie verrieth mir unwillkürlich, daß es vielleicht nur einiger Tage bedürfe, um das Attest entbehren zu können. Daraus entnahm ich, daß es sich um einen Personalarrest handele. Wenn wir doch der armen Dame helfen könnten, Matthias!“

Der junge Mann zuckte bedauernd die Achseln.

„Es handelt sich allerdings um eine Wechselschuld von zwölfhundert Thalern etwa,“ antwortete er kleinlaut. „Das Attest kann ich unbedingt ausstellen, denn Dahlhorst ist krank. Was ich von Felix über die Art seiner Krankheit vernommen habe, macht mich sehr besorgt, und es liegt mir die Verantwortung über diesen Zustand ob. Ich will deshalb noch heute zu ihm gehen. Könnte ich über zwölfhundert zwei und sechszig Thaler disponiren, so wäre dies das beste Medicament für ihn – ein vortreffliches Gegengift –!“

Elisabeth richtete sich schnell in die Höhe. „Steht es so mit ihnen?“ fragte sie ängstlich. „Mein Gott, so hat die Darlegung ihrer Verhältnisse, worin sie als Garantie eine Erbschaft von ihrer Großmutter aufstellte, wohl ein Versuch sein sollen, von uns dies Geld zu borgen? Man hält uns für reich, weil wir brillant wohnen –“

„Ja wohl –“ unterbrach der Doctor sie ironisch. „Das verdanken wir dem Reinlichkeitsgenie unserer Mama.“

Elisabeth machte eine ungeduldige, abwehrende Bewegung.

„Matthias – Matthias –“ Sie stockte und brachte nichts weiter über ihre Lippen, sondern verließ eiligst das Zimmer.

Ehe sich Matthias von seiner Verwunderung über das Gebühren seiner sonst so sehr ruhigen Schwester erholen konnte, war sie wieder da. Hochroth im Gesichte, als schäme sie sich, zitternd, als begehe sie eine Sünde, verlegen, als übe sie einen kindischen Streich aus, hielt sie ihm ein Packetchen entgegen.

„Matthias – ich habe ja Geld – hinreichend so viel, wie Frau von Dahlhorst gebraucht. Es sind Actien, die Jeder kauft –“

Der Doctor sah sie starr an. Diese Samaritergüte überstieg seinen Horizont.

„Das willst Du opfern, Elfi?“ fragte er stark und laut.

„Sie gibt mir’s wieder!“ betheuerte sie mit gläubigem Vertrauen. „Sie ist stark, praktisch und energisch – sie will eine Pension für junge Mädchen errichten – sie gibt mir’s wahrhaftig wieder.“

„Also hat Dich der Himmel dazu die paar hundert Thaler in der Lotterie gewinnen lassen, um ihr zu helfen und mir zu zeigen, was für eine Schwester ich besitze!“ sprach Strodtmann mit tiefer Bewegung und zog das bebende Mädchen an seine Brust.

„Aber nun eile, lieber Matthias,“ begann Elisabeth nach einer Pause voll heiliger Rührung. Sie wendete sich von ihm und trat an’s Fenster, um ihre Fassung wieder herzustellen.

Der Abend war unterdessen näher gerückt, und der Regen hatte ganz aufgehört. Von der untergehenden Sonne glänzend umsäumt, schwammen mächtig große, weiße Wolken am klaren Himmelszelte. Vom Regenschleier befreiet, segelten sie mit ihrem goldig röthlichen Schmucke in fröhlicher Eile dem Horizonte zu.

Elisabeth erhob den Blick und verfolgte, von der Heiterkeit eines guten Gewissens belebt, ihren Lauf. Gedanken aller Arten erwachten dabei in ihrem Innern. Aber auch von ihrem Gemüthe waren die Trauerschleier, die seit mehreren Stunden es belästigt hatten, verschwunden, und was sie jetzt bewegte und beschäftigte, das schmerzte sie nicht.

Während sie abgewendet am Fenster stand, ordnete der Doctor mit freudebebender Hast und Eile die Papiere. Es war genug, um der Frau von Dahlhorst zu helfen. Dabei legte sich jedoch bleischwer die Frage auf sein Herz: war es auch genug, um ihre Lage auf immer zu verbessern?

Er zweifelte nach Felix’s Mitteilungen daran, allein das machte ihn nicht irre, sondern weckte nur den Gedanken, seine Schwester als Schutzgeist für diese Frau zu erwählen, um dadurch in den Stand gesetzt zu werden, sie behüten zu können.

Wie tief sein Interesse für sie war, übersah er dabei. Er wünschte nichts, als ihre blassen Wangen zu verscheuchen und ihrem prächtigen Naturell zu Hülfe zu kommen, das wie ein Sonnenstrahl überall durchbrach, auch wenn die drohendsten Wetterwolken ihren Lebenshimmel umhingen.

Ein Wagen rollte die Straße entlang. Zuerst beachtete Elisabeth dies gar nicht, dann aber meinte sie zu bemerken, daß dieser Wagen in einem Galopp fuhr, dir eigentlich in der Residenz nicht Mode war. Neugierig horchte sie auf und neugierig sah sie dem schnell näher kommenden Fuhrwerke entgegen.

Der Wagen brauste mit der Schnelligkeit einer Locomotive heran – er hielt, und ehe sie sich besinnen konnte, stürmte Lord Felix in ihres Bruders Zimmer. Sein bleiches Gesicht und der Ton seiner zitternden Stimme trug Spuren einer fürchterlichen Verstörung.

„Um Gottes Willen, Doctor! schnell! schnell! schnell! Er ist des Todes! Er stirbt!“ schrie er. „Um Gottes Willen, nehmen Sie meinen Wagen! Eilen Sie! Er stirbt, und sie ist ganz allein mit ihm!“

Strodtmann hatte bei dem ersten Laute dieser Stimme schon ganz mechanisch nach der Büchse mit dem beliebten Senfteige gegriffen und sein chirurgisches Besteck in die Tasche geschoben. Sein Blick suchte dabei das Auge seiner Schwester, und in diesem Blicke stand die Erklärung: „Mir hat es geahnt, daß diese Belebung des Geistes nur momentan sein könne!“ Der verschmähete und in Ruhestand versetzte Senfteig kam schnell wieder in Cours, und zwar früher noch, als er es berechnet hatte.

„Hat er Alteration gehabt?“ fragte der Doctor dabei, indem er den jungen Kaufherrn, welcher wie ein aufgescheuchter Löwe in einem Käfige umherlief, stellte und ihn zwang, seinen Lauf zu unterbrechen.

„Ich weiß es nicht! Doch wahrscheinlich!“ antwortete dieser mit dumpfem Tone.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 483. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_483.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)