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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

geschieht auf folgende Art und Weise: der Jäger, der sich dabei aber sorgfältig hüten muß, den Gemsen in den Wind zu kommen, besetzt den Wechsel, den die Rudel gewöhnlich in der Flucht nehmen, und sein Begleiter, sobald das geschehen ist, „geht die Gemsen an“. Ein wirkliches Treiben findet nicht statt; der, dem das sogenannte „Riegeln“ überwiesen ist, hat sich nur an irgend einer Stelle zur richtigen Zeit dem Wild zu zeigen, und dieses zieht sich dann langsam von der gefährdeten Nachbarschaft fort, stets den täglich genommenen Wechsel dabei einhaltend. Keineswegs dabei auf der Flucht, kommt es dem im Hinterhalt liegenden Schützen gewiß vor die Büchse, und er hat gewöhnlich auch Zeit, selbst wenn kein einzelner Bock anzieht, sich das beste Stück für seinen Schuß herauszusuchen.

Mit den Gebirgspässen und Wechseln dort noch von früher her genau bekannt, bedurfte ich keiner weiteren Führung, sondern schickte meinen Begleiter ohne Weiteres ab, das Wild zu umgehen, während ich selber im Thal noch ein Stück fortschritt, dann eine aufwärts führende Schlucht annahm, die mich den Blicken des Rudels vollkommen entzog, und nun, so rasch ich konnte, zu der Stelle hinaufstieg, wo ich wußte, daß mir das Rudel anlaufen mußte.

Den Platz erreichte ich auch, tüchtig warm geworden, nach etwa anderthalb Stunden, nahm vor allen Dingen einen Schluck aus der Feldflasche, richtete mir dann mein Versteck an der vollkommen strauchlosen Felswand mit Steinen und Geröll, so gut es gehen wollte, her und erwartete, in den grauen Kleidern auf einige Entfernung überhaupt nicht von dem gleichfarbigen Boden zu unterscheiden, geduldig das Nahen des Wildes.

Eine volle Stunde hatte ich so gelegen, und nicht das Geringste rührte sich. Ein Jochgeier strich einmal mit schwerem Flügelschlage hoch über die Kuppen hin, das Thal hinauf – an den gegenüberliegenden Wänden jagte sich ein Schwärm pfeifender Alpendohlen, und ein Paar Schneefinken zwitscherten dicht um mich her, und suchten sich ihr Futter in dem lockeren Geröll – der abgeschickte Jäger mußte schon auf die Gemsen getroffen sein, und hatten sie sich etwa doch, gegen alle Gewohnheit, thalab gewandt? – dann kreuzten sie weit unter der Stelle, an der ich lag, den Hang, und ich kam hier oben nicht zum Schuß.

Da poltert ein Stein – rasch fährt der Blick zu der Kuppe empor, über die sie kommen müssen, wenn das ganze Riegeln nicht verfehlte Arbeit bleiben sollte, und richtig, über die Höhe nieder springen sieben – acht – neun dunkle Punkte – nicht größer wie die Ameisen – aber in wilder Flucht. Den Berg rasseln sie nieder, daß lockeres Steingeröll nach allen Seiten umherfliegt und mit dumpfem Fall in die Schlucht hinabrollt, oder zischend die Luft durchschneidet – näher und näher, ohne anzuhalten, ohne ein einziges Mal zurückzuäugen – gerade in tollen Sprüngen auf mich ein.

Mir schlug das Herz wie ein Schmiedehammer in der Brust, und vergebens bemühte ich mich jetzt, unter dem wild durcheinander fahrenden Rudel einen Bock herauszufinden. Noch gab es aber vielleicht ein Mittel, sie, wenn auch nur auf einen Moment, zum Stehen zu bringen – ein scharfer Pfiff nämlich, wenn sie sich in Schußnähe befanden, aber ich mußte dann schon wenigstens wissen, auf welches Stück ich schießen wollte.

Voran sprangen die Kitzgeisen mit den Kitzen – die waren frei – aber die letzte Gems im Rudel mußte ein Bock sein – dicker kurzer Hals und breiter Rücken – die Krickeln ließen sich freilich nicht erkennen, denn weil das Rudel bergab gestürmt kam, verschmolzen die Umrisse der schwarzen Krickeln in den dunklen Körpern.

Jetzt waren sie etwa auf achtzig Schritt heran – und, die Büchse vom Backen, pfiff ich, so laut ich konnte – Gott bewahre, – keine dachte daran zu halten – vorwärts stürmten sie, und ließ ich sie bis dicht heran, so wußte ich vorher, daß ich fehlte. Ueberdies durfte ich nicht länger zögern, denn die erste Kitzgeis sprang eben dicht über mir weg, bekam Wind, pfiff und schnellte seitab den Hang hin. Das andere Rudel folgte zum Theil, theils wollten sich einige unter mir fortziehen, die herangesprungenen rascher einzuholen, denn daß hier nicht Alles richtig sei, hatten sie jetzt wohl gemerkt. Ich selber sah nur die eine, die ich mir ausersehen, und auf etwa siebzig Schritt hielt ich eine gute Hand breit vor und feuerte.

Die Gems zeichnete und das Rudel stob bei dem Schuß, der eigentlich mitten zwischen ihnen abgefeuert wurde, wild aus einander. Ich richtete mich jetzt rasch empor und nahm mit dem zweiten Rohr eine der anderthalbjährigen auf’s Korn, die mir wie ein junger Bock aussah – sie mochte jetzt etwa hundert Schritt entfernt sein. Es ist aber kein leichter Schuß, mit der Kugel eine flüchtige Gems zu fassen, und er gelingt nicht immer. Ich schoß zwar, aber die Thiere setzten ihre Flucht unaufgehalten fort und waren im nächsten Augenblick schon hinter dem nächsten Hang verschwunden – die jedoch ausgenommen, auf die ich zuerst gehalten.

Diese hatte sich – schon ein vortreffliches Zeichen – vom Rudel abgethan und zog langsam gerade zu Thal nieder, und als ich hinüber auf den Anschuß sprang, fand ich reichlich hellrothen Schweiß.

Vor allen Dingen lud ich nun meine Büchse wieder, mich nicht weiter um die schwer kranke Gemse kümmernd, und wie ich dabei nach oben sah, entdeckte ich meinen Franzel, der schon halbwegs den steilen Hang, mit Steigeisen und Bergstock einkrallend, halb rutschend, halb laufend, herunter kam. Er mußte ganz dicht hinter den Gemsen gewesen sein, und darum schien das Rudel in solch erstaunlicher Eile.

Wie Franzel herankam, erzählte er die Geschichte. Die Gemsen hatten, ohne ihn jedoch zu wittern, freiwillig ihren Stand gewechselt, waren ihrem gewöhnlichen Wechsel zugegangen, und wären ohne Störung jedenfalls langsam und vertraut zu mir herunter gekommen. So aber glaubte er, daß sie sich gleich von dort aus zu Thal gezogen hätten, und wollte ihnen den Weg dahin abschneiden, und erst als er sie nirgends finden konnte, verfolgte er seine zuerst eingeschlagene Bahn, mich abzurufen. Oben nun auf der Bergkuppe rannte er plötzlich unversehens mitten in das Rudel hinein, und daß die Gemsen jetzt über Hals und Kopf den Hang hinabstürmten, war natürlich.

Wir suchten vor allen Dingen den zweiten Anschuß ab, aber ohne Erfolg. Es war kein Tropfen Schweiß, kein abgeschossenes Haar zu finden, und ich hatte mit dem zweiten Lauf gefehlt. Die kranke Gemse fanden wir dagegen, kaum vierhundert Schritt entfernt, verendet neben einem großen Felsblock liegen, und es war richtig eine Geis, aber ein altes geltes, außerordentlich feistes Thier, das mit dem kurzem Hals und dem gedrungenen Körper kein Mensch in nur mäßiger Entfernung von einem Bock hätte unterscheiden können. Gelte Geisen sind aber jagdbar, und ich war deshalb mit meinem Erfolg – wenn mir ein alter Bock auch lieber gewesen wäre – zufrieden.

Wir waideten die Gemse aus, packten sie in Franzel’s Bergsack und setzten uns nun an den Hang, unser mitgebrachtes Frühstück zu verzehren. Eine Stunde ist nämlich in den Bergen gar bald verstiegen, und es war indessen Mittagszeit geworden, bis wo der Mensch in der leichten reinen Luft einen enormen Hunger fühlt. Dabei unterließen wir jedoch nicht, sowohl sämmtliche benachbarte Berge, wie die gegenüberliegenden Hänge sorgfältig mit unseren Teleskopen abzuäugen, und hie und da wurden nach und nach Gemsen entdeckt, und die Möglichkeit oder Unmöglichkeit besprochen, an sie hinanzukommen – war es doch noch früh genug am Tage, eine zweite Jagd zu versuchen.

Dem Hang gegenüber, an dem wir uns befanden, lag das sogenannte Kaltwasserkar, in das Karwendelgebirge hineingedrückt, und auf den hohen und weißen Reißen derselben stand ein Rudel von fünfzehn Stück. Es waren aber, wie sich mit meinem vortrefflichen Glas recht deutlich erkennen ließ, fast lauter Kitzgeisen, und auf den vollkommen offenen Reißen selber überdies gar nicht an sie anzukommen.

Unter den Reißen lag – wie es von dort aussah – ein schmaler Streifen coupirten Terrains, mit Büschen und Gras bewachsen, und mit dem bloßen Auge ließ sich nichts Lebendiges darauf unterscheiden. Mit dem Glas fand ich aber bald verschiedene einzelne Gemsen, dir sich dort theils äßten, theils niedergethan hatten und in voller Ruhe schienen. Und war dort hinüber zu kommen?

„Ja, hinüber zu kommen wär’ schon“, sagte Franzel, der mit seinem Glas die Gemsen nicht hatte ausmachen können, und jetzt das meinige nahm, sie erst einmal zu betrachten; „wir hätten aber schon zwei gute Stunden zu marschiren, bis wir nur unter den Hang kämen, und müßten dann über eine vollkommen offene Lanne hinüber, recht in Sicht von den Böcken.“

Und was waren zwei Stunden? – die Hänge drüben lagen überdies an der Nordseite, also im Schatten – bis wir hinkamen, trat außerdem die Abendkühle ein und der Wind schlug ab, in dieser Hinsicht konnten wir es uns also nicht besser wünschen. Und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_488.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2023)