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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859)

Adresse nebst einer Empfehlung seiner Waare an einem möglichst günstigen Platze im Waggon anbringen zu lassen. Steigt man in den Omnibus, so hat man die Ehre, auf dieselbe Weise die Bekanntschaft eines andern ehrenwerthen Gentleman zu machen, der eine Erfindung gemacht, deretwegen er zum mindesten auf den Dank der Mitwelt, wenn nicht gar auf Unsterblichkeit den gegründetsten Anspruch zu haben glaubt. Natürlich müssen die Herren dafür zahlen; wie nichts in London umsonst ist, so wird auch diesen Gewinn bringen sollenden Empfehlungskarten ein Plätzchen in der Front oder der Ecke, eines Wagens nur dann eingeräumt, wenn man dafür zahlt. Da es Jedermann so macht, so findet man darin auch nichts Sonderbares, sondern man würde den sonderbar finden, der es nicht so machte. Damit übrigens ja keine Gelegenheit versäumt werde, um sich zu empfehlen, so sind denn schließlich auch noch die Eisenbahnhöfe mit Anzeigen aller Art austapeziert worden. Man sieht aber auf den Eisenbahnen die Anzeigen nicht blos, sondern man hört sie auch. Die Zeitungsjungen trifft man fast an jeder Station. Punch, Illustrated London News, Morning-Post, Standard etc. tönt es in Einem fort, und Einer brüllt immer mehr als der Andere. Die Kehlen Mancher sind von dem fortwährenden Schreien so heiser geworden, daß es einem wirklich schwer werden sollte, die ursprüngliche Stimmung des Organs herauszufinden. Diese Jungen sind zuweilen höchst zudringlich, und ich bin überzeugt, mancher Fremde macht es so wie ich, er kauft ihnen etwas ab, um nur die unaufhörlichen Anpreisungen nicht in Einem fort hören zu müssen, und steckt dann das Gekaufte ganz ruhig in die Tasche. Die Zeitungsjungen leben von dem Capitale ihrer Stimmen und ihrer Zudringlichkeit, und es ist daher kein Wunder, wenn sie dasselbe recht ertragsreich zu machen suchen. Die Zeitungsläden suchen das lebendige Wort durch Breter zu ersetzen, auf denen der Inhalt der Zeitungen mit großen gemalten Buchstaben zu lesen ist. Ebenso machen es die Besitzer von Lesezimmern, die sofort an ihren großen Zeitungsinhaltsanzeigen zu erkennen sind.

Besonders charakteristisch für London und für die bedeutendsten Städte Englands sind die Austheiler von geschäftlichen Anzeigen aller Art in den Straßen. Wenn man von der City bis nach dem Westend durch Cheapside, Holborn, Oxford und Regent Street geht, so kann man sicher sein, daß man alle Taschen voll solcher Straßenliteratur hat. Von der Kleiderhandlung Moses und Comp. empfängt man gleich ein ganzes Büchelchen, das neben der Preisliste der Waaren auch einen Kalender und noch vieles Andere in Prosa und Versen enthält. Aus der Ankündigung von Mr. E. Albert, einem Chirurg und „mechanischen“ Zahnkünstler, erfährt man, daß der Verlust der Zähne eine Menge von Uebeln im Gefolge hat, die nur die ganz genau kennen, welche den Verlust eines der unschätzbarsten Güter der Natur bereits erfahren haben. Er hegt daher den Wunsch, denjenigen, welche die möglichst vollkommene Wiederherstellung ihrer Zähne, soweit sie durch Kunst möglich ist, wünschen, bekannt zu machen, daß sein System alle Vortheile der Nützlichkeit, Schönheit und Oekonomie hat, welche Erfahrung, Geschicklichkeit und Ausdauer in dieser Branche gewähren können. Das ist indessen noch nicht genug. Es folgen außerdem Bemerkungen über das Scurvy in the gums (Scorbut), eine Preisliste, durch die man belehrt wird, daß das, was bei Andern 40 Guineen kostet, von ihm für 20 gethan wird, und endlich eine Empfehlung seines Apollonion-Cements, der durch ganz England, Frankreich und den Continent berühmt sein soll. Mr. Albert mag ein Ehrenmann sein, ich bezweifle dies nicht. Er verspricht vielleicht Manches, was er nicht halten kann; aber er thut dabei nicht mehr und nicht weniger als viele Andere.

Doch laßt sehen, was verheißt der Nächste? Ah, das sind Messrs. Sloan und Comp., Mitglieder des königlichen Collegs für Wundärzte, 4 Argyle Place, Regent Street. Das sind ehrenwerthe Herren! Ich glaube, sie beschäftigen eine hübsche Anzahl von Londoner Bummlern, um Patienten unter die Hände zu bekommen. Sie sind vollkommen erzogene Mitglieder der Zunft: seit dreißig Jahren schon besteht ihr Geschäft und zwar mit dem größten Erfolge. Nachdem man alle die Fälle erfahren hat, in denen ihr Heilverfahren das erfolgreichste ist, heißt es am Schlusse: „In allen Fällen beliebe man sich rechtzeitig an die Herren Sloan und Comp. zu wenden, die ohne Eitelkeit oder Anmaßung entschieden behaupten können, daß, wo nur irgend menschliche Hülfe möglich ist, die Krankheit gehoben und die Cur glücklich von ihnen vollbracht werden wird.“ Und darunter der gewichtige Satz: „Nur im Falle einer Heilung braucht man zu bezahlen.“ Was könnte man in Deutschland Besseres wünschen, als eine Partie solcher Menschenfreunde, welche zum Glück der Welt so unendlich beizutragen im Stande sind? Ich sollte denken, die Herren müßten ganz mit mir einverstanden sein, wenn ich auch etwas zur Verherrlichung ihres Namens thue. Sie requiriren die Bummlerzunft Londons, um ihre menschenfreundlichen Gesinnungen jedwedem gedruckt in die Hand zu geben. Es ist nicht mehr als billig, daß man sich dafür dankbar bezeige, so gut, als man nur immer kann. Mache dich also auf, du leidende Menschheit, und pilgre nach London; man wird dir dort helfen, zum mindesten von deinem Gelde. Laß dich indessen das nicht so sehr dauern; denn du wirst gründlich curirt werden – von den Anmaßungen einer ausschweifenden Phantasie.

Derjenige, der London und seine Eigenthümlichkeiten kennt, geht an diesen gefälligen Gebern von allerhand Empfehlungskarten gleichgültig vorüber; er nimmt sich nicht mehr die Mühe zu warten, bis der Mann einen Zettel in seine Hand gedrückt hat. Der Fremde dagegen, dem das etwas Neues ist, verfehlt im Anfange nicht, sie gewissenhaft in seine Tasche zu stecken. Uebrigens erhält man diese Anzeigezettel nicht blos auf der Straße, sondern bleibt man vor einem Kleider-, Stiefel- oder andern Laden stehen, so erscheint auch sofort Jemand, der einem eine solche Empfehlungskarte überreicht und freundlichst einladet, von dem Geschäft gefälligst weiter Notiz nehmen zu wollen. Ja selbst durch die eisernen Gitter vor den Häusern findet die Anzeige Eingang. Da sieht man oft des Tages junge Leute mit einem Pack Papiere in der Hand Straße auf Straße ab rennen, die rasch eine Anzahl von Exemplaren einer Anzeige durch die Eisengitter oder in die an den Hausthüren angebrachten Briefkästen stecken und dann weiter eilen, um ganze Stadttheile so mit der Etablirung eines neuen Geschäfts oder eines vorgeblichen Ausverkaufes oder etwas der Art bekannt zu machen. Dem Straßenplacatwesen ist in London durch das kategorische: Klebt keine Zettel an! sehr Einhalt gethan. Dafür muß man sich aber die Austapezierungen der Omnibusse und Eisenbahnwagen gefallen lassen. Außerdem senden die Unternehmer von Londoner Sehenswürdigkeiten die wandelnden Placate aus. Wenn auch der Continent berechtigt sein sollte, sich die Ehre der meisten neuen Erfindungen beizulegen, die Erfindung der wandelnden Placate hat er gewiß nicht gemacht. Ich weiß nicht genau, ob vielleicht China einigen Anspruch auf die Ehre dieser Erfindung haben sollte; sonst aber wird man sicherlich John Bull dieselbe nicht streitig machen können. Und es ist eine kolossale Erfindung. Da gibt es Leute, die das ganze Royal Polytechnic Institution in Regent Street, oder Madame Tusseau’s Wachscabinet in Bakerstreet, oder den Globe in Leicestersquare vorn und hinten mit sich herumschleppen. Vorn hängt das Bret, welches den sehenswerthen Ort nennt, und hinten hängen alle die Sehenswürdigkeiten, die man zu sehen bekommen soll. Die interessanteste Ankündigung dieser Art, die ich sah, war die des Colosseum.

Ich ging eines Abends New Road hinab, da wandelte eine Anzahl von Männern daher, von denen ich anfangs nicht wußte, ob ich sie für die Anhänger einer abenteuerlichen Secte oder für den Vortrab eines hindostanischen oder birmanischen Fürsten halten sollte. Der vorderste hatte eine hoch in die Luft emporragende Laterne mit buntfarbigen Gläsern, und außerdem erkannte ich, als sie näher kamen, auf einem weißen Brete, das er vorn an der Brust trug, ein großes C; der zweite trug auf derselben Stelle den Buchstaben O; der dritte den Buchstaben L; der vierte endlich ließ keinen Zweifel mehr darüber walten, daß dies eine Ankündigung des Colosseum sein sollte. Vorn hatten die neun Mann jeder einen Buchstaben des Wortes, und auf der Tafel, die sie auf dem Rücken trugen, befand sich eine Specialisirung aller der Merkwürdigkeiten, die man dort zu sehen bekommen sollte. Sie wandelten so still die Straße entlang, daß sie wirklich einen unheimlichen Eindruck machten. Dann bogen sie um die Ecke; vielleicht war ihre Wanderung für heute beendet, vielleicht durchstrichen sie auch noch weiter die Straßen, um zu werben für die Casse des Colosseum.

Mit den Reizen von Vauxhall Gardens ist es vorbei. Man wird dort nicht mehr am Abend spazieren gehen; man wird dort nicht mehr tanzen; man wird nicht mehr feuerwerken; es wird keine Illumination und kein Freudenfest dort mehr geben. Die ganze Herrlichkeit von Vauxhall Gardens ist in den Staub gesunken, und den Londoner Dandies und den Schönen, die allabendlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1859). Leipzig: Ernst Keil, 1859, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1859)_530.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)